Politik gegen Minderheiten in Birma: Der längste Bürgerkrieg der Welt

Seit Jahrzehnten bekämpft die Kachin-Minderheit das birmesische Militär. Auch unter Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gibt es keinen Frieden.

Eine Frau sitzt in einer Gruppe von Frauen

Die zweimal geflohene 45-jährige Zawng Naw lauscht einem Friedensworkshop im Norden Birmas Foto: Verena Hölzl

MYITKYINA taz | Der Vertragsentwurf zum Waffenstillstand, den Nang Hka austeilt, ist nicht einmal das Papier wert, auf dem er gedruckt ist. In dem Flüchtlingslager im Norden von Birma (Myanmar) scharen sich die Menschen dennoch um sie, um ein Exemplar zu ergattern. Seit Jahrzehnten herrscht in Birma Bürgerkrieg. Manche sagen, es ist der längste der Welt.

Als Mitarbeiterin einer Nichtregierungsorganisation führt Nang Kha eine sogenannte „friedensbildende Maßnahme“ durch: Sie klärt Flüchtlinge darüber auf, was die Zukunft für sie bringen könnte und was der Hintergrund ihrer Vertreibung ist.

Im Vielvölkerstaat Birma gehören 40 Prozent der Bevölkerung ethnischen Minderheiten an, die vor allem in ressourcenreichen Randgebieten leben. Als die britischen Kolonialherren das südostasiatische Land 1948 in die Unabhängigkeit entließen, hinterließen sie weitgehend autonome Teilstaaten.

Vor allem nachdem das Militär sich 1962 an die Macht geputscht hatte und die Rechte der Minderheiten beschnitt, begehrten diese auf. Seither kämpfen diverse Rebellen gegen die Armee.

Zusammenbruch des Waffenstillstands

Für Zawng Naw, die den Friedensworkshop aufmerksam verfolgt, begann der Krieg 2011. Damals brach ein 17 Jahre währender Waffenstillstand zwischen der Kachin Independence Army (KIA) und Birmas Militär zusammen. Als die Kriegsfront näher kam, floh die 45-Jährige mit ihrer Familie. Ihr Haus brannte ab, das Vieh lief davon.

Im Januar hat die schmächtige Zawng Naw zum zweiten Mal ihr Zuhause verloren. Als das Militär das Flüchtlingslager an der Grenze zu China bombardierte, in dem sie mit tausend anderen Familien sechs Jahre lang auf Frieden gehofft hatte, musste sie erneut fliehen.

Zawng Naw ist eine von mehr als 100.000 Menschen in Birma, die in den vergangenen Jahren von Kämpfen aus ihren Dörfern gezwungen wurden. Wie viele hatte sie gehofft, dass Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die seit einem Jahr als Staatsrätin Birmas Geschicke lenkt und einen neuen Friedensprozess startete, ihre Lebensumstände verbessert.

Doch passiert ist das Gegenteil. Die Kämpfe im Kachin- und im Shan-Staat sind intensiver geworden.

Das Militär ist weiter mächtig

Für Tu Ja zeigen die Angriffe, welche Macht das Militär immer noch hat. Er gründete 2013 die Kachin State Democracy Party (KSDP). Aung San Suu Kyis Nationale Liga für Demokratie (NLD) hat seiner Partei bei den Wahlen 2015 Stimmen gekostet.

Er könnte sauer sein. Stattdessen sagt er: „Immerhin war jede Stimme für die NLD ein Ja für die Demokratie und gegen das Militär.“ Weil das auch vielen Kachin klar war, wählten die meisten zähneknirschend NLD.

Jetzt da die Kämpfe zugenommen haben, sind viele erst recht gereizt. Aung San Suu Kyis Besuch eines Flüchtlingslagers in Myitkyina, der Hauptstadt des Kachin-Staates, Ende März war in den Augen vieler lange überfällig. Doch beschwichtigen konnte sie die Kachin kaum noch.

„Was soll sie denn tun? Sie kann das Militär nun einmal nicht kontrollieren“, verteidigt Tu Ja die Friedensnobelpreisträgerin. Doch sein Vertrauen ist begrenzt.

Im Moment schmiedet er eine Allianz mit drei anderen Kachin-Parteien. „Damit wir bei den Wahlen 2020 unsere Geschäfte in Kachin-Land endlich selbst in die Hände nehmen können.“

Der Kachin-Staat ist eine christlich geprägte Region im Norden Birmas, der mit einem der weltgrößten Jadevorkommen eigentlich reich sein müsste. Doch profitierten davon hauptsächlich die Militärs, die Birma seit Jahrzehnten unterdrücken.

„Die Welt hat unseren Krieg vergessen“

Auch mit Rechtsstaatlichkeit ist es in Kachin nicht weit her. Regelmäßig müssen die Menschen hilflos erleben, wie Männer verschwinden und Frauen vergewaltigt werden.

So wurde an einem Samstagnachmittag außerhalb des lebhaften Myitkyina vor Kachins eindrücklicher Bergkulisse Mali San Pan beerdigt. Die junge Krankenschwester war am helllichten Tag in ihrem Haus erstochen worden.

Aus Solidarität ersetzten Kachin im ganzen Land ihre Facebook-Profilbilder mit dem Bild eines blutigen Krankenschwesterhäubchens. Aktivisten beschuldigten umgehend das Militär. Wer tatsächlich Verantwortung trägt, ist weiter nicht geklärt.

„Wahrscheinlich kommt die Wahrheit nie ans Licht“, sagt Baptisten-Pastor Samson. Während die Armee und die Rebellen sich im Dschungel bekämpfen, hat sich in Kachin die Kirche im Machtvakuum breitgemacht.

Samson ist hier fast so mächtig wie Myitkyinas Bürgermeister. Auf seinem mächtigen Schreibtisch steht neben religiösen Schriften die Flagge der Kachin Independence Army. „Die Welt hat unseren Krieg vergessen“, sagt er.

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