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Auschwitz-Fall in NeubrandenburgRichter im NS-Prozess befangen

Drei Neubrandenburger Richter müssen im Verfahren gegen einen SS-Mann gehen. Weil sie voreingenommen gegenüber einem Überlebenden waren.

Heute gilt der Angeklagte Hubert Z. gilt als verhandlungsunfähig Foto: ap

Berlin taz | Erstmals in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte wird einem kompletten Schwurgericht in einem Auschwitz-Fall das Verfahren entzogen. Im Prozess gegen den früheren SS-Sanitäter Hubert Z. vor dem Neubrandenburger Landgericht wurden am Freitag der Vorsitzende Richter Klaus Kabisch sowie die Richter Brinkmann und Elfers wegen Befangenheit abgelehnt.

Das Internationale Auschwitz-­Komitee begrüßte die Entscheidung. „Von Anbeginn war das aggressive Desinteresse des Vorsitzenden Richters am Schicksal und den Erinnerungen der Überleben deutlich spürbar“, heißt es in einer Erklärung.

Das Verfahren gegen den heute 96-jährigen Z., der im Sommer 1944 mehrere Monate in Auschwitz andere SS-Männer gesundheitlich betreut haben soll, ruht schon seit Monaten. In seltener Einigkeit hatten Staatsanwaltschaft und die Vertreter der Nebenklage mehrfach eine Ablösung der Richter beantragt, denen Prozessbeobachter vorgeworfen hatten, eine Einstellung des Verfahrens vorzubereiten. Zudem zeigten Nebenkläger-Anwälte die Richter wegen Rechtsbeugung an. Einer Petition für eine Neueröffnung des Verfahrens schlossen sich über 38.000 Unterzeichner an.

Erfolg hatte nun der Nebenkläger Walter Plywasky, der als Kind nach Auschwitz verschleppt worden war und dessen Mutter dort ermordet wurde. Zweimal hatte Richter Kabisch Plywaskys Berechtigung zur Nebenklage mit der gleichen Begründung verneint, zweimal war seine Entscheidung vom Oberlandesgericht Rostock korrigiert worden. Der zweite Versuch, den Überlebenden auszuschließen, wurde nun nach Angaben des Nebenklage-Vertreters Thomas Walther auf Antrag der Nebenkläger und der Staatsanwaltschaft als rechtswidrig bezeichnet.

Prozessbeginn musste vom OLG verfügt werden

Die 60. Schwurgerichtskammer entschied, dass Kabischs Versuche, Plywasky von der Verhandlung auszuschließen, bei dem Nebenkläger „zwangsläufig der Eindruck ergeben“ hätten, das Gericht sei ihm gegenüber nicht unvoreingenommen gewesen, zitiert die Süddeutsche Zeitung aus der Begründung. Die Vertretungsrichter bemängelten ferner die „herabwürdigende Kritik“ der Richter gegenüber Plywaskys Anwalt, dem Kabisch eine „narzisstisch bedingte Dummheit“ unterstellt hatte.

Der Auschwitz-Prozess hatte im März 2016 gegen den Willen des Gerichts begonnen, das die Eröffnung des Hauptverfahrens verneint hatte. Erst eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock zwang die Neubrandenburger Richter zu dem Prozess, in dem fortan in den wenigen Verhandlungstagen die Gebrechen des Angeklagten im Mittelpunkt standen.

Der Auschwitz-Prozess hatte im März 2016 gegen den Willen des Gerichts begonnen.

Hubert Z. wird zur Last gelegt, durch seine Tätigkeit als SS-Sanitäter dazu beigetragen zu haben, dass die SS-Männer in dem Vernichtungslager handlungsfähig waren. Diese waren auch mit dem Einwurf des Giftgases Zyklon B in die Gaskammern betraut. Weil im fraglichen Zeitraum 14 Züge mit jüdischen Häftlingen in Auschwitz eintrafen, ist Z. wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen angeklagt.

Ob der Prozess nun endlich in Gang kommt, steht dahin. Ein Gutachten vom Mai attestiert Z. Verhandlungsunfähigkeit. Sollte ein weiteres Gutachten nicht zu einer gegenteiligen Einschätzung kommen, müsste das Verfahren wohl eingestellt werden – 54 Jahre, nachdem die DDR-Staatssicherheit erste Hinweise auf Z. hatte, diesen aber nicht nachgegangen war.

