Zschäpe betrachtet sich als gestört

JUSTIZ Im NSU-Prozess wartet die Verteidigung mit einem Gutachten auf: Zschäpe sei schuldunfähig

BERLIN taz | Nun also versucht es Beate Zschäpe auf diesem Weg: Am Donnerstag erklärte ihr Verteidiger Mathias Grasel im NSU-Prozess in München die 42-Jährige für schuldunfähig. Sie habe bei „sämtlichen angeklagten Tatzeitpunkten“ an einer „schweren dependenten Persönlichkeitsstörung“ gelitten. Dies ergebe ein Gutachten des Freiburger Psychologen Joachim Bauer.

Der Professor hatte Zschäpe auf deren Wunsch sechs Mal in der U-Haft besucht, für insgesamt zwölf Stunden. Herausgekommen sei ein 48 Seiten langes Gutachten mit dem Befund der dependenten Persönlichkeitsstörung, im „Eingangsmerkmal“ einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“, sagte Grasel. Bei dieser verhalten sich Betroffene unterwürfig und passen sich anderen stark an.

Zschäpe habe gegenüber Bauer „zusätzliche Angaben zu ihrem Werdegang“ gemacht, teilte Grasel mit. Dazu zählten Details zu ihrem Zusammenleben mit ihrer Mutter oder den „fortgesetzten schweren körperlichen Misshandlungen durch Uwe Böhnhardt“. Grasel will das Gutachten kommende Woche im Prozess vorstellen.

Für Zschäpes Verteidigungsstrategie bedeutet das eine erneute Kehrtwende. Jahrelang hatte sie zum Vorwurf, mitverantwortlich für die zehn NSU-Morde zu sein, eisern geschwiegen. Dann ließ sie sich doch ein und behauptete, die Taten gingen allein auf das Konto ihrer Begleiter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Sie habe die Verbrechen stets verurteilt. Schon damals behauptete Zschäpe, zu abhängig von den Männern gewesen zu sein, um diese zu verlassen. Von einer Schuldunfähigkeit, die sie daran hinderte, das Unrecht der beiden zu erkennen, war bisher indes keine Rede.

Die Wende ist ein finaler Rettungsversuch: Zuvor hatte der Psychiater Henning Saß ­Zschäpe im Prozess volle Schuldfähigkeit attestiert – und ein gänzlich anderes Bild gezeichnet. Zschäpe zeige sich „durchsetzungswillig“, zuweilen „fast feindselig“. Sie habe eine „Tendenz zu Dominanz, Härte“. Saß hatte Zschäpe über Dutzende Prozesstage beobachtet und Ermittlungsakten studiert. Ein direktes Gespräch hatte die Angeklagte verweigert.

Bauer bestätigte der taz, dass er bei Zschäpe nun eine „dependente Persönlichkeitsstörung“ diagnostizierte. Weiter wollte er sich nicht äußern. Eine Schuldunfähigkeit kann zu Straffreiheit oder einem Strafnachlass führen, dann aber womöglich mit Unterbringung in der Psychiatrie. Momentan läuft es für Zschäpe im Prozess indes anders: Es droht eine lebenslange Haftstrafe. Konrad Litschko