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Politikexperte über Rechte in Österreich„Nationalisten wurden nie verteufelt“

Andere europäische Länder schockt die Wahl rechter Parteien. In Österreich gehört die FPÖ seit 35 Jahren zum Politikalltag, erklärt Laurenz Ennser-Jedenastik.

„Nazis raus aus dem Parlament“ – so wurde am 13. Oktober in Wien gegen die FPÖ demonstriert Foto: dpa
Interview von Peter Esser

taz: Herr Ennser-Jedenastik, wie ist es zu dieser Banalisierung einer rechtsextremen Partei in Österreich gekommen?

Laurenz Ennser-Jedenastik: Diese Banalisierung war gar nicht notwendig. Seit mindestens 35 Jahren kommt an der FPÖ in der österreichischen Politik keiner vorbei. Die Nationalisten sind niemals marginalisiert oder verteufelt worden, wie das in anderen europäischen Ländern der Fall war, vor allem in Deutschland. Eine Zusammenarbeit mit extrem Rechten war nie Tabu, weder für die christdemokratische ÖVP, noch für die sozialdemokratische SPÖ. Die erste Beteiligung der FPÖ an einer Regierungsbildung geht auf das Jahr 1970 zurück, als die SPÖ eine Minderheitenregierung mit Unterstützung der Nationalisten gebildet hat (deren Chef war damals ein Ex-Offizier der Waffen-SS, Anm. d.Red.). Dann gab es zwischen 1983 und 1986 eine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ und eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ von 2000 bis 2006. Man kann sagen, dass der Aufstieg der Rechtspopulisten in anderen europäischen Ländern und ihr Eintritt in die Exekutive, wie zum Beispiel in Finnland, Europa mit einer Realität konfrontiert, die in Österreich schon seit langem existiert.

Also gibt es nichts Neues an der aktuellen Situation?

Es ist nicht neu, dass ein Bündnis mit der extremen Rechten die einzige Alternative zu einer „großen Koalition“ aus SPÖ und ÖVP ist. Eine linke Mehrheit von der Mitte hat niemals existiert. Bemerkenswert jedoch ist die aktuelle Verfassung der FPÖ. Ihre letzte Beteiligung an die Regierung war aufgrund zahlreicher Konflikte innerhalb der Partei traumatisierend. Davon hat sie sich gut erholt. Heute ist die FPÖ sehr stabil, was ihr Personal angeht, vom ideologischen Standpunkt sehr homogen und professioneller organisiert als jemals zuvor. Dieses Mal dürfte eine Regierungsbeteiligung nicht katastrophal enden.

Im Interview: Laurenz Ennser-Jedenastik

Studium der Komposition und Musiktheorie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Abschluss 2006). Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien, Abschlüsse 2010 (Magisterium) und 2013 (Doktorat). Von 2008 bis 2009 freier Mitarbeiter bei SORA, von April 2009 bis April 2010 Studienassistent bei Roland Verwiebe am Institut für Soziologie der Universität Wien. Von 2009 bis 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter von AUTNES (pre-doc ab Mai 2010). Ab 2013 Auslandsaufenthalt im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums des FWF an der Universität Leiden (Niederlande). Rückkehrphase und Wiedereinstieg bei AUTNES am Institut für Staatswissenschaft im Sommer 2014. Ab Oktober 2014 Universitätsassistent am Institut für Staatswissenschaft.

Stört die neonazistische Vergangenheit von Heinz-Christian Strache die Wähler nicht?

Offensichtlich bereitet das keine Probleme. Denn das ist ja ein offenes Geheimnis. Von Zeit zu Zeit warten die Medien mit einigen neuen Details auf. Aber in Wirklichkeit weiß doch alle Welt, dass Herr Strache in seiner Jugend im Neonazimilieu verkehrt hat. Das ist nicht so skandalös. Man sollte sich keine Illusionen machen: in Österreich wurde die Nazi-Vergangenheit nicht annähernd so konsequent aufgearbeitet wie in Deutschland.

Läuft Österreich nach diesen Wahlen jetzt nicht Gefahr, sich politisch näher bei Polen und Ungarn wiederzufinden als bei Deutschland und Frankreich?

Kooperation mit „Libération“

Die taz und die französische Tageszeitung Libération machen journalistisch gemeinsame Sache. Wir arbeiten erst zur Wahl in Frankreich und dann zur ­Bundestagswahl zusammen. Dieser Beitrag ist Teil der Kooperation.

Einigen Umfragen zufolge spricht sich ein Großteil der Österreicher für einen starken Mann an der Macht aus. Das kann beunruhigend sein. Letztendlich ist es jedoch nicht die öffentliche Meinung, die eine Erosion der Demokratie hervorrufen wird. Um das zu erreichen müsste man die Institutionen schwächen und ihre Fähigkeit, die Werte der Freiheit zu verteidigen. In Polen und Ungarn ist es den Populisten gelungen, sich der Justiz und der Medien zu bemächtigen, um die Zivilgesellschaft zu beeinflussen. In Österreich sind die institutionellen Barrieren höher – wie zum Beispiel notwendige parlamentarische Mehrheiten, um die Verfassung zu ändern. Dennoch beobachte ich ein besorgniserregendes Abdriften, wie den Vorschlag der FPÖ, die Europäische Menschenrechtskonvention zu verlassen.

Übersetzung aus dem Französischen: Barbara Oertel

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10 Kommentare

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  • "In Österreich wurde die Nazi-Vergangenheit nicht annähernd so konsequent aufgearbeitet wie in Deutschland" - der Schlüsselsatz.

    • @kditd:

      Schonn. Greift aber mehr als zu kurz.

      Newahr.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Den Gedanken hatte ich auch.