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25 Kommentare

 / 
  • Auf http://www.change.org:

     

    Petition und lesenswerter Offener Brief zum Verfahren gegen den ehem. SS-Angehörigen Hubert Zafke in Neubrandenburg.

    https://www.change.org/p/offener-brief-zum-auschwitz-prozess-in-neubrandenburg

  • @The Fall

     

    Ihr Argument, daß die betreffende Person in Auschwitz tätig war und

    damit den Betrieb des Lagers unterstützt hat, reiche für eine Anklage,

    ist für mich zumindest im Ansatz nachvollziehbar.

     

    Bloß stelle ich mir die Frage, warum man dann nicht pauschal

    jeden Menschen, der in Auschwitz tätig war, anklagt?

    (Meines Wissens wird das nicht gemacht.)

    Denn das dort jemand nur herumgesessen und

    nichts für die Aufrechterhaltung des Lagers getan hat,

    darf wohl verneint werden.

     

    Daß alle diejenigen (und nicht die SS-Mitglieder), die das

    NS-System in welcher Form auch immer unterstützt haben,

    mitveranwortlich für die Verbrechen der Nazis sind, ist eindeutig.

     

    Letztendlich stellt sich für mich die Frage,

    wo beginnt strafbares Handeln zum Beispiel im Fall von Beihilfe.

    Meiner Ansicht wäre der Vorsatz, der ja für Beihilfe erforderlich ist, bei einem

    Rettungssanitäter (in Auschwitz) nicht gegeben.

    Denn der behandelt anderen Menschen ja nicht mit dem Zweck, daß

    Sie anschließend Ihren verbrecherischen Dienst wieder tun können, sondern es geht um die

    Wiederherstellung der Gesundheit.

    • @AntiAnti2017@web.de :

      Umfangreiche Infos zum Prozess und zu historischen sowie juristischen Hintergründen auf dieser empfehlenswerten Website:

      http://www.auschwitz-prozess-nb.de/

  • Ich vermute mal, die Richter haben es darauf angelegt - denn so dumm können sie wohl kaum sein!

  • Dieser ganze Prozess ist doch eine rechtstaatliche Farce.

     

    Das alles basiert auf Fallrecht gegen Personen, die zu alt waren um erfolgreich in Revision zu gehen.

    • @Ansgar Reb:

      Fallrecht bedeutet Angelsächsisches Rechtssystem ! Wir sind hier im doch sehr betroffenen Deutschland. In unserem - also auch Ihrem (!) - Rechtssystem müssen Sie nur darauf achten, das richtige Gesetzbuch aufzuschlagen und danach zu handeln. "...erfolgreich in Revision zu gehen." Ich glaube, mich streift ein Bus ! Mord auf staatliche Anordnung war das. Und sonst gar nichts. Basierend auf einer faschistischen, rassistischen Grundeinstellung. Basierend auf dem Außerkraftsetzen jedweder Moral.

    • @Ansgar Reb:

      Als "rechtsstaatliche Farce" muss allenfalls bezeichnet werden, dass Deutschland sich jahrzehntelang um das Anklagen der Täter*innen drückte!

       

      Man muss sich doch viel eher fragen, warum Staatsanwält*innen und Richter*innen jahrzehntelang zum Jagen getragen werden mussten? Warum schwiegen auch Staatsanwält*innen wie Richter*innen, deren Geburt sehr wohl nach 45 lag?

       

      Ja, die Täter*innen sind alt, die Opfer aber auch! Möchten Sie denen sagen: Sorry, aber die Frau/der Mann ist zu alt angeklagt zu werden? Vor welchem Paragrafen als Grund? Mord verjährt nicht und hier liegt Massenmord vor!

       

      Und: viele der Täter*innen treten trotz Verurteilung ihre Strafe nicht an, weil sie aufgrund ihres Allgemeinzustandes haftunfähig sind. Auch das ist Rechtsstaat!

       

      Mir wär neu, dass die Nazis darauf geachtet hätten. Da wurden jüdische Altenheime ausgeräumt, alte, gehunfähige Menschen auf Tragen ins Konzentrationslager transportiert, um sie dort grausam zu ermorden!

       

      Allein sechs Millionen Jüd*innen sind grausam ermordet worden und Ihnen stösst die Anklage der Täer*innen und Beihelfer*innen auf?

    • @Ansgar Reb:

      Inzwischen gibt es wohl eine BGH-Entscheidung, mit der die frühere BGH-Rechtsprechung aufgegeben wird.

  • Nun muss ich LOWANDORDER mal ausdrücklich loben für die Ergänzungen zum Artikel.

