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„Davon gehen wir dann einfach aus“

Wohnungen, Kitas, Schulen: Ephraim Gothe (SPD), Stadtrat für Stadt-entwicklung in Mitte, und Stadtplanerin Mandy Adam über die Planung in einem wachsenden Bezirk

„Wir haben keine Sorgen, wir haben Herausforderungen“, sagt Ephraim Gothe Foto: Tobias Seeliger/ Snapshot/ imago

taz: Frau Adam, Herr Gothe, den Bezirk Mitte erwartet Prognosen zufolge bis Ende 2020 ein Bevölkerungswachstum um etwa 22.000 Personen gegenüber 2015. Was bedeutet das für die Stadtplanung im Bezirk?

Ephraim Gothe: Die Bevölkerungsprognose ist nicht nur für die Stadtplanung, sondern auch für andere Abteilungen des Bezirksamtes wichtig. Man muss auch Schulplätze, Kitaplätze planen. All das beruht ja darauf, wie sich die Bevölkerung entwickelt.

Dabei sagt die Zahl doch gar nicht viel. Abgesehen davon, dass Sie nicht wissen, ob sie überhaupt stimmt, wissen Sie auch nicht, was das für Menschen sind, die da kommen, etwa von der Alters- und Einkommensstruktur her. Was bringt Ihnen die Zahl also für die Planung?

Gothe: Das wissen wir so konkret tatsächlich nicht, aber wir können Schlüsse ziehen aus dem, was in den Jahren zuvor passiert ist. In den vergangenen sechs Jahren ist der Bezirk um 50.000 Menschen gewachsen – nicht nur Zuwanderer, sondern auch im Bezirk neu Geborene. Von denen wissen wir, wo sie sich gemeldet haben, also wo sie wohnen. Daher wissen wir zum Beispiel, dass die nicht unbedingt dahin gezogen sind, wo Wohnungen neu gebaut wurden, sondern sich ziemlich gleichmäßig auf den ganzen Bezirk verteilen.

Das bedeutet, es wird auch da voller, wo es gar keinen Wohnungsneubau gab?

Gothe: Ja. Erstmals seit Kriegsende sinkt der durchschnittliche Wohnraumverbrauch von 40 Quadratmetern pro Person in Berlin wieder. Aber zu prognostizieren, ob der noch weiter sinkt, ist schwer. Man kann nicht voraussagen, ob Zuwanderer nicht mehr kommen, weil die Wohnungen zu teuer werden. Die Leute kommen hierher, weil sie nach Berlin kommen wollen, und dann gucken sie eben, wo sie unterkommen. Und das kann eben auch eine WG in Wedding sein, wo dann noch eine Person mehr mit einzieht.

Mandy Adam: Genau deshalb braucht man Stadtplanung: um einen Blick auf kleinere Räume zu haben. Wir bekommen alle sechs Monate aktualisierte Einwohnerzahlen, mit denen wir sehr kleinteilig die Bevölkerungsentwicklung analysieren können, auch nach Altersgruppen.

Gothe: Und auf dieser Grundlage können wir dann die Bevölkerungsentwicklung ständig mit der Infrastruktur des Bezirks abgleichen.

Um daraus was abzuleiten?

Gothe: Zum Beispiel, wo Schul- oder Kitaplätze knapp werden, wie stark Sport- oder Grünflächen belastet sind. Das ist ja ein viel dringenderes Thema, wenn die Bevölkerungszahl in einem Bezirk wächst, als wenn sie, wie das vor wenigen Jahren in Mitte noch der Fall war, sinkt.

Wenn sich das Wachstum der Bevölkerung gleichmäßig auf den Bezirk verteilt, ist es ja nicht damit getan, da neue Kitas oder Schulen zu bauen, wo neue Wohnungen entstehen.

Adam: Prognosen sind immer „Könnte“-Szenarien, und davon gibt es sozusagen immer auch extreme und mittlere Varianten. Wir befassen uns mit ihnen, indem wir überlegen, wie könnten wir reagieren, wenn dieser oder jener Fall eintritt.

Was bedeutet das?

