Die Wahrheit: Alle gegen Alice

Seit Kindesbeinen ist die AfD-Politikerin Weidel der frechen Intoleranz ausgesetzt. Sie behält sich vor, auch diese Kolumne frühzeitig zu verlassen.

Alice Weidel hatte es nicht leicht. Sie wuchs auf im robusten Nordrhein-Westfalen, wo man über Frauen wie sie schon mal Nazi-Schlampen-Witze macht. So etwas gehört sich nicht! Aber die Menschen dort sind grob. Ich weiß das, ich komme da weg.

Noch heute erzählt man sich zwischen Versmold und Harsewinkel, wie ein Klassenkamerad einst im Unterricht Alices Meerschweinchen mit den Worten beleidigte: „Das hat doch eine Hitler-Frisur!“ Wutentbrannt packte sie dem Vernehmen nach ihre Sachen und verließ den Unterricht, noch im Hinausgehen kritzelte sie eine „Stellungnahme“ auf Löschpapier, die sie an den Klassenraum pappte: „Die Lehrerin Schulze-Niehoff hat sich in der heutigen Mathe-Stunde als parteiisch und vollkommen unprofessionell geoutet. Sie hat sich mit der frechen Intoleranz und Nagetierfeindlichkeit des doofen Christian gemeingemacht. Das ist einer öffentlichen Schule unwürdig. Ein weiterer Grund, die Zahlung des Kakaogeldes zu verweigern.“

Bald darauf zog Alice zum Studium nach Bayreuth, wo die Menschen feinsinniger und zivilisierter sind. Dachte sie. Doch die Wirklichkeit holte sie bald ein. Auf offener Straße wurde sie von ihrer Nachbarin angesprochen, dass ihr Hund aus dem Maul stinke wie Goebbels persönlich! Da packte sie ihre 88 Sachen, nicht ohne zuvor eine „Stellungnahme“ an das Einwohnermeldeamt zu schicken: „Das Verhalten des Polizeichefs Dirnmeidl dient nicht der demokratischen Willensbildung, sondern verzerrt sie und ist zutiefst unprofessionell. Herr Dirnmeidl sollte seine persönlichen Animositäten nicht in der eigenen Gemeinde ausleben. Ein weiterer Grund, die Zahlung von Steuern in Deutschland zu verweigern.“ Fortan zahlte sie lieber in der Schweiz ihre Steuern (immerhin fast halb so viel!).

Doch wie bei vielen starken Frauen reagiert das Umfeld unverständig. Alice Weidels Leben ist ein Spießrutenlauf. Kaum betritt sie eine Bäckerei, bestellt jemand in der Schlange vor ihr Zimtschnecken, die sie doch so sehr hasst. Klar, dass sie den Laden gleich wieder verlässt und sich weigert, ihre Brötchen zu bezahlen. Kommt sie in eine Gaststätte, sitzt garantiert zwei Tische weiter ein Frechling, der demonstrativ „Kleiner Feigling“ bestellt. Folge: unverzüglicher Rückzug und „Stellungnahme“ auf einem Bierdeckel. Die Ignoranz des Wirts ist ein Grund mehr, die Zeche zu prellen.

Doch nun hat Alice mit der AfD eine verständnisvolle Selbsthilfegruppe gefunden, voller Menschen, die es kennen, dass ihnen dauernd andere Meinungen entgegengehalten werden, dass die Presse ständig etwas schreibt, was ihnen nicht gefällt, und dass im Fernsehen nie ihre Lieblingssendung wiederholt wird. Nun geben sie uns eine letzte Chance. Denn sie stehen für die schweigende Mehrheit. Wenn bei den nächsten Wahlen aber wieder irgendwelche frechen, intoleranten Parteien mehr Stimmen bekommen, gehen sie endgültig!

Mal sehen, wer dann schuld ist. Marietta Slomka? Oliver Welke? Woozle Goozle? Wir warten mit Interesse auf Alice Weidels Stellungnahme.

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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kari

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