Kritik am Radgesetz-Prozess: Die Ungeduld fährt mit
Die Initiative Volksentscheid Fahrrad präsentiert einen Zeitplan, damit das Radgesetz noch dieses Jahr zustande kommt. Aber der Senat sitzt am längeren Hebel.
2016 war das Jahr, in dem sich was drehte. Die Initiative Volksentscheid Fahrrad brachte in Eigenarbeit ein Radgesetz für Berlin zu Papier, ihre Mitglieder sammelten, beseelt von der guten Sache, aus dem Stand 100.000 Unterschriften für ein Volksbegehren. Zu dem es dann nicht kam: Der rot-schwarze Senat schlug bei der Prüfung des Gesetzentwurfs Wurzeln und wurde von Rot-Rot-Grün abgelöst, das sich auch nicht beeilte, aber einen Dialog anschob, um das „Gesetz zur Förderung des Radverkehrs“ neu zu erfinden.
Wird 2017 das Jahr des Stillstands? Die Volksentscheidsinitiative befürchtet das. Nachdem es beim Start des Rad-Dialogs im Februar so aussah, als könne das Berliner Radgesetz noch vor der Sommerpause in Kraft treten, warnen die AktivistInnen davor, dass dieses Jahr nichts mehr daraus wird.
Am Montag verkündeten sie nun, in der vorerst letzten Dialogrunde habe man gemeinsam mit den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen „einen Zeitplan für den Senat erarbeitet“. Der solle „ermöglichen, dass am 14. Dezember als letztmöglichem Termin in diesem Jahr das Radgesetz als Teil des Mobilitätsgesetzes in Kraft treten“ kann. Dazu müsse der Entwurf bis Anfang Juli „juristisch geprüft und gemeinsam endverhandelt“ sein. Am 14. 12. findet die letzte Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses statt.
Auf Nachfrage räumt Kerstin Stark vom „Volksentscheid Fahrrad“ ein, dass es sich nicht um einen verbindlichen Plan handele, sondern um einen Appell an den Senat. „Die Verbindlichkeit ergibt sich aus der Notwendigkeit“, so Stark – schließlich habe die Koalition zugesichert, dass der massive Ausbau der Radverkehrsanlagen noch 2017 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werde.
Der Gesetzentwurf, mit dem die Initiative Volksentscheid Fahrrad 2016 knapp 90.000 Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren sammelte, enthielt viel Verbindliches: So sollten 350 Kilometer Fahrradstraße in fünf Jahren eingerichtet werden, 100 Kilometer Radschnellwege in acht Jahren, nach drei Jahren sollte es auf 50 Kilometern Hauptstraße Grüne Welle für Radler geben.
Der Entwurf aus dem „Rad-Dialog“ verlagert viel Konkretes – auch Fristen – in einen künftigen „Radverkehrsplan“. Die Forderung bleibt aber erhalten, dass alle Hauptstraßen sichere und breite Radwege bekommen. (clp)
„Wir haben in der Gruppe alle Fristen zurückgerechnet und einen vierwöchigen Puffer dazugegeben – so kommen wir auf Anfang Juli“, sagte die Sprecherin der Initiative der taz. „Ich gehe davon aus, dass der Senat die Dringlichkeit erkannt hat und jetzt seine Ressourcen bündelt. Jeder Monat, der vergeht, ist ein weiterer Monat mit einer völlig veralteten Infrastruktur.“
Eine Idee, um schon mal in die Gänge zu kommen, hat die Initiative auch: Die erste Hälfte des Radgesetzes, in der es um Zuständigkeiten, Planungs- und Kontrollinstanzen geht, sei bereits juristisch geprüft, auch der allgemeine und der ÖPNV-Teil des „Mobilitätsgesetzes“, in das sich das Radgesetz am Ende einfügen soll. All dies könne schon „verhandelt und endabgestimmt“ werden. Andernfalls hätten die Initiativen und Verbände nach der Sommerpause nicht mehr genug Zeit.
Vor einem Jahr hat die Initiative Volksentscheid Fahrrad rund 90.000 Unterschriften für mehr Sicherheit im Radverkehr gesammelt. Die rot-rot-grüne Landesregierung hat versprochen, die meisten Forderungen umzusetzen. Doch die Verhandlungen über das Radgesetz verzögern sich. Warum? Und wie muss der Umgang mit den Radlern aussehen, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden?
Darüber diskutieren am Donnerstag im taz-Café Verkehrssenatorin Regine Günther, Kerstin Stark (Volksentscheid Fahrrad), Volker Krane (ADAC), Matthias Heskamp (Team Radbahn Berlin). Beginn 19 Uhr, Eintritt frei!
„Nicht verabredet“
Von solchen Vorschlägen hält man in der Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr eher wenig. „Der Dialog Radgesetz diskutiert das Radgesetz“, so Matthias Tang, Sprecher von Senatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen), zur taz. „Es ist nicht verabredet worden, den allgemeinen Teil des Mobilitätsgesetzes und das ÖPNV-Gesetz dort zu behandeln.“ Die Verwaltung arbeite „intensiv“ am Referentenentwurf und komme „gut voran“. Es gehe darum, „den Entwurf für das Radgesetz so schnell wie möglich ins Abgeordnetenhaus einzubringen, ohne die nötige Sorgfalt zu vernachlässigen“.
Der Grünen-Abgeordnete Stefan Gelbhaar, der mit am Dialogtisch sitzt, versteht, dass die AktivistInnen ungeduldig sind. „Das ist völlig nachvollziehbar.“ Aber Tempo ist für Gelbhaar auch nicht alles. Schließlich sei der neue Gesetzentwurf deutlich besser als der von der Initiative vorgelegte. Und: „Das erste Radgesetz ist schon verabschiedet“ – damit meint er den Nachtragshaushalt, in den Rot-Rot-Grün 10 Millionen Euro zusätzlich für den Radverkehr eingestellt hat.
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