: „Warum passiert das hier, mitten in der Stadt?“
„Garden of Lost Dreams“: Charlotte Schmitz und Johanna-Maria Fritz haben im Tier- garten junge Geflüchtete fotografiert – und ein Patenprojekt für sie ins Leben gerufen
Interview Susanne Memarnia
taz: Frau Schmitz, waren Sie heute schon im Tiergarten?
Charlotte Schmitz: In letzter Zeit gehen wir weniger in den Park wie zu Beginn des Sommers und Herbstes. Es hat sich dort einiges verändert seither.
Was denn genau?
Mit dem Wintereinbruch ist generell weniger los im Park. Es gibt auch sehr viel mehr Polizei vor Ort. Die etwa zehn Geflüchteten, die dort im Park wohnen, müssen noch mehr gucken, wo sie nachts zelten können.
Es wohnen nur zehn Geflüchtete dort?
Sie sind ja nicht die einzigen, die dort im Tiergarten leben. Es gibt natürlich mehr Obdachlose. Aber unser Fokus liegt auf den Geflüchteten, die haben wir fotografiert. Das sind insgesamt etwa 30 bis 35 Menschen. Davon haben – zumindest bis vor wenigen Wochen – etwa zehn im Tiergarten übernachtet. Wobei nicht alle von ihnen wohnungslos sind. Aber die Männer kommen in den Tiergarten, um dort mit Prostitution Geld zu verdienen, Drogen zu besorgen und zu konsumieren. Ein paar leben zum Beispiel in Brandenburg in einer Flüchtlingsunterkunft – für sie ist es zu weit, um abends zurückzufahren. Ich schätze, dass drei bis fünf der Männer wirklich obdachlos sind.
Ist das peinlich, Leute in so einer Situation anzusprechen?
Das Fotoprojekt Die gemeinsame Fotoserie „Garden of Lost Dreams“ über Geflüchtete im Tiergarten entstand im Sommer/Herbst 2017. Einige Fotos daraus erschienen kürzlich erstmals im Dummy Magazin.
Das Hilfsprojekt Anfang Oktober veröffentlichte Johanna-Maria Fritz einen Post auf Facebook, in dem sie Leute bat, sich zu melden, die eine Patenschaft für einen der jungen Männer übernehmen würden. Mehr Infos: facebook.com/johannamaria.jesus. Mehr über die Arbeiten der beiden Fotografinnen: johannamariafritz.de und charlotteschmitz.com (sum)
Überhaupt nicht. Wir sollten viel häufiger mit Menschen sprechen, die in anderen Lebenssituationen sind. Wir sind alle gleich, haben ähnliche Sorgen, Träume, können zusammen lachen. Die Barrieren existieren nur in unserem Kopf. Wir haben generell keine Berührungsängste. Den Geflüchteten haben wir erklärt, was wir machen, und ihnen sofort die Bilder gezeigt. Deshalb haben wir auch mit Polaroids gearbeitet.
Das hat bestimmt geholfen.
Ja, das war sehr wichtig. Wir haben den Männern natürlich absolute Anonymität versprochen – und mit dem Polaroid kann man das gleich überprüfen. Wir haben ihnen gesagt, dass das Bild bei ihnen bleibt, wenn es ihnen nicht gefällt. Wir haben die Männer auch immer gefragt, wie sie fotografiert werden möchten. Natürlich haben einige dabei mehr von sich preisgegeben als andere. Anonymität ist eben ein Stück weit subjektiv, jeder hat sich so zu erkennen gegeben, wie er wollte.
Gab es Leute, die gar keinen Kontakt mit Ihnen wollten?
Nein. Es gab einige, die nicht fotografiert werden wollten, aber reden konnten wir mit allen. Die Fotografie ist bei so einer Arbeit fast nebensächlich: Wir haben einfach gerne viel Zeit mit ihnen verbracht, geredet. Ich habe auch meinen Geburtstag im Tiergarten gefeiert – ein Picknick mit Freunden.
Ganz schön lange Geschichte, bis so ein Foto entsteht.
