Bildungsstreik gegen G20: Fehlstunden bei Demo-Teilnahme
Schüler planen eine Demo während der Schulzeit gegen G20. Die GEW rät den Schulen, dies als „praktischen Unterricht“ zu behandeln.
„Die Demonstration findet zu einer Zeit statt, in der Schülerinnen und Schüler zur Teilnahme am Unterricht und Lehrerinnen und Lehrer zur Arbeitsleistung in den Schulen verpflichtet sind“, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt. Eine Demo-Teilnahme in der Unterrichtszeit stelle für Schüler eine „Schulpflichtverletzung“ dar. Sprich: Es gibt einen Fehlstundeneintrag ins Klassenbuch. Und bei Lehrern sei dies eine „Dienstpflichtverletzung“.
Der Brief bezieht sich auf eine Pressemitteilung der Lehrergewerkschaft (GEW) Anfang dieser Woche. Die Gewerkschaft habe Schüler und Bedienstete zum Bildungsstreik „aufgerufen“. Die GEW wehrt sich nun dagegen und spricht von einer „Falschbehauptung“. „Weder haben wir die Kollegen zu einem Streik aufgerufen noch die Schüler“, sagt Frederik Dehnerdt vom GEW-Vorstand. Richtig sei, dass sich die GEW über das Schüler-Engagement freue und die Lehrer anrege, Thema und Aktivität im praktischen Politikunterricht zu behandeln.
„Im Idealfall legt die Schulleitung einen Projekttag zur politischen Bildung fest, diskutiert morgens über den G20 und geht dann mit den Schülern zur Demonstration.“ Die Schüler, die dort nicht hin wollten, blieben bei den anderen Kollegen in der Schule. Projekttage seien von der Schulpflicht gedeckt. Auf diese Weise seien Schulen auch 2013 beim Schülerstreik für Geflüchtete vorgegangen. Nun aber seien Kollegen verunsichert. Dehnerdt: „Ein Lehrer fragt uns, ob er die Demo mit seinen Schülern beobachten und hinterher drüber reden kann, oder ob die Behörde das auch verbietet.“
Der Aufruf für den morgigen Schulstreik zieht einen Bogen vom G20-Gipfel zum hiesigen Bildungssystem. „Wir fordern selbstbestimmtes Lernen“, sagt Bündnis-Vertreterin Laura Kröger. „G20 ist Ausdruck des kapitalistischen Systems“. Dieses dränge die Jugend in Konkurrenz zueinander zu treten. Versprochen werde Chancengleichheit, die es nicht gebe.
„Das Festhalten am Gymnasium und am mehrgliedrigen Bildungssystem finden wir falsch“, ergänzt Jeanine Weigel von der DGB-Jugend Nord. „Der Druck auf Schulen nimmt immer mehr zu.“
Der Aufruf wurde von der Gruppe „Jugend gegen G20“ erarbeitet. Daran beteiligt waren die DGB-Jugend-Nord und 43 weitere Jugendorganisationen.
Am Streik beteiligen sich bisher Schüler von acht Stadtteilschulen und Gymnasien, erwartet werden bis zu 1.000 Teilnehmer.
Doch 2013 wie heute sehen die Juristen der Behörde die Sache anders. Die Demo-Teilnahme als „Praktischer Unterricht“, sei wegen der politischen Neutralität des Schulwesens „ausgeschlossen“, heißt es in dem Brief an die Schulleiter. Und weiter: „Dass auf einer solchen Demonstration die Schülerinnen und Schüler Gefahren ausgesetzt sein können und die nötige Aufsicht nicht zu realisieren ist, wissen Sie.“
Unentschuldigte Fehlzeit
Dazu sagt Dehnerdt: „Die Demo ist per Definition friedlich. Schlimmstenfalls könnte es sein, dass man vom Deichtorplatz gar nicht los kommt.“ Jeanine Weigel von der DGB-Jugend Nord ergänzt: „Wir wissen von Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern auf die Demo kommen.“ Sie nennt die Haltung der Behörde „doppelzüngig“. Denn viele Schulen seien ohnehin durch den Gipfel beeinträchtigt, weshalb die Behörde bereits Eltern erlaubt, ihre Kinder an diesem Tag abzumelden. Das Bündnis stellte gestern ein Muster-Schreiben ins Netz, mit dem Eltern ihre Kinder für die Demo entschuldigen können.
Doch die Schulbehörde bleibt ihrer Linie treu. „Eine Entschuldigung mit der Begründung ,Teilnahme an einer Demonstration' würden wir nicht akzeptieren“, sagt Pressesprecher Peter Albrecht. Es gelte als unentschuldigte Fehlzeit. Es gebe genug andere Möglichkeiten „außerhalb der Unterrichtszeit, seine Meinung kundzutun“. Auch die Grüne Schulpolitikerin Stefanie von Berg hält eine Demo-Teilnahme im Rahmen des Schulunterrichts für „schwierig“. „Erstens gilt die Schulpflicht“, sagt von Berg. Und zudem fänden zahlreiche Demonstrationen außerhalb der Schulzeit statt, die jungen Menschen offen stünden.
Sabine Boeddinghaus, schulpolitische Sprecherin der Links-Fraktion, ist anderer Meinung. SPD und Grüne müssten, nachdem nun schon wegen des G20 Abmeldungen möglich sind, von Drohungen ablassen und „akzeptieren, wenn Schulen Projektunterricht durch Teilnahme an Demonstrationen gestalten.“
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