  • ÖVP-FPÖ - Die Unheilige Allianz des Protoliberalismus

     

    Was mit der Unheiligen Allianz von ÖVP und FPÖ den lohnabhängigen Massen in der Alpenrepublik blüht, ist deren Wirtschaftsprogrammen zu entnehmen, die sich ähneln wie ein Ei dem anderen und der Diskursküche der Industriellenvereinigung entstammen. Zu deren Eckpunkten gehören eine weitere entscheidende Schwächung der Arbeiterkammer, Teilprivatisierung des öffentlichen Rundfunks, Einschränkung des Demonstrationsrechts, das Aushungern kritischer zivilgesellschaftlicher Projekte in der Freien Kunstszene, alternativer Medien, zur Integrationsförderung, der Mädchen- und Frauenpolitik usw. unter der Tarnkappe „Trockenlegung der Förderungssümpfe“. Zur protoliberalen Agenda von Kurz gehören ferner:

    - Flexibilisierung der obligatorischen Arbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche,

    - Einführung von Harzt-IV-inspirierten Zwangsmaßnahmen gegen Arbeitslose,

    - Stutzung der Mieterschutzrechte bis zur Marktförmigkeit

    - Drosselung des Rentenniveaus,

    - Deckelung der sozialen Mindestsicherung für Familien auf 1500 Euro, womit der Fiskus 56 Mio € einspart, ein Siebzigstel der geplanten Steuergeschenke für Großunternehmen,

    - drastische Steuersenkung für die oberen 5% finanziert durch ein Sparpaket für die breite Masse,

    - Senkung der Abgabenquote von 43% auf 40%, was einem Volumen von 14 Mrd. € entspricht, mehr als die Personalkosten des Bundes und etwa soviel, wie der Staat für alle Krankenhäuser aufwendet.

     

    Die FPÖ als vor allem Notablen-Partei aus Notaren, Hausbesitzern und Industriellen wird aller Erfahrungen ihrer bisherigen Regierungsbeteiligungen nach dem nicht widersprechen. Wohl eher im Gegenteil.

     

    Das ganze wird dann auch noch wie bei Macron als Kampf gegen das „Establishment“ verkauft. So heißt es in einem durchgesickertes Strategiepapier der ÖVP:„Einzige Möglichkeit in dieser Situation erfolgreich zu sein, ist eine Position einzunehmen, die diese Stimmung bedient: Anders sein – Anti-Establishment“.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Reinhardt Gutsche:

      Man sehen, wann die Flüchtlinge aus Östrerreich kommen. Dann macht Seehofer bestimmt die bayrische Grenze dicht. Für Fremdenfeindlichkeit reichen in Bayern ja schon Österrreicher, wie ich letztens bei "quer" gelernt habe.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Was für eine Horrorliste.

  • Heinz-Christian Strache eine Hitler-Verehrer, so wie es die SZ letzte Woche in einer Doku aufgezeigte, hat tatsächlich den Vorschlag gemacht, Österreich solle die Europäische Menschenrechtskonvention zu verlassen. Ich finde das folgerichtig, will man Kriegsflüchtlinge nicht aufnehmen und gleichzeitig keine multinationale Vereinbarungen brechen. Denn die Europäische Menschenrechtskonvention kennt keine OBERGRENZE so wie es die CSU und die AfD fordert.

  • AfD-like

     

    Wie letztens Rutte in den Niederlanden den Wilders machte, so verdankt Kurz seinen Sieg vor allem wohl seiner Kostümnummer, den Stracher zu machen. Die Österreicher („Alles Nazis“ - Thomas Bernhard) haben zu fast zwei Drittel AfD-like gewählt, was zu der erschreckenden Erkenntnis führt, der unheilvolle Einfluß der demokratiefernen DDR-Sozialisation der Ossis, ergänzt durch die fiesen Propagandatricks des Hybridkriegstreibers Putin, habe nun auch die Alpenrepublik überstrahlt.

  • Ach ja & Na Servus - der

    Herr Schlaumeier - ;)(

     

    "Die Nationalisten sind niemals marginalisiert oder verteufelt worden, wie das in anderen europäischen Ländern der fall war, vor allem in Deutschland.…"

     

    Schonn - aber das begann spätestens mit dem Chuzpe-Coups

    Gründung 2. Republik Österreich post WK II - kerr!

    Die - gedreht von den Sowjets - die Allierten zähneknirschend

    Überraschte - von ganz links bis ganz rechts - reicht(e);

    Karl Renner - vorweg!

    &

    Die Vorraussetzung für Bruno Kreiskys - via

    Neutralität - Hinausexpedieren der Besatzer schuf & zu -

    "In meiner Heimat zählen die Faschisten - zu den

    Widerstandskämpfern!" eines

    Robert Menasse führte!

     

    (Stichwort - antistalistische Austro-Kommunisten ~>

    Karl Renner war mit Conny Adenauer befreundet!

    &

    Astro-Faschisten vs Nazis

    Beispielhaft - Odilo Lothar Ludwig Globocnik,

    eingedeutscht Globotschnig.' Spitzname

    Globus war ein österreichischer Kriegsverbrecher,

    Nationalsozialist, SS-Gruppenführer und

    Generalleutnant der Polizei. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Odilo_Globocnik

     

    kurz - Die Koteletties - Schonn immer etwas fescher - als die "armen"

    Verwandten aus der Ost&West-Piefkei - gell!

     

    So geht das. &

    Zwar querbeet durch die Familien. & -

    Die rote &! die schwarze -

    Rattenlinie lassen böse grüßen.

    • @Lowandorder:

      Upps - antistalinistisch - heißt's &

       

      (haben viele via exSpanienkämpfer - & Hotel Lux etc ~> Tscheka/NKWD/KGB -

      mit dem Leben bezahlt! Ja.)