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Kommentar Wahlrunde im FernsehenTreffen sich neun Alphatiere

Thilo Adam
Kommentar von Thilo Adam

In einer letzten Diskussion bewegten sich die Kandidaten entlang der üblichen Gräben. Immerhin: Gegen Gauland waren alle vereint.

Langeweile kann manchmal auch ein gutes Zeichen sein: die Kandidaten bei der „Schlussrunde“ Foto: dpa

W ahrscheinlich ist es ein gutes Zeichen, wenn demokratische Auseinandersetzung unterhaltungsarm ist, ein bisschen dröge; wenn sie uns anstrengt und nervt. Dann geht es uns vermutlich so schlecht nicht. Von dieser Ahnung lässt sich Angela Merkel gerade ganz entspannt zum nächsten Wahlsieg tragen.

Und Martin Schulz hat diesen, entgegen aller bisherigen pflichtschuldigen Beteuerungen, nun endgültig akzeptiert. Sonst wäre er der „Schlussrunde“, dem letzten TV-Aufeinandertreffen der wichtigsten Parteien vier Tage vor der Wahl, nicht trotzig ferngeblieben, nachdem Merkel ebenfalls die Einladung ausgeschlagen hatte.

In dieser Runde aus Spitzenvertretern aller sieben Parteien, die voraussichtlich im neuen Bundestag vertreten sein werden, hätte sich Schulz in würdiger Kulisse beweisen können. Hier kamen die Themen zur Sprache, die er im TV-Duell so sehr vermisst hatte. Weil dafür aber der SPD-Kanzlerkandidat fehlte, blieb es bei einem Abend mit überschaubarem Erkenntnisgewinn.

Los geht es – spät um 22 Uhr – schon nur lauwarm: „Brüllen ist nicht in Ordnung“, darf Merkel-Vertreterin Ursula von der Leyen zum Thema Wutbürger sagen; Alexander Gauland dementiert im Gegenzug, dass seine AfD Anti-Merkel Proteste logistisch unterstützt; Manuela Schwesig, beantwortet die Frage, warum es der SPD nicht gelungen sei, Wechselstimmung zu erzeugen, mit vielen Worten aber ohne etwas zu sagen; und als Sahra Wagenknecht (Linke) gegen Sozialabbau loswettern möchte, wird sie unterbrochen: „Wir kommen noch auf die Themen.“

Eigentlich läuft das Glas doch über!

Als das Moderatoren-Doppel aus Bettina Schausten (ZDF) und Tina Hassel (ARD) dieses Versprechen dann wahr macht, ist auch schon ein Drittel der Sendezeit vorbei. Um soziale Gerechtigkeit soll es jetzt gehen, aber bitteschön der Reihe nach. Es herrscht offensichtlich Deutungsbedarf: Wie schlimm ist die Lage tatsächlich?

Während sich Ursula von der Leyen und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sinngemäß streiten, ob das Glas denn nun halb voll oder halb leer sei, wundert sich CSU-Mann Joachim Herrmann: Eigentlich läuft das Glas doch über! Dahoam in Bayern zumindest sei’s super und Altersarmut sowieso bloß eine Art statistischer Täuschung.

Als er von „komischen Durchschnittsberechnungen“ spricht, blickt er bei Schwesig und Göring-Eckardt in fassungslos geöffnete Münder. „Niemand geht Flaschen sammeln wegen eines Rechenfehlers“, sagt Wagenknecht. Christian Lindner mischt sich ein: „Wir haben noch keinen Gedanken daran verschwendet, dass wir alles, was wir verteilen wollen, vorher in hartem Wettkampf erwirtschaften müssen.“

Es sind die üblichen Gräben, entlang derer sich die sieben Kandidaten aufreiben. Das ist für die Zuschauer nützlich, die sich kurz vor der Wahl endlich mal schnell die grundlegenden Positionen vergegenwärtigen wollen – tektonische Verschiebungen in der Wählergunst dürften nach dieser letzten TV-Runde aber höchstens unter dem demoskopischen Mikroskop zu beobachten sein.

Mehr Polizei wollen alle

Beim Thema Bildung gelingt es den potentiellen Koalitionspartnern nicht, von der Leyen oder Herrmann auf klare Aussagen zum Ende des Kooperationsverbots festzunageln. „Koordinierung darf nicht Nivellierung nach unten bedeuten“, findet Herrmann.

Einig sind sich immerhin alle, dass Lehrer in Zukunft einfacher das Bundesland wechseln können sollten. Und irgendwie auch, dass der Bund zumindest über Finanzierung die Schulen stärken müsse – dabei verbietet das Kooperationsverbot bislang genau diese finanzielle Einmischung in die Länderkompetenz Bildung.

„Mehr Polizei“ – in einem Einspielfilm ist die Forderung aus dem Mund von VertreterInnen aller anwesenden Parteien zu hören. Wieder profiliert sich Joachim Herrmann, diesmal mit einer Bewerbung für Thomas de Maizères Innenministerium. Den Posten hat er in Bayern.

Dort gebe es, sagt er, „kein einziges besetztes Haus“. Seine Kompetenz und Konsequenz sei er gerne bereit auch ins Bundeskabinett einzubringen. Hört man Herrmanns Loblieder auf den Freistaat, wünscht man ihm aber beinahe, dass ihm der Kulturschock Berlin erspart bleibt.