  • Na endlich - Ablehnung der gesamten SchwurgerichtsKammer wg Besorgnis der Befangenheit! &

     

    Mit Verlaub - was ein lausig -

    Schlecht geschriebener Beitrag!

    Kraut&Rüben!

     

    Zur Befangenheit - wirr!

    "…die Vertretungsrichter bemängelten…" Geht's noch?

    "…Ablehnungsgrund ist entgegen der ungenauen Alltagssprache nicht die Befangenheit, sondern die Besorgnis der Befangenheit.

    Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtungsweise die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber.…"

    kurz - Da wird nix "bemängelt" -

    Sondern objektive Gründe werden festgestellt - die bei

    vernünftiget Betrachtungsweise die Befürchtung des Antragstellers rechtfertigen. Punkt. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ablehnungsgesuch#Gesetzliche_Grundlagen

     

    ff - ja leider -

    • @Lowandorder:

      ff

       

      &

      Zum Eröffnungsbeschluß - dito!

      "…Der Auschwitz-Prozess hatte im März 2016 gegen den

      Willen des Gerichts begonnen, das die Eröffnung des

      Hauptverfahrens verneint hatte.…" - hä? " verneint…" - Wie meinen?

       

      Statt " …Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hatte…" - kerr! - usw usf

      "…im Falle der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens - auch in Teilen -

      Steht der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde zu.

      Das Beschwerdegericht kann, wenn es zu der Entscheidung kommt,

      dass die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu Recht erhoben wurde,

      auch festlegen, dass eine andere Kammer oder ein anderer Richter den Fall zu verhandeln hat.

      Hintergrund dieser Regelung ist die Gefahr,

      dass das Gericht, das bereits die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat, nunmehr voreingenommen sein könnte und möglicherweise nicht mehr objektiv über die Schuld des Angeklagten urteilt.…" https://de.m.wikipedia.org/wiki/Er%C3%B6ffnungsbeschluss

       

      Hier hatte das OLG von letzterer Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

      Erst über einen stattgebenden -

      Befangenheitsbeschluß ist erst jetzt entsprechendes erfolgt!

      • @Lowandorder:

        Etwas mehr Nachsicht bitte - nicht jeder ist Volljurist!

        • @Spitzbube:

          Mal im Ernst - Alter!;)

           

          De Jungspund ist ja mit *1959

          Auch schon was angejahrt - wa!

          Sollte also bi lütten - Gefressen haben &

          Der Rest 2x wiki & - Ab dafür!

           

          (Daß er mit derartigen Elsboraten - is ja nicht das erste solch dürftiger Sorte -

          Unter sich in derarigen Feldern - öh

          Rumtreibenden Federn halb & seidener Art - nicht alleine Schwurbelt - Geschenkt! Entschuldigt - mit Verlaub -

          Aber nix. Im Gegenteil.

          Da mähtste nix.

          Normal.

           

          (ps "Volljurist" ¿! - unter Könnern -

          Sorry - eher "pejorativ" - ironisch - wa!;)

          • @Lowandorder:

            Danke, Ihr Beitrag tut gut, und das in einem Zusammenhang, der alles andere als gut ist.

             

            Ich glaube, ich werde nie verstehen, warum die Täter*innen und ihre Helfer*innen jahrzehntelang selbst von nachgeborenen Jurist*nnen verschont wurden. Hannovers Bücher sind immer noch aktuell... .

            • @Lesebrille:

              Jau. Heinrich Hannover - Kategorie -

              "Einen hatten wir!" - by Kurt Tucholsky

               

              (ps In Anklam geboren - der Birnendieb

              Wo Erich Mühsam - de Jung ausser

              Lindenapotheke aus dem Katzenmuseum zu Lübeck* vom

              Weitsichtigen Vadder hinexpediert wurde - Ehe er wg sozialistischer Umtriebe relegiert wurde!

              * Mitschüler ausse Para -

              Gustav Radbruch!

              So klein ist die Welt!

              So schwierig Anklam - heute!:)( &

              Das. Nicht ohne Anlaß des hier im Auge des Betrachters Liegenden!

              Auch wieder wahr!)

        • @Spitzbube:

          In diesem Fall bin ich für Belehrungen sehr zugänglich.

          Recht muss Recht bleiben und auf die Gnade der frühen Geburt im Falle des Angeklagten pfeife ich.

