: Der Hund gegen die Schlange
Wahlkampf In der Schlussphase des britischen Wahlkampfs macht der als chancenlos geltende Labour-Chef Jeremy Corbyn das Rennen gegen Premierministerin Theresa May doch noch spannend
Aber kurz vor dem Wahltag liegen die Nerven bei Mays Wahlkämpfern blank. Noch vor sechs Wochen betrug ihr Vorsprung vor Labour über 20 Prozentpunkte. Jetzt kommt Labour in manchen Umfragen sogar bis an die 40-Prozent-Marke heran, unerhört seit Tony Blair. Bei der Wahl 2015 waren es nur 31 Prozent.
Der Wahlkampf der Premierministerin wird als uninspiriert wahrgenommen. Sie kommt hölzern daher, sie verweigert sich jeder Live-Debatte mit anderen Parteichefs, ihre Pläne bleiben im Ungefähren. Ihre Kernaussage reduziert sich auf die Bitte um Vertrauen. Wofür genau – da bleibt sie Antworten schuldig.
Corbyn ist dagegen aufgeblüht. Als das Labour-Wahlprogramm vorgestellt wurde, ging noch so einiges schief: Corbyns Auto überfuhr einen Kameramann, und ein Gewerkschaftsführer fiel die Treppe herunter. Inzwischen strömen Tausende zu jedem seiner Auftritte. Vor allem Jungwähler sind begeistert, dass sich da jemand klar dazu bekennt, die Dinge ändern zu wollen.
Das Labour-Programm ist einfach: Steuererhöhungen für die oberen 5 Prozent und die Unternehmen sollen Wohltaten in Höhe von 48 Milliarden Pfund (55 Milliarden Euro) jährlich für die anderen 95 Prozent finanzieren. Inzwischen haben May und Corbyn gleichermaßen negative Sympathiewerte. Gefragt, welches Tier sie mit den beiden assoziieren, kommen Wähler bei Corbyn auf einen Hund und bei May auf eine Schlange. Corbyn kommt daher wie ein gutmütiger Opa – May wie eine böse, strenge Lehrerin.
Entscheidend für die Wahl wird die Beteiligung sein. Bei den Jungwählern der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren führt Labour vor den Konservativen mit 71 gegen 15 Prozent. Bei den Über-65-jährigen führen die Konservativen mit 62 gegen 19 Prozent. Nie zuvor klafften die Generationen so weit auseinander.
Wenn es dabei bleibt, dass die Alten zahlreicher an die Urnen strömen als die Jungen, ändert das an Mays Siegeschancen wenig. Aber seit dem Brexit-Referendum haben viele Jungwähler gemerkt, was passieren kann, wenn sie zu Hause bleiben. Das Rennen bleibt spannend.
Dominic Johnson
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