Adam: Man kann ja, statt gleich eine neue Schule zu bauen, erst mal auch über Veränderung von Einschulungsgebieten oder Aufstockung vorhandener Kapazitäten, also Schulerweiterungen, nachdenken. Also ein bisschen das hin- und herschieben, was man hat. Wir können uns ja auch nicht immer wünschen, dass die Schule genau dort steht, wo wir sie haben wollen.

Wünschen kann man sich das schon …

Adam: Ja, wünschen kann man sich das, aber es ist oft nicht realisierbar. Gerade deshalb muss man früh genug gucken und anfangen, Ideen zu entwickeln, wenn der Eindruck entsteht, da und da könnte etwas passieren.

Gothe: Derzeit erfolgt ja ein wachsender Teil des Wohnungsneubaus wieder durch städtische Wohnungsbaugesellschaften, etwa ein Drittel der neu entstehenden Wohnungen. Und da haben wir ja auch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und Projekte gemeinsam zu entwickeln.

Worauf kann der Bezirk da genau Einfluss nehmen?

Adam: Es gibt, wenn der Bauherr öffentliche Förderung in Anspruch nimmt, Vorgaben, was die Wohnungsgrößen und die Höhe der Miete betrifft.

Foto: Wolfgang Borrs

Ephraim Gothe, 53, Bauingenieur, früher Staatssekretär für Bauen.

Kommt es denn vor, dass städtische Wohnungsbaugesellschaften bauen, ohne dabei öffentliche Förderung in Anspruch zu nehmen?

Gothe: Nein, es ist im Moment festgelegt, dass sie 50 Prozent mit öffentlicher Förderung bauen und damit auch unter einer gewissen Nettokaltmiete bleiben.

Adam: Diese Förderung können auch private Bauherren in Anspruch nehmen.

Sie wissen also, dass an einem Standort, sagen wir, 500 neue Wohnungen entstehen. Aber woher wissen Sie, ob Sie dort auch eine Kita brauchen?

Gothe: Davon gehen wir dann einfach aus.

Aber so reich ist der Bezirk doch nicht, dass Sie sagen können, wir bauen einfach mal eine, oder?

Gothe: Doch.

Wie kommt das?

Gothe: Das liegt daran, dass Berlin erheblich höhere Steuereinnahmen hat, als wir erwartet hatten, was wiederum mit dem kontinuierlich wachsenden Tourismussektor und der sehr starken Start-up-Szene zu tun hat.

Adam: Im Moment sind die Zeichen gut, dass wir Infrastruktureinrichtungen bauen können. Uns fehlt eher der Platz, wo wir sie bauen können. Deshalb verhandeln wir bei Neubauprojekten mit den Bauherren darüber, dass sie den Neubau einer Kita gleich in ihre Pläne einbeziehen.

Aber der Bauherr will doch Wohnungen bauen, die er vermieten kann?

Adam: Und dafür braucht er eine Baugenehmigung. Die bekommt er vom Bezirk. Und da machen wir dann gewisse Vorgaben, knüpfen bestimmte Bedingungen daran. Das geschieht natürlich im Dialog, in einem gemeinsamen Aushandlungsprozess.

Aber eine Schule baut Ihnen weder ein öffentlicher noch ein privater Bauherr neben seine Neubauwohnungen.

Adam: Eine ganze Schule ist ja meist auch nicht erforderlich. Aber wir berechnen die Anzahl der mit den Neubauten vermutlich zu erwartenden SchülerInnen – und lassen uns die entsprechende Anzahl der Plätze vom Bauherrn finanzieren.

Wenn sich die Straßen Berlins doch immer so nutzen ließen: ein Straßenfest Foto: Tobias Seeliger/ Snapshot/ imago

Wie das?

Adam: Das berechnen wir nach einem ziemlich komplizierten Rechenmodell, ausgehend von der Zahl der BewohnerInnen pro Wohneinheit und der statistisch zu erwartenden Schulkinderzahl.

Berechnen Sie das abhängig von der Miethöhe – also gehen Sie etwas davon aus, dass bei preiswerten Wohnungen mehr Kinder zu erwarten sind als bei teurem Wohnraum, den sich eher Kinderlose leisten können?

