Nachlass von Walter Ulbricht versteigert: Der Wert der Geschichte
Einige Originaldokumente von Walter Ulbricht und seiner Frau Lotte wurden in Hamburg versteigert. Es gab reges Interesse. Unsere Autorin war fasziniert.
Wir kannten auch Ernst Thälmann und Wladimir Iljitsch Lenin, wir kannten Wilhelm Pieck, unseren einzigen Präsidenten, und natürlich Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, aber Walter Ulbricht, der fiel ein bisschen unter den Tisch, so wie Joseph Stalin, der kam auch nicht im Unterricht vor, jedenfalls nicht in meinem Unterricht in meiner Schule. Es war offensichtlich ein Problem, über Fehler im sozialistischen System zu reden, Fehler gab es einfach nicht.
Dass man sich uneins war in der sozialistischen Führung, das wäre ein Fehler gewesen, dass einem Staatsratsvorsitzenden gar der Rücktritt nahegelegt wurde, das war undenkbar, mit solchem Wissen mussten Heranwachsende nicht belastet werden, denn die Partei war in allen Bereichen siegreich, der Sozialismus unaufhaltsam, das war die Botschaft, das sollten wir glauben. Ich denke, wenn man sich mit den Problemen des Sozialismus auseinandergesetzt hätte, ernsthaft, wenn man diese Probleme öffentlich hätte benennen dürfen, darüber diskutieren, nach Wegen suchen, dann hätte der Sozialismus vielleicht eine längere Verfallszeit gehabt.
Am Samstag wurden in Hamburg vom Auktionshaus Carsten Zeige einige Originaldokumente Walter Ulbrichts und seiner Frau Lotte versteigert. Es gab reges Interesse. Ich war fasziniert. Neben Dingen wie dem „Ehrenzeichen für die deutsche Volkspflege“ aus dem dritten Reich, dem „Herzoglich Sachsen-Ernestischem Hausorden“, oder dem „Kesselpaukenbehang“ eines Husarenregimentes wurde plötzlich der SED-Mitgliedsausweis von Walter Ulbricht versteigert. Der ältere Herr neben mir winkte ab: „Jetzt kommen die Kommunisten, die interessieren mich nicht“, sprach er, und verließ den Raum. Er hatte auf einige Orden geboten, auf die nicht ganz so teuren, und auch für einige den Zuschlag erhalten.
Andere wurden bei den Nachlassdokumenten Walter Ulbrichts erst wach. Auf einem Bildschirm neben dem Auktionator konnte man die angebotenen Dokumente sehr gut sehen. Die meisten hielten ohnehin ihren Katalog im Schoß. Die Mitgliedskarte Nummer 2 der „Kommunistischen Partei Deutschlands“ zum Beispiel, auf rotem Papier, handausgeschrieben, ausgestellt am ersten September 1945, gestempelt sowohl mit dem Stempel der KPD als auch mit den zwei verschränkten Händen, die die Sozialistische Einheitspartei symbolisierten, die erst 1946 aus dem Zusammenschluss von SPD und KPD hervorging.
Sie ging weg für 2.700 Euro. Oder sein Personalausweis, einer, auf dem noch ein Fingerabdruck drauf ist, ein Fingerabdruck Walter Ulbrichts. Hätte ich damals, in einer Staatsbürgerkundestunde zum Beispiel, mir jemals ausdenken können, dass ich eines Tages einer Versteigerung des Personalausweises Walter Ulbrichts beiwohnen würde? Für übrigens 6.000 Euro. So geht Geschichte.
Vielleicht steigt Walter Ulbricht noch im Wert. Während ich in der Versteigerung saß und die Bilder der Dokumente an mir vorbeizogen, die Symbole, die Abkürzungen, vieles mir vertraut, aus einer ganz anderen Zeit, aus der Zeit ‚davor‘, war ich selber Teil der Geschichte. Nichts davon ist geblieben. Die Lieder, die wir lernten, können wir nicht mehr singen, die Sätze, die wir auswendig lernten, nicht mehr sagen, es ist alles falsch gewesen, Unsinn.
Wer war Walter Ulbricht? War er ein guter Mensch? Ein Kämpfer, ein Held? War er einer, der seine eigenen Interessen verfolgte, ein Mauerbauer und Lügner? Darüber erfährt man auf einer Auktion nichts. Man erfährt, dass er historisch relevant ist, denn sonst wäre sein Ausweis nichts wert.
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