Vor der Wahl in Kenia: Ein Land hält die Luft an

Es gäbe viele Gründe, die Regierung von Präsident Uhuru Kenyatta am Dienstag abzuwählen. Wenn nur die Furcht vor ethnischer Gewalt nicht wäre.

Ein Mann vor einer großen Menschenmenge

Der kenianische Oppositionsführer Ralla Odinga Foto: dpa

NAIROBI taz | Die Spannung steigt in Kenia vor den Wahlen am Dienstag. Die erhitzten Gemüter werden nur wenig besänftigt durch die aktuelle Winterkälte. Die Gruppen von Kenianern, die überall in Nairobi, der Hauptstadt auf rund 1.500 Meter Höhe, über die Wahlen diskutieren, tragen dicke Jacken und Stiefel. „Kenia ist mehr oder weniger zum Stillstand gekommen“, sagt John Githongo, der international bekannte frühere Chef der Antikorruptionsbehörde, jetzt Leiter einer Organisation für politische Bildung.

Die letzten Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin: Gegen Präsident Uhuru Kenyatta mit seiner Regierungsallianz „Jubilee“ tritt Raila Odinga an, der Führer der großen Oppositionskoalition „Nasa“ (National Super Alliance). Momentan hat offenbar keiner der beiden 50 Prozent der Wähler hinter sich. Diese sind – zusammen mit mindestens 25 Prozent der Stimmen in mindestens der Hälfte der 47 Distrikte – nötig, sonst gibt es eine Stichwahl. Odinga soll im Wahlkampfendspurt aufgeholt haben.

Die 50-Prozent-Regel ist neu für Kenia, sie macht das Rennen noch weniger vorhersehbar. Bisher hat in Kenia zwar noch nie ein Präsident, der die Wiederwahl ­anstrebte, verloren, aber jeder von ihnen wurde mit weniger als 50 Prozent wiedergewählt.

Seit Einführung des Mehrparteiensystems waren die Wahlen in dem Land stets mehr oder weniger von Gewalt begleitet. Die Parteien haben sich nicht entlang unterschiedlicher Ideologien gebildet, sondern sie vertreten verschiedene Volksgruppen. Viele Kenianer glauben: Wenn ihre Partei gewinnt, wird das Leben für die ganze Ethnie besser – und wenn ihre Partei verliert, ist die ganze Gemeinschaft benachteiligt. Deshalb sind Wahlen in Kenia beinahe eine Sache von Leben und Tod.

Oppositionspolitiker haben kein Vertrauen mehr zur Justiz

Die Furcht vor Gewalt ist diesmal besonders groß. Seit Wochen treffen Kenianer Vorkehrungen für eine Zeit der Unruhe nach diesen Wahlen. Der mysteriöse Mord am Computerchef der Wahlkommission, Chris Msando, vor einer Woche, hat die Ängste angeheizt. Msando galt als Garant dafür, dass die Wahlkommission bei der Stimmenauszählung nicht schummelt.

„Die Opposition glaubt, ihr sei bei den vorigen zwei Wahlen der Sieg durch Betrug gestohlen worden“, erläutert Githongo. „Jetzt sagen Oppositionspolitiker und deren Anhänger, dass sie ihr Vertrauen in die Justiz verloren haben. Und wenn sie wieder durch Manipulation verlieren, würden sie nicht mehr vor Gericht ziehen. Die Kenianer fragen sich, ob das bedeutet, dass es zu Straßenschlachten kommen kann.“

Die Frage ist nun, ob sich die jüngeren Wähler ebenso wie ihre Eltern bei der Wahl an ethnischen Linien orientieren

Jeder weiß, was das heißen würde: Nach den Wahlen Ende 2007, als der Oppositionskandidat Odinga sich als Gewinner der Wahl betrachtete, der damalige Amtsinhaber Mwai Kibaki sich jedoch zum Sieger erklärte, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen. Dabei starben mehr als 1.300 Menschen, eine halbe Million wurde aus ihren Häusern vertrieben.