Adam: Nein. Auch dort, wo hochpreisig neu gebaut wird, müssen Grundschulplätze geschaffen und bezahlt werden. Der Bauherr muss zahlen, ob die Kinder kommen oder nicht, und zwar 37.000 Euro pro errechnetem Schüler für die Errichtung neuer Grundschulplätze. Und die werden mit dem Geld dann auch errichtet, ob die neuen Schüler nun aus den neuen Wohnungen kommen oder nicht. Das Geld darf nur für den Neubau von Schulplätzen ausgegeben werden, nicht für die Sanierung oder Ausstattung von vorhandenen Grundschulplätzen.

Was, wenn sich herausstellt, dass die Struktur der neuen Mieter eher eine Senioreneinrichtung als eine Kita erfordert?

Adam: Es gibt gesetzliche Ansprüche. Die haben Sie auf Kita- und Schulplätze, aber nicht auf Senioreneinrichtungen. Natürlich würden wir uns auch mehr Senioreneinrichtungen wünschen, aber da helfen uns eben die Gesetze nicht. Das gilt auch für Jugendeinrichtungen oder Bibliotheken. Da würden wir gerne mehr machen, aber gebunden sind wir erst mal an das, was gesetzlich vorgeschrieben ist.

Gothe: Wichtig ist aber, dass überhaupt versucht wird, Bauherren an solchen Infrastrukturkosten zu beteiligen. Und damit fahren wir ja bisher ganz gut.

Kommen wir mal auf den Bevölkerungszuwachs da, wo gar nicht neu gebaut wurde. Auch da muss die Zahl von Kita- und Schulplätzen steigen, werden Grünflächen stärker genutzt – aber es ist vielleicht gar kein Platz für neue Einrichtungen vorhanden. Was tun Sie da?

Adam: Bei Schulen geht das, wie gesagt, oft über die Veränderung der Einzugsbereiche.

Aber doch auch nur, wenn irgendwo freie Kapazitäten da sind.

Foto: Mandy Adam

Mandy Adam, 50, Stadtplanerin im Bezirks­amt Mitte.

Adam: Ja, oder wenn wir Schulstandorte reaktivieren können, die es mal gab. Da muss man natürlich vorher prüfen, ob die Bevölkerungsentwicklung anhält oder ob da vielleicht nur ein einmaliger Sprung stattgefunden hat. Dann kann man vielleicht auch mal mit Notlösungen arbeiten, etwa mit Containern, die man für eine gewisse Zeit auf ein Schulgrundstück stellt. Aber es gibt natürlich auch Gegenden, etwa in Alt-Mitte, wo die Chance, eine Schule neu zu bauen, gleich null ist.

Gothe: Da muss man Fantasie und ein Auge auf Immobilien und Grundstücke haben, die dem Bezirk oder Land gehören.

Wie machen Sie das?

Adam: Wir erstellen von jedem landes- oder bezirkseigenen Potenzialstandort einen Steckbrief zur möglichen Standortentwicklung. Der enthält alle Daten von der derzeitigen Nutzung über Größe, Bauzustand, Verkehrsanbindung bis zu möglichen Nutzungsalternativen. Da prüfen wir dann genau, ob das Grundstück groß genug ist, um zum Beispiel eine Schule darauf zu bauen. Eine Schule braucht ja auch viel Freifläche drum herum.

Was sind denn Ihre Sorgen aktuell im Bezirk Mitte?

Gothe: Wir haben keine Sorgen, wir haben Herausforderungen. Natürlich ist die größte die Mietentwicklung. Und natürlich wollen wir dafür sorgen, dass auch die Berliner Innenstadt künftig für alle Einkommensgruppen zugänglich ist. Und das ist eine große Herausforderung, bei der nach meiner Ansicht nur ein Rezept taugt, nämlich möglichst viele Wohnungen möglichst preisgünstig neu zu bauen, damit diese Wohnungsbaupolitik die Mietenentwicklung stoppt.

Adam: Stadtentwicklung verläuft ja nicht immer gleich, wir beschäftigen uns ja nicht ständig nur mit den Themen Kita und Schule. Das tritt mal in den Vordergrund, davor war es das Thema Wohnungsneubau, und dann kommt etwas anderes. Jetzt ist es die Verdrängung von Gewerbe, von Wirtschaftsstandorten und Arbeitsplätzen aus den Bezirkszentren an den Stadtrand. Wir brauchen auch Gewerbeflächen im Stadtraum, um eine für uns gute Nutzungs­mischung zu erreichen.

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