: „Hier ist es wie im Silicon Valley“
Mobilität Holger Weiss produziert mit seiner Firma sogenannte digitale Beifahrer. Berlin ist zwar keine Autostadt wie Stuttgart oder Wolfsburg, sagt er. Dafür sei es aber der ideale Nährboden für die Start-up-Szene
Interview Andreas Hartmann
taz: Herr Weiss, eigentlich geht die Erzählung ja so, dass im Silicon Valley gerade das Auto neu erfunden wird, selbstfahrend und mit Elektroantrieb, während im Autoland Deutschland all diese Trends verpennt werden. Dabei scheint in der Berliner Start-up-Szene die Zukunft der Mobilität gerade das große Ding zu sein, oder?
Holger Weiss: Ja, hier passiert so einiges. Die Firma Unu zum Beispiel entwickelt Electroscooter. Moia, eine neue Firma von Volkswagen, wurde eben in Berlin gegründet, um neue Mobilitätsangebote zu entwickeln. Und bei Hackathons, das sind Entwicklerworkshops, ist Mobilität zurzeit sehr in Mode und heute das, was vor sechs Jahren noch die Thematik Musik war.
Wer sich etwas Neues rund ums Auto ausdenkt, bezeichnet sich als Automotive-Start-up. Was ist Automotive?
Bei Automotive geht es im weitesten Sinne um Mobilität. Und weil sich Mobilität so fundamental verändern wird, hat das auch einen Einfluss auf die Automobilindustrie. Die ist nach wie vor eine der tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft, wodurch Automotive zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema wird.
Wie wollen die Automotive-Firmen bei der Erneuerung der Automobilindustrie mitmischen?
Auf der einen Seite geht es um den Einzug des Internets in die Mobilität. Und um die Frage: Wie nutze ich das Fahrzeug, etwa bei Carsharing, das über die Benutzung von Apps läuft. Das andere Thema ist die Elektrifizierung. Da musste erst so ein Szenestar wie Elon Musk von der amerikanischen Firma Tesla kommen, damit auch hierzulande darüber geredet wird. Musk sagte: Ich mach das mit der Elektrifizierung des Automobils jetzt im großen Stil. Nicht in der Golf-Klasse, wo ich meine Neuerungen jedem zur Verfügung stelle, sondern ich gehe den Apple-Weg. Das sind Trends, die aus dem Silicon Valley kommen und nun auch hier Anklang finden.
Seltsam, dass Automotive ausgerechnet in Berlin so ein Thema ist und nicht in München, Stuttgart oder Wolfsburg.
Es ist richtig, dass Berlin eigentlich überhaupt keine Autostadt ist. Vor dem Krieg vielleicht ein wenig, und es gibt Mercedes hier und ein bisschen Rolls Royce, BMW baut hier Motorräder, aber letztlich ist Berlin kein klassischer Autostandort. Aber das Silicon Valley eigentlich auch nicht. In den USA ist das Detroit.
Holger Weiss und seine Firma German Autolabs entwickeln digitalen Beifahrer. Die Firma hat 20 Mitarbeiter und verfügt über ein Investorenkapital von 2 Millionen Euro. Digitale Beifahrer sollen alles können, was ein menschlicher Beifahrer auch könnte. E-Mails vorlesen, Musikwünsche erfüllen oder den Fahrer einfach nur unterhalten. Die Steuerung funktioniert über Spracherkennung und Gestik. Ende des Jahres will die Firma das erste Produkt auf den Markt bringen. (ah)
Und Dank der Elektrifizierung des Autos wird Berlin nun zu Deutschlands Silicon Valley in einem Bereich, für den einst Detroit stand?
Die großen Automobilhersteller haben hier inzwischen alle Niederlassungen oder Labs. Das hat Gründe: digital bedeutet Berlin. Die Entwickler und Programmierer sind aufgrund der florierenden Start-up-Szene sowieso hier. Ich bin auch der Meinung, die Automotive-Start-ups sollen alle nach Berlin kommen. Denn nur so kann man hier etwas aufbauen wie im Silicon Valley.
Sie entwickeln mit Ihrer neuen Firma German Autolabs gerade einen digitalen Beifahrer, der dem Autofahrer eine bequeme Internetkommunikation ermöglichen soll. Wie kamen Sie auf die Idee?
Wir sind nun mal alle digitale Nutzer, lieben unser digitales Leben und wollen darauf eigentlich auch im Auto nicht verzichten. Deswegen nehmen wir bisher das Smartphone als Hilfsmittel. Zwischen 70 und 85 Prozent der Autofahrer geben zu, dass sie das Smartphone während der Fahrt nutzen. Und was tun Leute während des Fahrens mit ihrem Smartphone? Texten und E-Mails lesen. Das birgt natürlich Potential für Unfälle. Solche Unfälle haben in den USA in den letzten Jahren zugenommen, man nennt das schon den Snapchat-Effekt. Und der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Diskussion losgetreten, ob man Smartphone und Tablet im Fahrzeug nicht ganz verbieten sollte.
Ihrem digitalen Beifahrer sagt man dann: Lies bitte die neuen E-Mails vor und dann macht der das so, dass auch Herr Dobrindt nichts dagegen haben könnte?
So ungefähr, genau.
war als Gründer an mehreren Start-ups beteiligt, die er erfolgreich weiterverkaufen konnte. Dazu gehören der Kartendienst Gate 5 oder der Musikstreamingdienst Aupeo.
Aber warum noch so etwas wie Ihren digitalen Beifahrer, wenn man im selbstfahrenden Auto die ganze Zeit E-Mails checken kann, während man von A nach B gefahren wird?
Ich glaube durchaus, dass ich ein visionärer Unternehmer bin, aber ich bin auch ein pragmatischer Unternehmer. Der, der am lautesten schreit, bekommt die meiste Aufmerksamkeit, so wie Tesla. Die deutschen Automobilhersteller rennen im autonomen Fahren Tesla technologisch nicht hinterher. Es ist nur so, dass sie wie ich sagen, das wird eine stufenweise Entwicklung sein, während Tesla einen aus meiner Sicht etwas zweifelhaften Marketingansatz verfolgt: Da wird jetzt schon etwas Autopilot genannt, was noch gar nicht wirklich ein Autopilot ist. Autopilot heißt eigentlich: Ich schalte den Wagen an, und dann schau ich meine Harry-Potter-Filme und surfe im Internet. Doch das bietet der Autopilot von Tesla einfach noch nicht.
Aber trotzdem werden der Autopilot und das autonome Fahren doch wirklich bald kommen, oder?
Wir werden autonome Systeme haben, ja. Aber bis Berlin komplett autonom ist, dauert es noch. In der Realität wird ein Fahrzeug noch eine ganze Weile so aussehen, wie es heute aussieht. Da werden noch lange vier Räder dran und ein Verbrennungsmotor drin sein, vielleicht auch ein Hybrid. Definitiv wird es nicht schon in vier Jahren eine komplett autonom fahrende Fahrzeugflotte geben. Dahin ist noch ein weiter Weg zu gehen.
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