: Die Kunst des Kennenlernens
Ausstellung Zum 25-jährigen Jubiläum eröffnet das interaktive MACHmit! Museum eine neue Ausstellung, die Kindern die Komplexität indianischer Kulturen vermittelt. Und feiert eine bunte Geburtstagssause
von Sylvia Prahl
Indianer. Bei diesem Thema klaffen Realität und die literarische sowie mediale Verarbeitung himmelweit auseinander. Schon das Wort „Indianer“ ist Ausdruck einer noch immer kolonialen Perspektive, weshalb selbst im Kita-Karnevals- und Abenteuergeschichtenkontext inzwischen eine Sensibilisierung für seine Verwendung zu erkennen ist.
„Der Begriff Indianer sagt mehr aus über unsere Sehnsucht. Man kann einzelne Leute kennenlernen, nicht ganze Kulturen“, sagt die freie Kuratorin Eva von Schirach. Zusammen mit der pädagogischen Leiterin des MACHmit! Museums, Maren Klingbeil, und Geschäftsführerin Ute Rinklebe hat sie bei der Konzeption der aktuellen Jahresausstellung viel darüber diskutiert, der etwas kantige Ausstellungstitel „Der weite Horizont. Indianische Kulturen und die Kunst des Kennenlernens“ zeugt von dieser intensiven Auseinandersetzung.
Meine drei Kinderreporterinnen C., G. und M. sind von derlei Überlegungen unbeeindruckt. Kaum haben sie das Museum betreten, schwärmen sie aus, kommen sogleich mit roten Gummipferden angehoppelt, erkunden das weitläufige Terrain. Unterdessen betrachte ich Fotos vom Reservat der Lakota, höre mir das Radioprogramm von Kili Radio an, einem Radiosender der Lakota, der internationale Hits spielt. Hier soll verdeutlicht werden, dass Native Americans in Reservaten leben, ihr Lebensalltag aber mit den altbekannten Abenteuergeschichten nichts mehr zu tun hat.
Bei den Recherchen empfand es von Schirach besonders „hart, dass die Geschichte so schrecklich ist, in allen ihren Facetten“. Um den Spagat zwischen Abenteuergeschichten und Realität zu leisten, biete die Ausstellung deshalb keine folkloristischen Informationen zu einzelnen Stämmen, sondern einen allgemeinen Überblick. Die Vertiefung in Details könne erfolgen, wenn die jungen AusstellungsbesucherInnen selbst herausgefunden hätten, was sie am komplexen Thema interessiere.
Die Kinder sind inzwischen auf die Standfahrräder gewechselt. Mit ihrer Hilfe wird ein Film in Gang gesetzt, der sie durch die Stadtprärie führt. Danach wird das Auswandererschiff geentert, Hinweise, wer da wann ausgewandert ist und was die Auswanderer in Amerika getrieben haben, werden zur Kenntnis genommen, und schon sind wir an den Bahngleisen. Dort fertigen wir Conchos, in dem wir Kronkorken mit Steinen platthauen. Die für ihr Silberhandwerk berühmten Navajos fertigten den Schmuck anfangs aus Silberdollars.
Schick geschmückt sehen wir uns einen DDR-Indianer-Film an, den ein Vater in den 70er Jahren mit seinen Lieben gedreht hat. Danach ziehen ausgestopfte Bisonköpfe unsere Aufmerksamkeit auf sich, und ein Foto, auf dem sich ein Berg als aus tausend sorgfältig aufgeschichteten Bisonköpfen entpuppt. Die Mädchen sind entrüstet, diskutieren bei der Station, die über Landenteignung durch die US-Regierung informiert, über die Ungerechtigkeit, die Native Americans widerfahren ist.
Der Plan der Ausstellungsmacherinnen, „Fragen aufzuwerfen und die Neugier auf andere Lebensweisen und Kulturen zu entfachen“ ist bei C., G., und M. aufgegangen. Sie befühlen ein Biberfell, das zum Tauschhandel genutzt wurde, posieren vor einer Federhaube, tanzen mit Schellentüchern verkleidet zur Musik von Supaman, der in modernisiertem Adlerkostüm als „Native Breakdancer“ indigene Kultur in den popkulturellen Mainstream dropt, bemalen Stempel und basteln Schlüssellochmonster, wie sie auf dem ausgestellten Tipi zu sehen sind: Das grüffeloartige Zotteltier sollte unliebsame Besucher fernhalten. Sie sind viel zu sehr beschäftigt mit den angebotenen Aktionen, mit dem fest installierten Klettergerüst des Hauses oder den optischen Täuschungen im Spiegelkabinett, als dass sie Muße hätten, sich in der Abenteuerleseecke mit Karl May zurückzuziehen oder die Indianersachbücher zu konsultieren. Texte, die über die Demokratie der Irokesen und den Iro oder die Silbenschrift der Cherokee informieren sind wohl eher etwas, das Kita- und Schulgruppen bei geführten Rundgängen wahrnehmen. Kinder, die solo kommen, seien eher spielorientiert, sagt von Schirach. G. schaut sich noch einen kurzen Film von einem Workshop an, bei dem Kinder das Begräbnis von Sitting Bull reenacten (G.: „Die waren ganz schön fleißig.“), während C. und M. auf der Empore gegenüber schon „Pferd“ spielen.
Ich frage mich derweil, warum zwei identische Fotos in Großformat an der Wand hängen. Aber Obacht! Edward Sheriff Curtis, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts indigene Landsleute fotografierte und mit ihnen die Wahrnehmung „des Indianers“ in der westlichen Welt standardisierte, zeigt eine Gruppe Männer einmal mit und einmal ohne eine große Uhr in ihrer Mitte. Das Foto, das um die Welt ging, war das ohne Uhr, das archaische, weise Image der Indianer wurde manifestiert. Das Anliegen, mit gängigen Klischees aufzuräumen, wird angegangen, indem diese erst einmal ins Bewusstsein gerückt werden. Um das Vorurteil zu illustrieren, die Mohawk seien komplett schwindelfrei, weshalb sie während der Industrialisierung beim Hochhausbau bevorzugt als Arbeiter eingestellt wurden, ist eine Baustelle aufgebaut. Die Mädchen balancieren auf Stahlträgern und blicken auf ein am Boden liegendes riesiges Foto, das unter ihnen liegende Straßenschluchten zeigt.
Das Angebot, den Blick zu erweitern und das Denken in gängigen Kategorien zu hinterfragen, macht die Ausstellung spielerisch. Die Kinderreporterinnen fanden sie nicht nur interessant, sondern hatten auch Spaß. Fazit C.: „Man konnte Sachen gut erforschen.“ Ergänzt von M.: „Und selbst herausfinden.“ Außerdem G.: „Keiner hat was angesagt.“
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