Souverän geschlossene Reihen

Erfreulich: Von den neun Menschen am Tisch sind sechs weiblich, Alphatiere sind trotzdem alle neun. Oft genug wird wild durcheinander geredet, so dass sich Tina Hassel manches Mal fast die Ohren zuzuhalten scheint: „So versteht zu Hause keiner mehr was.“

Das gilt sicher auch, wenn bei den Themen Rente und Bildung ständig mit Milliardensummen hantiert wird. Die wenigsten Zuschauer dürften auch nur ansatzweise ein Gefühl dafür bekommen haben, welche Unterschiede bei den bereitgestellten Mitteln welchen Einfluss auf ihr konkretes Leben haben. Die Zahlen suggerieren bloß: Es geht um sehr, sehr viel. Da hilft auch nicht, wenn immer wieder eine hypothetische Krankenschwester herbeizitiert wird.

So groß die Differenzen bei Sozial- und Bildungsthemen sind – geht es um rechtsnationale Thesen, sind die Bundestagsparteien (plus FDP) offensichtlich bereit, ihre Reihen souverän zu schließen. Zwar darf Alexander Gauland einmal mehr großmütig das fehlende Rentenkonzept der AfD eingestehen und Zweifel am menschengemachten Klimawandel äußern, zu substantielleren Statements kommt er aber nicht.

Das ist die wichtigste und erfreulichste Lektion der „Schlussrunde“ vor der Wahl: Vielleicht gelingt es ja auch trotz AfD im Bundestag, die Politik inhaltlich stark – wenn eben auch unterhaltungsarm, anstrengend und nervig – zu halten.

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Thilo Adam
Schreibt für Stern, ZEIT, Spiegel, taz. Teil des 39. Lehrgangs der Henri-Nannen-Schule. Studierte Jazzschlagzeug an der Musikhochschule Stuttgart.
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4 Kommentare

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  • 3G
    35730 (Profil gelöscht)

    Warum wird eigentlich die Rente bei Frauen und Männern nicht von den Reichen aufgestockt? Stichwort Reichensteuer = Rentenzusatzsteuer.

     

    Oder die bedingungslose Rente. Bei 20Mio Rentnern und 1200€ für Männer UND Frauen wären das schlappe 24Mrd, auf die 100 Reichsten verteilt ist das ja wohl das Mindeste, was die Senioren erwarten können. Außerdem: Rentner steuerfrei stellen. Daß die Renten besteuert werden, ist eine Katastrophe. Auch, daß Rentner nicht eigenständig arbeiten dürfen ohne Abzüge. Einkommens-, Gewerbe- und Hundesteuer weg für Rentner!

     

    Mit Schäuble nicht zu machen. Rentner, die Merkel wählen, wählen ihre eigene Armut. DAS wurde gestern nicht gesagt.

     

    Anstatt zweifelhafte österreichische Modelle zu kopieren, sollten die Linken auch mal langsam anfangen, ihre programmatischen Schwächen zu erkennen.

     

    Daß die B90Grünen jetzt auch auf den populistischen und einzig für Mütter gedachten Alleinerziehenden-Zug aufspringen, qualifiziert sie eindeutig mit der SPD für die Opposition. Leider, denn Frau Barley wäre kompetenter als alles Grüne, Linke und blondgefärbte zusammen.

     

    Warum hat niemand erwähnt, daß Frau Schwesig ihr Kind auf eine Privatschule steckt?

     

    Von der AfD waren natürlich keine konstruktiven Inhalte zu erwarten. Und daß die CDU irgendwas von Pflege faseln, ist wirklich ein Witz. Damit, daß die Verteilung von unten nach oben stattfindet, hat keiner gekontert. Armselig. Ob Hermann jetzt die Münchenisierung der Bullen in Berlin durchsetzt, ist genauso unbeholfen und inkompetent wie das Verlangen nach mehr Lehrern. Es gibt schlicht keine.

     

    Die von der FDP angesprochene "harte, internationale Konkurrenz, gegen die hier erstmal gewirtschaftet werden muß" ist auch hausgemacht und zudem geheuchelt. Der angepeilte Sozialabbau zum Tragen der Milliardenklagen (z.B. Vattenfall) ist ein Produkt ihrer arbeitnehmerfeindlichen Wirtschaftspolitik.

     

    Erschreckend, wieviel geballte Inkompetenz und Vertuschungspersonal da gestern versammelt war. Aber reden können sie!

  • gott sei dan it es am sonntag vorbei aber dann kommen die nachwehen, ich habe gottseidank kabeltv sodass ich diesem politischen dauerfeuer von merkel und sculz usw entkommen kann

  • Warum spricht NIEMAND das eigentliche Thema an, daß zu Armutsrenten führte:

    es gibt keine Armutspensionen! Warum wohl nicht?

    Weil Pensionsempfänger eine - nach dem "lebenserfahrenen" Dr. Tauber - ordentliche und Lückenlose Erwerbsbiographie haben..... und wer hat die erarbeitet?

    Die Leute mit der Erwerbsbiographie wie ein Dr. Tauber waren es nicht.

     

    Wir sollten uns alle so allmählich damit beschäftigen, dass wir für unsere Kinder und Enkel tätig werden. https://www.generationenmanifest.de/

    • @Klaus W. Knabenschuh:

      "es gibt keine Armutspensionen!"

       

      Man sollte auch die Verdienste der großen Koalition anerkennen.

       

      -Die Beamtenpensionen sind sicher

       

      -Für ehemalige Abgeordnete gibt es keine Altersarmut.

       

      -Die Altersversorgung von Ärzten, Rechtsanwälten und Apothekern ist nach wie vor gut