Unabhängige Untersuchungen kamen danach zu dem Schluss, dass hochrangige Politiker zu den Gewalttätigkeiten angestiftet hätten. Mehrere wurden deswegen vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt – darunter der heutige Präsident Uhuru Kenyatta, damals einer von Kibakis Ministern, und sein heutiger Vizepräsident William Ruto, damals mit Odinga in der Opposition verbündet.

Wichtige Themen: Wirtschaftslage und Korruption

Die Klage in Den Haag war einer der Gründe dafür, dass sich Kenyatta und Ruto bei den nächsten Wahlen 2013 verbündeten und die Wahlen gewinnen konnten. Die Verfahren in Den Haag brachen daraufhin zusammen: Zeugen zogen ihre Aussage zurück, weil sie bedroht oder bestochen wurden. Es mangelte an Beweisen, die Anklagen wurden fallen gelassen.

Nun versucht Raila Odinga zum dritten Mal, eine Wahl zu gewinnen. Der Politiker gehört Kenias drittgrößter Volksgruppe, den Luo, an. Er hofft, mit seinem neuen Bündnis Nasa landesweit punkten zu können. Es gäbe viele Gründe in Kenia, die Regierung an der Wahlurne abzustrafen. Laut Umfragen sind die wichtigsten Themen der Wähler – von denen etwa die Hälfte zwischen 18 und 35 Jahre alt ist – die Wirtschaftslage und die Korruption. Jeder Fünfte der 48 Millionen Kenia­ner ist arbeitslos, unter den Jüngeren sind es noch viel mehr. Das Wirtschaftswachstum von 5 bis 6 Prozent im Jahr ist zwar höher als der afrikanische Durchschnitt, reicht aber nicht aus, um an der Lage der Jugend viel zu ändern. Arbeitsplätze entstehen vor allem im informellen Sektor, wo es keine Garantie eines festen Gehalts gibt.

Korruption ist endemisch in Kenia, und unter der Regierung Kenyatta hat sie eher zugenommen. Nach Berechnungen der Antikorruptionskommission geht jedes Jahr ein Drittel des Staatsbudgets durch Korruption verloren – das wären etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Regierung streitet das ab. Aber ständig machen Korrup­tionsskandale Schlagzeilen: So verschwanden aus den Kassen des National Youth Service (NYS), einer staatlichen Zivildienstbehörde, umgerechnet 12 Millionen Euro. Die verantwortliche Ministerin Anne Waiguru trat zurück – aber jetzt kandidiert sie für die Regierungspartei als Gouverneurin im Distrikt Kirinyaga.

In der Hälfte der Distrikte ist mit Gewalt zu rechnen

„Die Bevölkerung ist wütend, weil die Spitzenamtsträger nie bestraft werden. Das ermutigt andere, sich auch korrupt zu verhalten. Und das alles, während 40 Prozent der Kenianer unter der Armutsgrenze von einem Euro pro Tag leben“, sagt Githongo kopfschüttelnd.

Die Frage ist nun, ob sich die jüngeren Wähler ebenso wie ihre Eltern bei der Wahl an ethnischen Linien orientieren. Githongo hofft auf einen Bewusstseinswandel: „Ich glaube, sie gehen die Politik moderner an. Das zeigten die Vorwahlen in den Parteien dieses Jahr. Eine Menge Politiker, die schlecht oder gar nicht gearbeitet haben, verloren trotz ihrer Ethnie. Das war das Werk vor allem der jungen Parteimitglieder.“

Ob die Wahlen Wandel bringen oder Gewalt, könnte sich am ehesten auf der Ebene der 47 Distrikte zeigen, die im Jahr 2013 an der Stelle der vorherigen Provinzen geschaffen wurden. Sie haben eigene Parlamente und Gouverneure, die jetzt ebenfalls neu gewählt wurden.

In der Hälfte der Distrikte ist mit Gewalt zu rechnen, meint Githongo. „ Wir können nur hoffen, dass die Kontrahenten ihren Streit auf den Wahlzetteln austragen und nicht auf der Straße.“

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