piwik no script img

SAUEREIAn einer Kirche in Martin Luthers Stadt Wittenberg hängt ein judenfeindliches Relief. Ein Theologe startete eine Petition, es abzunehmen und woanders auszustellen. Der Stadtrat entschied am Mittwoch, es zu behaltenSieben Thesen zur Judensau

Das Relief zeigt einen Rabbi, der einem Schwein in den After schaut. Der Antisemit Martin Luther erweckte in seinem Werk „Vom Schem Hamphoras“ den Eindruck, jüdische Geistliche würden derart im Talmud nach Weisheit suchen Foto: Norbert Neetz/epd

Von Dmitrij Kapitelman

Der Autor wurde 1986 im ukrainischen Kiew geboren und kam als Achtjähriger nach Deutschland. In seinem autobiografischen Debütroman „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“ reist er mit seinem jüdischen Vater durch Israel.

1.Das Relief der Judensau würde im Museum weniger stinken. Aber es zu entfernen hätte nicht einen Antisemiten vom Antisemitismus abgehalten. Dieser Ablasshandel funktioniert nicht.

2.Sie schreien: Wenn ihr die Judensau abmontiert und Neger aus Kinderbüchern streicht, verliert die Kunst ihre Funktion als historisches Zeugnis! Aber hier geht es nicht um Geschichte. 72 Jahre nach dem Holocaust muss fast jede größere jüdische Einrichtung in Deutschland von der Polizei beschützt werden. Menschen werden immer noch als Neger beschimpft. Sie müssen nicht künstlerisch an den Hass erinnert werden, für sie ist er Alltag. Seit Jahrhunderten.

(Kurzer Nachtrag: Historische Zeugnisse sollen sich in Museen angeblich recht wohl fühlen. Und warum hängen wir nicht wieder ein Hakenkreuz in den Reichstag? So als kulturhistorisches Zeugnis.)

3.Stellen wir uns vor, eine Synagoge oder Moschee würde die heilige Maria aufhängen, die sich an der Vulva herumfuhrwerkt. Genau, Selbstmord. Wenn das Schwein bleibt, ist es eine Machtdemonstration dafür, wer in diesem Land die Schmerzgrenzen zieht.

4. Ja, es gibt Kunst, die die Vorurteile ihrer Zeit transportiert, aber dennoch großen Wert für die Gegenwart besitzt. Aber künstlerische Erzeugnisse, deren einziger Inhalt Vorurteile sind, waren schon immer wertlos.

Foto: Stephan Pramme

5.Demeinen oder anderen Juden hätte diese Demutsgeste aber Schmerz erspart. Nur geht es leider nie um die Juden, wenn es in Deutschland um die Juden geht.

6.Die AfD ist extrem an der deutschen Geschichtsschreibung interessiert. Sie verteidigte die Judensau mit einer Petition. Alles andere sei „Geschichtsklitterung“. (6.1 Was ist das für ein Xavier-Naidoo-Wort, Geschichtsklitterung?)

7.Die evangelische Landesbischöfin Ilse Junkermann verlautbarte, die christliche Geschichte sei schmerzhaft und man solle die Statue deshalb beibehalten und aushalten. Mit Verlaub, die christliche Geschichte war hauptsächlich für Nichtchristen schmerzhaft. Und die Judensau müssen vor allem die in Deutschland übrig gebliebenen Juden aushalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen