Sozialministerium ignoriert Beschwerden

Hilfe Die Bundesregierung findet, für Geflüchtete mit Behinderungen werde alles Nötige getan

Notwendige Hilfsmittel werden oft spät oder gar nicht bewilligt Foto: F.: reuters

BERLIN taz | Erfasst, betreut, ausreichend versorgt – glaubt man der Bundesregierung, wird für Geflüchtete mit Behinderungen alles Nötige getan. Praktisch sämtliche Fachorganisationen kommen jedoch zu anderen Ergebnissen.

In der Antwort auf eine Anfrage der Grünen erklärt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) jetzt, das deutsche Asylrecht stehe „im Einklang“ mit der UN-Behindertenrechtskonvention, das „erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“ werde gewährleistet. Damit wischt das von Andrea Nahles (SPD) geführte Ministerium die Beschwerden zahlreicher ExpertInnen weg.

Die Monitoringstelle der UN-Behindertenrechtskonvention hatte nach einer Untersuchung kürzlich ausdrücklich kritisiert, dass die eingeschränkte Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern die Rechte von Behinderten verletzt.

Nach einer Anhörung von 13 Verbänden im Februar erklärte das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIM), die bedarfsgerechte Versorgung und Unterbringung von behinderten Flüchtlingen sei „nicht gesichert“. Diese würden nicht deutschlandweit registriert, es hänge vom Engagement einzelner Sozialarbeitenden oder Ehrenamtlichen ab, ob sie überhaupt erkannt würden. Notwendige Therapien, Hilfsmittel oder medizinische Behandlungen würden spät oder gar nicht bewilligt. Dies gelte auch für chronisch kranke Kinder, die über lange Zeiträume unterversorgt bleiben, sodass sich ihr Gesundheitszustand zum Teil irreversibel verschlechtere, so das DIM.

Auch AWO-Vorstand Brigitte Doecker sprach von „menschenunwürdigen Situationen, langen Wartezeiten, zusätzlichen ­Diskriminierungserfahrungen und somit unter Umständen auch zu einer gesundheitlichen Gefährdung“. Die derzeitige Situation dürfe nicht zum Dauerzustand werden.

Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben „keine Erkenntnisse“, wie viele behinderte Flüchtlinge es überhaupt gibt, und plant auch nicht, diese zu erfassen. Dies werde ausreichend durch die Länder erledigt, heißt es beim BMAS.

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe schätzt den Anteil auf über 15 Prozent – und zwar ohne jene mit geistigen Behinderungen. Damit läge die Gesamtzahl bei über 200.000. Leistungen nach SGB XII, die Hilfe für Pflege und Behinderungen umfassen, bekamen Ende 2015 laut BMAS knapp 34.000 AsylbewerberInnen und Geduldete.

„Erschreckend gleichgültig“ sei die Bundesregierung gegenüber der Situation vom Geflüchteten mit Behinderungen, sagte Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Das Nahles-Ministerium mache sich einen „schlanken Fuß, indem es behauptet, alles sei in Ordnung oder die Länder seien zuständig“, so die Abgeordnete.

Tatsächlich erschwere das Asylbewerberleistungsgesetz die notwendige medizinische Versorgung erheblich, kritisierte Rüffer. Das gerade erst verabschiedete Bundesteilhabegesetz schließe behinderte Geflüchtete sogar explizit von Leistungen der Eingliederungshilfe, wozu auch Heil- und Hilfsmittel gehören, aus. Selbst im aktuellen Teilhabebericht der Bundesregierung weise der wissenschaftliche Beirat darauf hin, dass die gesundheitliche Versorgung von behinderten Geflüchteten „in besonderem Maße problematisch ist“. Christian Jakob