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Islamischer Staat Deutschland vor Gericht

Terror Ab Dienstag steht der mutmaßliche Kopf des IS in Deutschland vor Gericht. Ahmad A., genannt Abu Walaa, soll Selbstmordattentäter rekrutiert haben

von Sabine am Orde

Die beiden jungen Männer sind Mitte zwanzig, blond und blauäugig, am Kinn haben sie mehr Flaum als Bart. Sie schauen freundlich, aber ernst in die Kamera. In ihren Händen halten sie einen Koran, hinter ihnen hängt die Flagge des „Islamischen Staats“ (IS). Das Foto, das auf den ersten Blick wie aus einem Familienalbum entnommen wirkt, stammt aus dem IS-Propagandamagazin Dabiq. Anfang 2015 feierte die Terrororganisation dort Kevin und Mark K., Zwillinge aus Castrop-Rauxel, als Märtyrer.

Mark K., ein Zeitsoldat, tötete als Selbstmordattentäter im Irak mindestens zwölf Regierungssoldaten. Sein Bruder Kevin, der Jura studiert hatte, sprengte sich bei einem Angriff auf das Hauptquartier der irakischen Armee mit einem Militärfahrzeug in die Luft. 140 Menschen starben mit ihm.

Ab Dienstag stehen im niedersächsischen Celle fünf Männer vor der Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichts, die die Brüder und zahlreiche andere Männer für den IS rekrutiert und nach Syrien geschleust haben sollen. Kopf der Gruppe soll der 33-jährige Iraker Ahmad Abdulaziz Abdullah A. sein, der sich auch „Abu Walaa“ nennt. Die Ermittler halten ihn für den „Repräsentanten des IS in Deutschland“, also die Nummer eins der Terrororganisation hierzulande.

Der 32-Jährige, der aus dem Irak stammt, kam 2001 als Asylsuchender nach Deutschland, zuletzt lebte er in Tönisvorst bei Krefeld. Er predigte als Imam in der Moschee des inzwischen verbotenen Vereins „Deutscher Islamkreis Hildesheim“ radikal-islamische Inhalte und war auch bundesweit als Prediger unterwegs.

„Der Kronzeuge ist ein Hochstapler, der in weiten Teilen fabuliert“

Abu Walaas Verteidiger, Peter Krieger

Im Internet veröffentlichte er Videos, in denen er gegen Ungläubige hetzte. Er inszenierte sich dabei geheimnisvoll als „Prediger ohne Gesicht“ – von hinten aufgenommen oder von der Brust abwärts. Sein Gesicht sieht man nie. Laut Anklage soll sich Abu Walaa offen zum IS bekennen und direkte Kontakte zu zur Führung der Terrororganisation haben.

Nach den Erkenntnissen der Ermittler gab es in dem Netzwerk eine klare Aufgabenteilung: Hasan C., ein 50-jähriger Türke, und der 36-jährige Deutschserbe Boban S. brachten Gleichgesinnten und Ausreisewilligen Arabisch und die ideologischen Grundlagen für die künftige Mitarbeit beim IS bei. Abu Walaa billigte die Ausreisen und organisierte sie, für die konkrete Umsetzung sollen zwei weitere Männer zuständig gewesen sein. Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, soll Kontakt zum Abu-Walaa-Netzwerk gehabt haben, auch die jungen Männer, die den Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen verübten.Die Ermittler hatten die Gruppe schon seit 2015 im Blick, ein V-Mann des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts berichtete mehr als ein Jahr lang über ihre Aktivitäten. Für Festnahmen aber reichten die Beweise nicht.

Dann packte ein ehemaliger Anhänger Abu Walaas aus: Anil O., ein Medizinstudent aus Gelsenkirchen, dem das Netzwerk bei der Reise zum IS geholfen hatte. Vom brutalen Vorgehen des IS abgestoßen, kam O. zurück. Inzwischen ist er wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt – allerdings nur zu einer Bewährungsstrafe. O. ist der Kronzeuge der Anklage. Die Aussage wirkte sich strafmildernd für ihn aus.

Hier liegt, wie so oft, der Angriffspunkt der Verteidigung. „Der Kronzeuge ist ein Hochstapler, der in weiten Teilen fabuliert“, sagte Abu Walaas Verteidiger, der Bonner Rechtsanwalt Peter Krieger, der taz. Sein Mandant schweigt bislang zu den Vorwürfen.

Ein anderer wichtiger Zeuge wird wohl im Prozess fehlen. Für den V-Mann des Landeskriminalamts haben die Sicherheitsbehörden einen Sperrvermerk verhängt, wie der Kölner Stadtanzeiger berichtet. Die Begründung: Eine Aussage sei zu gefährlich. Abu Walaa hatte bereits im September 2016 dazu aufgerufen, den Mann zu töten. Seine Aussage wäre über den Prozess hinaus interessant: Der V-Mann hatte auch Kontakte zu Anis Amri.

Das Gericht hat bislang 29 Prozesstermine bis Ende Januar angesetzt, ab Februar soll jede Woche dienstags und mittwochs verhandelt werden.

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