Ach, unterschiedlich. Manchmal dauerte es länger, manchmal ging es aber auch schnell. Für uns ist die Fotografie bei diesem Projekt zweitrangig. Wichtig war uns, Strukturen im Park zu erkennen. Wie ist die Situation der Männer? Wer könnte ihnen helfen? Wenn man auf natürliche Weise Zeit miteinander verbringt, kommt man zu Fotografien, aber auch zu einem ganz anderen Verständnis füreinander. Darum wollen wir jetzt auch ein Patenschaftsprojekt starten.
Wie kam das?
Als FotografInnen haben wir oft einen tiefen Einblick in gesellschaftliche Strukturen oder in das Leben von ProtagonistInnen. Im Tiergarten haben wir uns sofort gefragt: Warum passiert das hier, mitten in der Stadt, direkt neben der großen Politik? Uns war schnell klar, dass wir unser erworbenes Wissen um die Situation der Männer nutzen wollen, um etwas zu verändern. So haben wir angefangen, alle Organisationen und Einrichtungen zu kontaktieren, die sich mit dem Tiergarten beschäftigen. Da haben wir schnell gemerkt, dass ein Netzwerk fehlt.
Aber es gibt doch verschiedene Organisationen vor Ort!
Es gibt einige Leute vor Ort, unter anderem von Fixpunkt, Subway – Hilfe für Jungs, BBZ, Moabit hilft. Die stehen zwar in Kontakt miteinander, aber es gab kein großes Vernetzungstreffen. Dies haben wir im September initiiert – und es war ein Erfolg! Alle waren da, manche Einrichtungen haben auch zugegeben, dass es hier ein generelles Versagen gab, nicht nur auf Seiten der Politik, sondern auch von Einrichtungen. Es gab noch weitere solcher Treffen, selbst das Bezirksamt ist mittlerweile involviert.
Charlotte Schmitz
29, studierte Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover. Sie arbeitet als freie Fotografin unter anderem für Spiegel, Zeit, Geo, SZ, Tagesanzeiger.
Und das Patenprojekt?
Wir haben einen Facebook-Aufruf gemacht, weil wir Leute suchen, die Paten werden wollen. Wir denken, was wirklich helfen und den Männern Perspektiven aufzeigen kann, ist Kontakt zu BerlinerInnen. Die meisten sind noch nicht in unserer Gesellschaft angekommen, sie leben in einer völlig ungewissen Situation, wissen nicht, wie es weiter geht, verstehen hier oft vieles nicht. Dann sind sie noch der Heroinsucht zum Opfer gefallen, weil vor ihrer Flüchtlingsunterkunft, vor dem Lageso und am Leopoldplatz Leute standen, die ihnen – zuerst umsonst – Heroin angeboten haben.
Aber das ist hart: Pate oder Patin für einen Drogenabhängigen werden.
Das wird sicherlich nicht immer einfach sein. Aber wir kooperieren natürlich mit den Organisationen, die vor Ort sind und professionelle Hilfe geben. Diese Angebote sollen ja weiter genutzt, müssten auch noch weiter ausgebaut werden. Die Paten sollen die Männer begleiten, zum Jobcenter etwa, oder beim nächsten Deutschkurs helfen. Sie werden geschult wie alle Paten, um zu lernen, sich abzugrenzen. Dazu kommt eine Extraschulung durch den Drogennotdienst. Und am besten wäre, wenn es zwei Paten für je einen Geflüchteten gäbe.
Johanna-Maria Fritz
23, ist freie Fotografin und studierte an der Ostkreuz Schule für Fotografie. Zuletzt veröffentlichte sie in Neon.
Wie viele Paten brauchen Sie?
Wir würden gerne erst mal Paten für sieben bis zehn Männer finden. Sie sind alle drogenabhängig, aber die Männer sind in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen. Manche sind zum Beispiel mit ihren Familien hier, brauchen nur gelegentlich Heroin, gehen zum Deutschkurs, leben in Unterkünften.
Sind darunter Minderjährige? Es gab ja auch minderjährige Afghanen im Park.
Nein, die haben wir nicht kennengelernt. Unter den osteuropäischen Jungs sind sehr viele minderjährig. Die haben wir zum Teil auch fotografiert und wegen ihnen werden wir jetzt Kontakt mit dem Jugendamt aufnehmen. Aber soweit ich weiß, passiert da auch schon einiges, in das wir aber noch nicht so viel Einblick haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen