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Die Attentäter, die keiner stoppte

Großbritannien Bei den Tätern der Londoner Terroranschläge vom Samstag gab es offensichtlich erhebliche Überwachungslücken. Premierministerin May steht wegen Kürzungen bei der Polizei unter Druck

aus London Dominic Johnson

In der Schlussphase des Wahlkampfs in Großbritannien verschärft sich der Streit über die Terrorbekämpfung. Einer der Londoner Attentäter vom 3. Juni war nämlich nicht nur polizeibekannt, sondern hatte sogar öffentlich für den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) geworben. Wenn nicht einmal er an der Tat gehindert werden konnte – wie effektiv ist dann die britische Terrorabwehr überhaupt?

Der 27-jährige Khuram Butt, ein in Pakistan geborenen Brite, trat mit einer schwarzen IS-Flagge im TV-Dokumentarfilm „The Jihadis Next Door“ auf, zusammen mit anderen Anhängern eines radikalen Hasspredigers. Der Film, Ergebnis von zwei Jahren Recherche, wurde 2016 ausgestrahlt. Butt hatte laut in der Presse zitierten Polizeiquellen zudem Kontakte zu einem der Londoner Attentäter von 2005 und arbeitete zuletzt in einem Fitnessstudio in London, das von einem ehemaligen Waffenausbilder mehrerer der Attentäter von 2005 geleitet wurde. Dort soll er bis zuletzt Jugendliche für den Dschihadismus geworben haben.

Kein Wunder, dass Butt zu den 3.000 der laut Geheimdienst 23.000 islamistischen „Gefährdern“ in Großbritannien gehört, die nicht nur namentlich bekannt sind, sondern deren Aktivitäten angeblich auch aktiv verfolgt und überwacht werden. 2015 war er sogar Objekt polizeilicher Ermittlungen, die aber eingestellt wurden, weil keine unmittelbare Gefahr festgestellt wurde. 2016 arbeitete er dann ein halbes Jahr bei den Londoner Verkehrsbetrieben – im U-Bahnhof Westminster, der über gesicherte Tunnel mit dem Parlamentsgebäude verbunden ist.

Gab es also Lücken in der Überwachung? Diese Frage stellt sich auch in Bezug auf den Attentäter Youssef Zaghba, geboren in Marokko und italienischer Staatsbürger. Italiens Polizei verhinderte 2016 dessen Ausreise Richtung Syrien, wo er sich dem IS anschließen wollte. Das soll den britischen Behörden bekannt gewesen sein. Wieso durfte er trotzdem nach Großbritannien einreisen?

Es stellten sich „legitime Fragen“, erklärte gestern Londons Bürgermeister Sadiq Khan. Selbst der konservative Außenminister Boris Johnson ließ sich auf der Titelseite der Londoner Abendzeitung Evening Standard mit der Frage zitieren, wie Butt den Behörden „durch die Lappen“ gehen konnte.

Die konservative Premierministerin Theresa May steht unter Druck, weil sie als Innenministerin massive Kürzungen bei der Polizei verantwortete. Aber auch für die Labour-Opposition ist diese Debatte nicht einfach. Labours Schatten-Innenministerin Diane Abbott, prominenteste schwarze Politikerin der Partei, gilt als linksextremer Totalausfall. Sie sagt derzeit einen öffentlichen Auftritt nach dem anderen ab.

Der Bruder eines Täters war in einer Beratergruppe der Labour-Regierung

Wahr ist: Zwischen 2010 und 2015, als May Innenministerin war, schrumpfte die Polizei um 20.000 Mann und die Budgets sanken. Wahr ist aber auch: Die für Terrorbekämpfung zuständigen Abteilungen waren davon ausgenommen. 2015 wehrte May weitere Kürzungen sogar ab, während Labour unter Jeremy Corbyn sie befürwortete. Wahr ist allerdings außerdem: In den geltenden Finanzplänen sind weitere Kürzungen für die Zukunft vorgesehen – auch bei der Terrorbekämpfung.

In den Enthüllungen über den Attentäter Khuram Butt findet sich noch ein pikantes Detail: Sein älterer Bruder Saad Butt war einst führendes Mitglied einer Beratergruppe für die letzte Labour-Regierung, die Young Muslims Advisory Group (YMAG), die sich regelmäßig mit Labour-Ministern zum Austausch traf. Er erhielt in dieser Funktion 10.000 Pfund (12.000 Euro) staatliche Recherchezuschüsse. Nach Amtsantritt der Konservativen 2010 wurde das beendet.

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