Verantwortung anziehen: Wer unser Zeug näht

Eine Bremerin ist um die Welt gereist, um die Menschen zu finden, die unsere Kleidung herstellen und die Bedingungen ihres Alltags zu protokollieren

Die Näherin verschwindet hinter der Ware: Blick in eine indische Textilfabrik Foto: Christian Charisius (dpa)

BREMEN taz| Wer heute mit ruhigem Gewissen durchs Leben geht, der hat entweder eine ernste Wahrnehmungsstörung – oder ist ganz schön abgebrüht. Schon bei den Klamotten am Leib wird einem ganz anders. Und wer zwischen Ausbeutung, Tierleid und Rohstoffkriegen nicht den Verstand verlieren möchte, dem bleibt nur: Widersprüche aushalten und ganz genau hinsehen. Imke Müller-Hellmann hat das am Beispiel ihrer Kleidung getan und ein Buch darüber geschrieben.

Die Bremer Schriftstellerin hat in den Schrank geguckt und sich auf die Suche nach den Menschen gemacht, die ihre Textilien herstellen. Ihre Lieblingsklamotten wohlgemerkt, nicht die verdächtigsten. In ihrem gerade beim Osburg-Verlag erschienenen Buch „Leute machen Kleider – Eine Reise durch die globale Textilindustrie“ beschreibt sie ihre Reisen von Bremen in die Schwäbische Alb, nach Bangladesch, China und so weiter.

Und in diesem „Wohin?“ steckt bereits das erste Pro­blem, wie Müller-Hellmanns ­E-Mail-Wechsel mit den Produzenten zeigen. Klar, Galeria Kaufhof hat kein Problem damit, ihr den Kontakt nach Albstadt in Baden-Württemberg zu vermitteln, wo unter geradezu idyllischen Bedingungen „Slip Claudia“ genäht wird. Aber so läuft es nicht überall.

Wo man ihr nicht helfen will, versucht sie es auf gut Glück: Sie sucht im Netz nach dem Namen eines Geschäftsführers. „Ich denke mir aus, wie seine E-Mail-Adresse lauten könnte“, sagt Müller-Hellmann. Die Anfrage kam tatsächlich durch. Aber sie erzählt auch von den Reisen, die nicht passiert sind. Da werden AnsprechpartnerInnen krank, Mitarbeiterdaten dürfen nicht herausgegeben werden oder Produktionen sollen ja eh bald nach Deutschland verlagert werden. Warum sie da noch nach Asien lassen? Soll sie doch mit einem Manager sprechen, oder mit dem Mützen­designer von hier.

Imke Müller-Hellmann stellt „Leute machen Kleider“ diese Woche an zwei Terminen in Bremen vor

Donnerstag, 16. 11., im Rahmen der „Clean Clothes Campaign“, 19.30 Uhr, Waller Kulturhaus „Brodelpott“ sowie

Freitag, 17. 11., im Rahmen der „LitClip“-Reihe des Literaturkontors Bremen, 21 Uhr, Kukoon

Aber auch das tut sie dann mit echtem Interesse: „Leute machen Kleider“ handelt von Menschen. Von Reinald Riede zum Beispiel, dem Textilveredler hinter dem besagten Schlüpfer namens „Claudia“. Riede macht seinen Job seit 35 Jahren, brennt für seinen Beruf und bedauert ein bisschen, dass aus dem Handwerk heute Industrie geworden ist.

Mit der gleichen Empathie lässt Imke Müller-Hellmann Zhou Chunhong und Wang Kaimei sprechen. Und spätestens da wird es dann schwierig mit der Moral. Die beiden Näherinnen arbeiten unter harschen Bedingungen, verzichten auf ihre eh schon kurzen Pausen, weil man sie pro Stück bezahlt. Das ist bitter, klar. Aber nach zwei Jahren fahren auch diese Näherinnen die 1.000 Kilometer zurück ins Heimatdorf und bauen dort Häuser mit dem Geld von Schiesser.

Natürlich könnte man tief Luft holen und vom Kapitalismus ein bisschen erzählen, von den Widersprüchen, dem Richtigen im Falschen und so. Imke Müller-Hellmann macht das zwar nicht, erzählt auf persönlicher Ebene aber eben trotzdem von den vergesellschafteten Zwängen. Und ist es nicht auch ein bisschen Entfremdung, wenn zwei chinesische Näherinnen lachend und vergeblich versuchen, sich die Brüste vorzustellen, die in diese Kleider passen sollen? Aber im Ernst: „Leute machen Kleider“ ist ein unaufgeregtes, aber ausgesprochen lesenswertes Buch, das glaubwürdig keinen Skandal sucht, aber trotzdem eine weltweite Katastrophe findet.

Die Arbeits­-bedingungen der chinesischen Näherinnen sind bitter, doch der Lohn reicht zum Hausbau

Ihre Sachlichkeit scheint auch Müller-Hellmanns GesprächspartnerInnen aus den Konzernen klar zu sein. Die wünschen nach Absagen zwar fast mechanisch „Trotzdem alles Gute für Ihr Projekt“, lassen aber immer wieder doch auch echtes Bedauern durchblicken. „Das kann ich nicht entscheiden“, heißt es dann: „Wenn die Presseabteilung Nein sagt, verstehen Sie, ich bin ja auch an die Unternehmenskultur gebunden.“

Natürlich kommt da viel zusammen: Unternehmen lassen sich schon wegen der Konkurrenz nicht gern in die Karten gucken, manche schützen die Persönlichkeitsrechte ihrer MitarbeiterInnen und wieder anderen ist der organisatorische Aufwand zu groß. Misstrauisch aber macht es einen trotzdem.

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