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Die Glaser von Lübeck

Sie belieferten sogar den Kölner Dom. Im Lübecker Berkentien-Haus wohnten und arbeiteten bis 1995 Glasmaler. Wie diese Arbeit aussah, ist im heute für Veranstaltungen genutzten Haus zu besichtigen

Symbiose aus Alt und Neu: Renaissance-Giebel und Biedermeier-Diele des Berkentien-hauses Fotos: Berkentienhaus

Von Petra Schellen

Wenn man reinkommt, denkt man, das stimmt was nicht. Ein Privathaus – und dann solche Fenster? Meterhohe Kirchenfenster mit Maria, Jesus und allerlei Heiligen drauf, in betörend bunten Farben? Und das einfach so in der Diele, dem heutigen Café des Lübecker Berkentien-Hauses? Nein, denkt man, diese Scheiben muss ein Nachgeborener aus Nostalgie eingebaut haben. Die gehörten bestimmt nicht in das 1612 gebaute, denkmalgeschützte Handwerker- und Wohnhaus mit dem geschwungenen Renaissance-Backsteingiebel, gelegen in der Mengstraße, in Sichtweite des berühmten Buddenbrook-Hauses.

Tritt man näher, offenbaren die Fenster ihr Geheimnis selbst. Denn eine der Scheiben zeigt eine Ahnenreihe, dekoriert mit zwei Männerporträts und den Namen Achelius und Berkentien. Sie waren Glasermeister und Hausbesitzer, erst Johann Jacob Achelius und ab 1870 dann Carl Martin Berkentin (der sich seit einem Schreibfehler im Bürgeramt mit „ie“ schrieb). Und was ihre Werkstätten schufen, war alles andere als provinziell: Kirchen-, Rathaus- und Villenfenster stellten sie her – ­übrigens auch für die Mutter von Thomas und Heinrich Mann, die ja gleich nebenan wohnte, in besagtem Buddenbrookhaus.

„Glasmalerei“, sagt Eventmanagerin Sigrid Hinz, die das Haus vom aktuellen Eigentümer gepachtet hat und für Veranstaltungen vermietet, „ist eine hohe Kunst. Es ist eine Branche, die handwerkliches wie künstlerisches Gespür erfordert, und diese Symbiose funktionierte hier bis 1995.“

Wie das aussah, erklärt Sigrid Hinz im Obergeschoss, auf einer für alte Lübecker Kaufmannshäuser typischen Galerie, die in zwei niedrige Räume führt. Zur Biedermeierzeit sind sie Wohn- und Schlafzimmer gewesen; die unter Carl Berkentiens Ur-Urenkel Thomas Schröder restaurierten Deckenbalken mit Blumen- und Tierornamenten aus dem 19. Jahrhundert bezeugen es.

Später dienten diese Räume für Glasarbeiten: Als sei es gestern gewesen, steht auf einem Tisch eine Farbpulverwaage neben einem Päckchen mit Roggenstroh, in dem die fertigen Glaselemente auf die Reise geschickt wurden. Und die führte weit: Fenster für eine Kirche in München-Au, auch die Westfenster des Kölner Doms hat Berkentiens Werkstatt gefertigt – sowie das berühmte „Totentanzfenster“ im Lübecker Mariendom.

Wie genau aus einer Zeichnung ein Madonnenfenster wird, kann man dann im Nebenzimmer lernen: Wie Puzzle­teile liegen die zugeschnitten Glaselemente da, und eigentlich sieht es kinderleicht aus, die zu bemalen. Dabei ist es sehr diffizil, die Farbe mit Dachspinseln so aufzutragen, dass das Gesicht plastisch wirkt, und danach die Restfarbe per Hand so zu verwischen, dass sie nach Himmel aussieht. Dann wird jede Farbschicht in verschiedenen Öfen einzeln eingebrannt, der Haltbarkeit wegen … Und hinten im Eckchen sieht man fast noch Carl Berkentien an der Gravurmaschine sitzen. Archaisch sieht sie aus, wie unsere alten Nähmaschinen, per Fuß mit einem Keilriemen angetrieben.

Sonderlich gesund war die Symbiose aus Wohnen und Arbeiten übrigens nicht: Das Blei, das die Glaselemente verband, wurde auf dem Speicher gegossen und gezogen, und um Bilder in Wappen zu ätzen, nutzten die Handwerker das Säurebecken im Hof. Heute gibt es dort Sektempfänge; das ganze Haus ist ein merkwürdiger Zwitter aus Museum, Lesungs-, Konzert- und Konferenzort.

Diese Ambivalenz ist Sigrid Hinz bewusst. „Dieses Haus möchte gesehen und erlebt werden“, sagt sie. „Ich führe Besucher gern durchs Haus, wenn das Tagesgeschäft es zu lässt.“

Ein Museum mit Eintritt soll es aber nicht werden. Sigrid Hinz will das Haus vielmehr bewohnbar machen und hat nicht nur besagtes Café, sondern auch einen Shop im einstigen Glaserei-Verkaufsraum eingerichtet, in dem sie Arbeiten Lübecker Künstler und Kunsthandwerker anbietet. Im Raum gegenüber betreibt sie eine kleine Galerie, gern auch mit Glaskunst, um die Verbindung zur Kunst, von Alt und Neu lebendig zu halten.

Wobei sich Alt und Neu im Haus manchmal auf recht eigenwillige Art verbinden: Der heute als Konferenzsaal dienende Raum im Obergeschoss etwa, wo in den 1990er-Jahren Glasmaler saßen, wirkt eher wie ein Ballsaal mit seinem rankenverzierten Spiegel und der fili­granen Deckenbemalung des 19. Jahrhunderts. Als der wohlhabende Hausherr sie einbauen ließ, haben hier sicher keine Glasmaler gesessen. Aber Genaues weiß man nicht. Und vielleicht öffnen gerade diese Ungereimtheiten, diese Lücken im Gedächtnis des Hauses Raum für Fantasie.

Berkentienhaus, Mengstraße 31, Lübeck, regulär geöffnet Di–Do 11–17 Uhr

Informationen zu Geschichte und Sanierung des Hauses: www.berkentienhaus.de

Vorweihnachtliches im Haus: Weihnachtsmarkt der Lübecker Kultouren, So, 26. 11., 11–19 Uhr

Kinder-Geschenke-Pack-Party „Wrap for Children“ zugunsten der Ronald-McDonald-Kinderhilfe, Fr, 15. 12., 16–18 Uhr

„Vorweihnachtlicher Zauber“ mit Musik, Lesung und Menü: Sa, 16. 12., 19 Uhr. Anmeldung und Information zu diesen, allen anderen Veranstaltungen sowie zu Vermietungen: info@eventundmarketing-hinz.de

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