  • Kann man das wirklich noch als Rechtsprechung bezeichnen, wenn man einen Sanitäter deshalb verurteilt, weil er durch seine Tätigkeit Verbrechern (Nazis) geholfen hat, handlungsfähig zu bleiben, welche dadurch wiederum (besser) Morde oder Beihilfe zum Mord begehen konnten? Muß dann in Zukunft jeder Arzt und jede Krankenschwester,

    jeder Rettungssanitäter, die wissentlich einen Verbrecher behandeln, damit rechnen, 20 Jahre später wegen Beihilfe z.-B. zu einen Mord verurteilt zu werden ?

    Vor allem muß man sich doch auch die Frage stellen, wo fängt Beihilfe an und wo hört sie auf. Theoretisch könnte man den Straftatbestand der Beihilfe noch viel weiter ausdehnen? Warum stellt man nicht Tausende (Millionen) Menschen vor Gericht, die durch diverse Tätigkeiten die Nazis direkt oder indirekt unterstützt haben.

    Leitet sich aus dem Grundgesetz nicht ab, daß man einen Anspruch auf Rechtssicherheit haben darf? Ist das im Falle von z.B. Beihilfe eigentlich noch gegeben?

    • @AntiAnti2017@web.de :

      "Kann man das wirklich noch als Rechtsprechung bezeichnen?"

       

      Ja, kann man: Der Angeklagte steht als SS-Angehöriger wg. Beihilfe zum Mord vor Gericht. Verurteilt ist er übrigens noch nicht.

    • 3G
      32795 (Profil gelöscht)
      @AntiAnti2017@web.de :

      "Warum stellt man nicht Tausende (Millionen) Menschen vor Gericht, die durch diverse Tätigkeiten die Nazis direkt oder indirekt unterstützt haben."

       

      Der Teil nervt mich besonders und das nicht weil das ? fehlt.

       

      "Die Nazis unterstützen" mag moralisch verwerflich sein, aber dem Göhring die Hufe zu fetten ist nicht unbedingt die vorsätzliche Unterstützung einer von Göhring vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat.

       

      "Diverse Taten" können viel sein, aber so lange es keine vorsätzliche Hilfe zu einer vorsätzlich begangenen rechtwidrigen Tat war ist es keine Beihilfe. Wenn die vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat kein Mord war, dann dürfte sie wohl verjährt sein.

       

      Und wer "direkt" unterstützt hat, der wird sowieso nicht wegen Beihilfe angeklagt, sondern wegen Mittäterschaft.

       

      Genau darum klagt man nicht Millionen an.

       

      Das hat aber alles recht wenig mit dem konkreten Fall zu tun. Dazu habe ich das Nötigste ja schon im vorigen Post gesagt.

       

      Sie brauchen da überhaupt nicht empört sein. Der Fall gehört vor Gericht, da ist Beihilfe zumindest nicht auszuschließen und wenn, dann schließt das im Rechtstaat nur ein Gericht aus.

       

      Der einzige sinnvolle Satz in Ihrem Post ist:

       

      "Vor allem muß man sich doch auch die Frage stellen, wo fängt Beihilfe an und wo hört sie auf."

       

      Ganz genau um diese Frage geht es. Die stellt sich das Gericht. Es geht da nicht darum, dass man da jemanden wegen Beihilfe anklagt und verurteilt ohne diese Frage zu klären. Sie müssen sich die Frage also auch nicht stellen, Sie können das dann irgendwann im Urteil nachlesen. Dann wissen Sie auch wo Beihilfe anfängt und aufhört und haben Rechtssicherheit.

       

      Ein Tipp noch, sollten Sie jemals irgendwie in die laufende Ermordung tausender Menschen verstrickt werden, machen Sie da bitte nicht freiwillig mit. Sie hätten dann nämlich nur "unzureichende Rechtssicherheit" und das wäre ja eine Zumutung für jemanden der sich freiwillig an Massenmord beteiligt.

       

      Ist alles nicht ihr Ernst, oder?

    • 3G
      32795 (Profil gelöscht)
      @AntiAnti2017@web.de :

      §27, Abs. 1, StGB:

       

      (1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

       

      Und darum gehts, um Vorsatz und um Hilfe bei einer rechtswidrigen Tat. Die eigentliche Tat (Massenmord) war rechtswidrig (ich hoffe doch Sie stimmen zu). Die Tat (Massenmord) war vorsätzlich (ein Unfall war das nicht), vorsätzlich von den eigentlichen Tätern begangen wohlgemerkt. Dieser Teil, also die Rechtswidrigkeit der Tat an sich und der Vorsatz der Täter sind wohl unstrittig.

