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Volk stimmt gegen Venezuelas Mächtige

Venezuela 6,4 Millionen BürgerInnen sprechen sich in einem Referendum gegen die Pläne des Präsidenten aus, die Verfassung zu ändern – Opposition sieht sich durch die Wahl gestärkt. Frau nach Stimmabgabe erschossen

Aus Buenos Aires Jürgen Vogt

Ein Fest für Demokratie und Freiheit sollte es werden. Rund 7,2 Millionen VenezolanerInnen beteiligten sich am Sonntag an einem von der Opposition organisiertem Referendum. Waren die Menschen am frühen Morgen gut gelaunt und fast euphorisch zu den Orten der Abstimmung gepilgert, so wurde der Tag durch den Mord an einer Frau überschattet, die gerade ihre Stimme abgeben hatte.

Bei einem bewaffneten Überfall wurde die Frau getötet, drei weitere Menschen wurden verletzt. Der Überfall ereignete sich in einem Arbeiterviertel im Westen der Hauptstadt Caracas. Fernsehbilder zeigten Menschen, die in Panik vor den Schüssen flohen. Viele suchten Schutz in einer nahe gelegenen Kirche. Die Opposition machte die Colectivos – regierungsfreundliche paramilitärische Gruppen – für den Angriff verantwortlich.

Der Tod der 61-Jährigen setzt die Liste mit den über 90 Todesopfer fort, die bei Demonstrationen und Straßenkämpfen in den vergangenen Monaten zwischen der rechten Opposition sowie Polizei und Nationalgarde zu beklagen sind. Die katastrophale Wirtschafts- und Versorgungslage, staatliche Willkür und eine extreme Kriminalität sind die sichtbarsten Facetten einer seit Jahren schwelenden sozialen und politischen Auseinandersetzung. Angefacht wurde sie Ende März durch die vorübergehende und verfassungswidrige Entmachtung, der von der Opposition mehrheitlich dominierten Nationalversammlung durch den regierungshörigen Obersten Gerichtshof.

Um die Lage zu beruhigen, hatte Präsident Nicolás Maduro Anfang Mai überraschend zur Wahl einer verfassunggebenden Versammlung aufgerufen. Zwar gingen die täglichen Ausein­andersetzungen auf der Straße weiter, aber der Streit drehte sich nun auch um die Frage, ob der Präsident eine solche Versammlung überhaupt einberufen kann – oder ob er zuvor die Zustimmung der Bevölkerung einholen muss. Die Opposition ist von Letzterem überzeugt. Sie ist überzeugt: Mit der geplanten ­Verfassungsänderung will Maduro seine „Diktatur“ weiter verfestigen und die bereits seit Dezember 2016 verschobenen Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen endgültig ausfallen lassen.

Am Sonntag ließ die Opposition darüber abstimmen; gut 6,4 Millionen Stimmberechtigte sprachen sich gegen das Vorhaben des Präsidenten aus. Das Resultat ist jedoch nicht bindend. Nüchtern betrachtet dürfte das Ergebnis hinter den allgemeinen Erwartungen zurückgeblieben sein. Gemessen an den rund 19 Millionen Wahlberechtigten lag die Beteiligung bei unter 40 Prozent.

Seit Wochen wird das mediale Bild Venezuelas von der Auseinandersetzung zwischen der rechten Opposition und der Regierung geprägt. Während die rechte Ober- und Mittelschicht über genügend Reserven verfügt, um den Mangel durch den teuren Einkauf auf dem Schwarzmarkt zu umgehen, hängen die Regierungsanhänger in den unteren Schichten am Tropf der staatlichen Lebensmittelzuwendungen. Dabei geht unter, dass es zwischen beiden Polen einen großen Teil der Bevölkerung gibt, der mit keiner Seite sympathisiert.

„Die Politik der Rechten würde sich nur unwesentlich von der Politik der Regierung unterscheiden“

Marea Socialista

Eine ganz andere Lesart des Konflikts kommt von der linken Marea Socialista (MS), die sich als chavistische Gruppierung begreift und sich gegen das Regime von Nicolás Maduro stellt. Für sie ist der aktuelle Konflikt der Machtkampf zweier politischen Lager um den Reichtum des Landes, das Öl. Auf der einen Seite stehe die neue Bourgeoisie, die unter dem seit 18 Jahren regierenden Chavismus entstanden sei. Auf der anderen Seite die alte, vertriebene Bourgeoisie, die unter dem Deckmantel einer rechten Opposition um die Rückkehr an die Pfründen kämpft. „Beide setzen auf die totale Kontrolle der Ölrente,“ heißt es in einem Kommuniqué.

Die Politik der Rechten würde sich nur unwesentlich von der Politik der aktuellen Regierung unterscheiden. Das Referendum und die verfassunggebenden Versammlung vertiefen die politische Polarisierung weiter. Die Bedürfnisse der Bevölkerung würden unter den Teppich gekehrt. Als eine der ersten Maßnahmen fordert die MS, die staatlichen Devisen für den Import von Lebensmitteln und Medikamenten, anstatt zur Begleichung der Auslandsschulden zu verwenden. 170 Milliarden Dollar steht die Regierung bei ausländischen Gläubigern in der Kreide. Allein dieses Jahr muss sie 10 Milliarden Dollar zurückzahlen.

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