Schlafen bleibt politisch

Übernachtung Die Stadt Hamburg geht weiter gegen Protestcamps vor, Kirchen und Kulturzentren öffnen ihre Tore. Vor Gericht erringen die Gipfelgegner*innen einen Teilsieg. Und die Polizei setzt Wasserwerfer ein

Polizeieinsatz am Dienstagabend am Pferdemarkt. Danach kamen die Wasserwerfer Foto: Miguel Ferraz

Aus Hamburg Katharina Schipkowski
, Muriel Kalisch
und Amna Franzke

Keine Camps, nirgends. Die Stadt Hamburg will weiter verhindern, dass G20-Demons­trantInnen organisiert auf öffentlichen Flächen übernachten. Nichts unternehmen kann der Senat allerdings dagegen, dass andere Platz zum Übernachten anbieten. Mittlerweile haben zwei Kirchen ihre Gärten für Protestcamper*innen geöffnet. Auch auf der Wiese der Kulturfabrik Kampnagel können Menschen campen. „Wir laden nicht offiziell zum Übernachten ein. Aber niemand muss damit rechnen, vertrieben zu werden“, sagt eine Sprecherin.

Die Genossenschaft der ehemals besetzten Hafenstraßenhäuser auf St. Pauli lud ebenfalls Camper*innen auf eine Grünfläche ein. „Kleinere, dezentrale Camps auf privaten oder kirchlichen Grundstücken sind völlig unproblematisch“, sagte Innensenator Andy Grote. Was anderes bleibt ihm auch kaum übrig.

Wo die Stadt aber Möglichkeiten sieht, die Übernachtungsmöglichkeiten für Auswärtige einzuschränken, versucht sie diese auch zu nutzen. So haben mehrere öffentliche Kulturzentren im Stadtteil Altona in den vergangenen Tagen Anrufe vom Bezirksamt bekommen. Es sei ihnen untersagt, ihre Räume für Übernachtungen von Protestler*innen zur Verfügung zu stellen. Das Kulturzentrum „Kölibri“, die „Motte“ und das „Haus Drei“ bekamen entsprechende Anweisungen. Eine explizite Drohung wurde in keinem der drei Fälle ausgesprochen – allerdings bekommen sie alle finanzielle Förderungen von der Kulturbehörde, die wiederum vom Bezirksamt verwaltet werden. Somit sind sie abhängig. Natürlich sei das Geld der Machthebel, den der Bezirk gegenüber den Kultureinrichtungen habe, sagte ein Mitarbeiter einer der Einrichtungen.

Das Bezirksamt bestätigte die Anweisung und berief sich auf den Brandschutz, der in den Räumen nicht gewährleistet sei, wenn dort Leute übernachteten.

Im Gegensatz dazu steht allerdings das Engagement, das die gleichen Kulturinstitutio­nen, die nun keine Protestierenden unterbringen dürfen, an den Tag legten, als 2015 Tausende Flüchtlinge die Stadt erreichten. Das Kölibri öffnete seine Türen damals ebenso für die Ankommenden wie das Schauspielhaus und auch Clubs wie das Docks auf der Reeperbahn. Damals war der Brandschutz offenbar kein Problem.

Norbert Hackbusch, der kulturpolitische Sprecher der Hamburger Linksfraktion, nennt das Vor­gehen des Bezirksamts gegenüber den Kultureinrichtungen eine Frechheit. „Den gleichen Institutionen, die damals für ihre Flexibilität gefeiert wurden, weil sie kurzfristig Flüchtlinge untergebracht haben, wird jetzt gedroht“, kritisierte er. „Damit beschädigt man das Engagement, das die Zivilgesellschaft damals so stark gemacht hat.“

Auch der Dachverband der Hamburger Kulturzentren sieht das Verbot kritisch: „Obwohl keine Drohung ausgesprochen wurde, macht man sich als Einrichtung natürlich Sorgen über die Konsequenzen, wenn man sich über diese Anweisung hinwegsetzt“, sagt Geschäftsführerin Corinne Eichner. Grundsätzlich dürfe aber kein Einfluss genommen werden, wie die Kulturzentren ihre Räume nutzen. Von verschiedenen Seiten werde immer wieder versucht, die Autonomie der Stadtteilkulturzentren einzugreifen. Deshalb hat der Verein ein Gutachten beim Verwaltungsrechtler Holger Schwemer in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Die Kulturzentren sind, was die Verteilung ihrer Räume betrifft, nicht von öffentlicher Hand abhängig.

„Das Gutachten hat jedoch keine Aussage darüber gemacht, was passiert, wenn sich eine Einrichtung für Übernachtungen öffnet“, sagt Eichner. Möglicherweise gebe es da Haftungsprobleme.

Nicht alle Kultureinrichtungen lassen sich allerdings was vom Bezirksamt vorschreiben. In der Nacht zum Mittwoch entschied das Deutsche Schauspielhaus spontan, etwa 300 Demonstrant*innen einen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen. Nachdem auf Twitter fälschlicherweise behauptet worden war, es gebe Schlafplätze für 1.500 Demonstrant*innen, hatte das Hamburger Theater dies zunächst dementiert. Als dann aber ein paar Hundert Demonstrant*innen vor dem Theater um Schlafplätze baten, entschied der kaufmännische Leiter, Peter F. Raddatz, kurzerhand, sie hineinzulassen. Dabei setzte er sich sogar gegen die Polizei durch, die versuchte, die Demonstrant*innen am Hereinkommen zu hindern. „Ich habe ihnen verständlich gemacht, dass wir im Schauspielhaus das Hausrecht haben“, sagte Raddatz dem NDR. „Für uns war das ein Akt der Menschlichkeit.“

Ob das Theater auch in den kommenden Tagen als Schlafplatz fungieren werde, konnte eine Sprecherin des Deutschen Schauspielhauses der taz am Mittwoch noch nicht beantworten. Generell gebe es keine explizite Einladung, nur eine Duldung der Demonstrant*innen. Auch der normale Spielbetrieb solle aufrechterhalten werden.

Nachdem das Antikapitalistische Camp, das vom Stadtpark bereits nach Entenwerder in den Hamburger Süden umgezogen war, schon unter der polizeilichen Belagerung eingebrochen war, erzielte es am Mittwoch dann doch noch einen Teilsieg vor Gericht. Neben den schon genehmigten Veranstaltungszelten dürfen jetzt auch 300 Schlafzelte sowie Waschmöglichkeiten aufgestellt werden. Die Versammlungsbehörde habe nicht ausreichend begründen können, dass von dem Camp eine Gefahr ausgehe, heißt es in der Begründung. Die Anzahl der DemonstrantInnen wurde jedoch auf drei Personen pro Zelt begrenzt.

Am Dienstagabend war es auch außerhalb der Camps zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Gipfel­gegner*innen gekommen. Weil mehrere Hundert Menschen auf der Straße herumliefen, setzte die Polizei am Ende mehrere Wasserwerfer ein.