       

      Vorsätzlich geholfen hat der Angeklagte wohl auch, auch er hat nicht irriger Weise geholfen weil er gedacht hat da sei ein Vergnügungspark. Aber genau um den Teil wird es wohl gehen. Ist das was der damals dort getan hat als "Hilfe zur Tat" zu werten?

       

      Und doch, auch zukünftig müssen sich wohl Ärzte Gedanken darüber machen ob sie einen laufenden Massenmord durch Behandlung der Mörder am Laufen halten. Es geht hier nicht um einen Arzt der einen angeschossenen und bereits verhafteten Verbrecher behandelt. Es geht auch nicht um einen Arzt der schwerstverletzte SS-Männer behandelt. Es geht um jemanden der eventuell vorsorglich die "Einsatzfähigkeit gesichert" hat.

       

      Warum man nicht Millionen vor Gericht stellt? Weil die nicht direkt da waren und gesehen haben müssen was da läuft (zum Vorsatz gehört ein gewisses Maß an Wissen). Und wenn sie dort waren, dann haben sie dort nicht freiwillig ihren Dienst verrichtet (zum Vorsatz gehört auch ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit). Falls doch, dann hat man sie nur noch nicht erwischt.

       

      Der §27 StGB ist nicht sooo kompliziert. Die Fragen die Sie aufwerfen könnten Sie zum Großteil selbst beantworten wenn Sie sich nur mal kurz damit vertraut machen was "Beihilfe" eigentlich ist.

      • @32795 (Profil gelöscht):

        Vielen Dank, SFischer,

        für Ihre beiden Posts!

        Hatte ja selbst kurz zuvor auf Antianti geantwortet, aber eher aus dem Bauch und ohne präzises juristisches Wissen.

         

        Ihre Erläuterungen zu den Fall-relevanten Prinzipien und Begriffen sind einleuchtend und haben mir (sowie der gesamten Diskussion) eine feste sachliche Basis verschafft.

         

        Das ist hilfreich und im besten Sinne des Wortes "aufklärerisch". So geht also Rechtssicherheit, danke :)

    • @AntiAnti2017@web.de :

      Zur Rechtssicherheit:

      Erstens: Der Mann ist noch gar nicht verurteilt, weil es noch gar kein Verfahren gab.

      Zweitens: Ist die Behandlung von SS-Angehörigen durch einen Sanitäter der SS in einem KZ das Gleiche wie die wissentliche Behandlung eines Verbrechers? Nein.

      Drittens: Kann man den Opfern von Verbrechen zumuten, dass kein rechtsstaatliches Verfahren stattfindet?

      Und viertens: Es geht hier nicht um einen "Sanitäter", wie Sie schreiben, sondern um einen Angehörigen der SS im Vernichtungslager Ausschwitz.

       

      Ihre Argumentation ist, rhetorisch nicht ungeschickt in Fragen verpackt, stark verharmlosend und merkwürdig ideologisch, wenn Sie in diesem Fall eine Rechtssicherheit für den SS-Mann fordern und damit das Gegenteil meinen, nämlich Straffreiheit ohne rechtsstaatliches Verfahren.

      Und ja: Warum stellt man nicht endlich alle "Menschen vor Gericht, die durch diverse Tätigkeiten die Nazis direkt oder indirekt unterstützt haben" ? Dafür ist es wirklich allerhöchste Zeit.

    • @AntiAnti2017@web.de :

      Hi Antianti,

       

      "Kann man das wirklich noch als Rechtsprechung bezeichnen, wenn man einen Sanitäter deshalb verurteilt..."

       

      Das kann man natürlich in Zweifel ziehen, habe auch zuerst nachgedacht, ob das nicht etwas weit hergeholt ist.

       

      Aaaber: der Angeklagte war eben nicht 'irgendein Sani', sondern SS-Sani und in Auschwitz tätig. Er hat sich demnach freiwillig und aktiv in einer besonders gewalttätigen Eliteeinheit für NS-Ideologie und Fortbestand der Hitlerdiktatur eingesetzt (war ja die Aufgabe der SS / niemand wurde in die SS gezwungen). Selbst die menschenverachtenden kranken Zustände in Auschwitz hat er mutmaßlich unterstützt. Jedenfalls hat er offenbar jeden Tag schön dort seinen Dienst geleistet.

