Was ist Phase am Sonntag?: „Eine gute Sozialpolitik“
? Frau Küçük, worum geht’s bei der Wahl am Sonntag wirklich – insgesamt?
Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik wird eine rechtsnationale, teils faschistische Partei in den Bundestag einziehen, der es bereits im Vorfeld gelungen ist, den Diskurs nach rechts zu verschieben. Bei dieser Wahl geht es darum, die demokratischen Parteien zu stärken. Wir sehen gerade in Ländern wie Polen, Ungarn und der Türkei: Wenn die Demokratie ins Wanken kommt, ist es ungeheuer schwer, sie wieder einzurichten. Deshalb geht es darum, zur Wahl zu gehen und das Kreuz bei einer demokratischen Partei zu setzen, die Chancen hat, über 5 Prozent zu kommen.
? Und Ihnen persönlich?
Ich finde es beschämend, wie wir als Nation, der es im Vergleich derzeit so unheimlich gut geht, die ganze Zeit nur über Ängste und Gefahren sprechen statt von unserer Verantwortung in diesen Zeiten.
? Was zählt ab Montag?
Momentan kursiert der Satz: „Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie im Augenblick.“ Meistens endet dieser Satz dort. Ich glaube, es ist notwendig, diesen Satz wie folgt fortzuführen: „und gerade deshalb ist es fundamental wichtig, dass wir unseren Reichtum für die noch marginalisierten Gruppen der Gesellschaft einsetzen, für die Kinder, die unter der Armutsgrenze leben, für Menschen, die von Altersarmut betroffen sind, für die von Flucht Betroffenen etc. Eine gute Sozialpolitik wird darüber entscheiden, ob wir in vier Jahren eine veritable Gefahr von rechts haben werden oder nicht. Die Politik wird sich daran messen lassen müssen, ob es gelingt, aus der derzeitigen Position der Stärke auch an die Schwachen in der Gesellschaft zu denken.
? Worauf kommt es an für die Zeit nach Merkel?
Wir müssen daran arbeiten, dass ein linkes Bündnis wieder eine veritable Alternative wird. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum wir nach zwölf Jahren Merkel nicht an diesem Punkt sind. Neue linke, soziale Konzepte für eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert müssen erarbeitet werden.
? Wie umgehen mit der AfD?
Wichtig ist, dass die anderen Parteien sich nicht wie bisher die Themen von der AfD vorgeben lassen. Auch die Medien müssen verstanden haben, dass sie mit einer überproportionalen Beachtung der AfD nur behilflich sind. Wichtig wird sein zu kontern, Haltung zu zeigen und alle nicht grundgesetzkonformen Vorhaben dieser Partei mit allen Mitteln des Rechtsstaats zu verfolgen.
Esra Küçük ist Mitglied im Direktorium des Maxim Gorki Theaters in Berlin
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