       

      Für mich ist das zur Anklage absolut ausreichend - zumal es jetzt lediglich um die Durchführung eines Gerichtsverfahren geht, welches ja erstmal nur eine Strafbarkeit prüft und alle Pros und Contras gegeneinander abwägen soll.

       

      Für mich ein klarer Fall, dem Verdacht einer "Mittäterschaft" (namentlich in Auschwitz) nachzugehen. Und sich nicht mit "Mitläuferschaft (sorry, kann ICH doch nix für, dass jemand zu Schaden kam)" zufrieden geben darf. Um das zu klären, wäre dieses Verfahren wünschenswert.

       

      Ärgerlich und fragwürdig (weshalb?), wie Richter und Landgericht sich hier verhalten haben.

       

      Nochmal zur Erinnerung: Es geht nicht nur um Rechtssicherheit für die Täter sondern auch von mindestens einem überlebenden Opfer. Jemand, der als Kind Auschwitz 'durchmachen' musste und dessen Mutter ermordet wurde.

      Allein dieser Punkt -neben 3000 weiteren Morden, die scheinbar mit dem Angeklagten in Verbindung gebracht werden können- wiegt für mich schwerer als alle Ihre Einwände und Bedenken zusammen.

       

      Rechtssicherheit bitte für alle - nicht zuletzt die unschuldigen Opfer von den Nazi-Menschheitsverbrechern.

       

      Grüße

      Tarek

    • @AntiAnti2017@web.de :

      Hi Antianti,

       

      "Kann man das wirklich noch als Rechtsprechung bezeichnen, wenn man einen Sanitäter deshalb verurteilt..."

       

      Das kann man natürlich in Zweifel ziehen, habe auch zuerst nachgedacht, ob das nicht etwas weit hergeholt ist.

       

      Aaaber: der Angeklagte war eben nicht 'irgendein Sani', sondern SS-Sani und in Auschwitz tätig. Er hat sich demnach freiwillig und aktiv in einer besonders gewalttätigen Eliteeinheit für NS-Ideologie und Fortbestand der Hitlerdiktatur eingesetzt (war ja die Aufgabe der SS / niemand wurde in die SS gezwungen). Selbst die menschenverachtenden kranken Zustände in Auschwitz hat er mutmaßlich unterstützt. Jedenfalls hat er offenbar jeden Tag schön dort seinen Dienst geleistet.

       

      Für mich ist das zur Anklage absolut ausreichend - zumal es jetzt lediglich um die Durchführung eines Gerichtsverfahren geht, welches ja erstmal nur eine Strafbarkeit prüft und alle Pros und Contras gegeneinander abwägen soll.

       

      Für mich ein klarer Fall, dem Verdacht einer "Mittäterschaft" (namentlich in Auschwitz) nachzugehen. Und sich nicht mit "Mitläuferschaft (sorry, kann ICH doch nix für, dass jemand zu Schaden kam)" zufrieden geben darf. Um das zu klären, wäre dieses Verfahren wünschenswert.

       

      Ärgerlich und fragwürdig (weshalb?), wie Richter und Landgericht sich hier verhalten haben.

       

      Nochmal zur Erinnerung: Es geht nicht nur um Rechtssicherheit für die Täter sondern auch von mindestens einem überlebenden Opfer. Jemand, der als Kind Auschwitz 'durchmachen' musste und dessen Mutter ermordet wurde.

      Allein dieser Punkt -neben 3000 weiteren Morden, die scheinbar mit dem Angeklagten in Verbindung gebracht werden können- wiegt für mich schwerer als alle Ihre Einwände und Bedenken zusammen.

       

      Rechtssicherheit bitte für alle - nicht zuletzt die unschuldigen Opfer von den Nazi-Menschheitsverbrechern.

       

      Grüße

      Tarek

    • @AntiAnti2017@web.de :

      Der Kommentar ignoriert die Kontexte völlig. Es geht nicht um eine beliebige medizinische Behandlung. Selbst ein Arzt, der Hitler behandelte, machte sich durch seine Bhandlung nicht strafbar. Nach dem hippolratischen Eid, hätte er sie kaum verweigern können. Hier geht es aber um einen SS-Sanitäter, der in das verbrecherische Lagersystem direkt eingebunden war. Jede Tätigkeit diente dem dort verübten Menschheitsverbrechen, auch wenn der Betreffende nicht selbst tötete, aber damit doch mittelbarer Teil der ihm bekannten Tötungsmaschinerie geworden war. Es ist eine irreführende Nivellierung, das mit irgendeiner medizinischen Hilfe auf eine Stufe zu stellen.