Livemusik zu Stummfilm: Ein anderes Zuhause für ihre Musik

Die isländische Gruppe múm vertont „Menschen am Sonntag“ neu. Bandmitglied Örvar Smárason über die Besonderheit des Filmes.

Still aus "Menschen am Sonntag" mit dem Schriftzug "Bitte recht freundlich"

Na wenn das mal keine Anweisung für die Motzkis von der Spree ist. Bild von der múm-Aufführung 2016 im Radialsystem V. Foto: Jacob Hansen Presse/Morr

Wochenendaktivitäten in der Hauptstadt. Schwarz-Weiß-Bilder. Menschen beim Baden am See. Bilder des unzerstörten Berlin Ende der 1920er Jahren. Dazu elektronische Musik aus Island. Ob das passt? Das kann man am Wochenende, 11. und 12. Februar, im Radialsystem V in Berlin-Friedrichshain erleben. Die isländischen Musiker der Band múm spielen – wie bereits im Vorjahr – live die Begleitung zu dem Kultfilm „Menschen am Sonntag“ von Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer.

Die múm-Gründungsmitglie­der Gunnar Örn Tynes und ­Örvar Smárason kennen Berlin gut. Fünf Jahre haben sie hier gelebt und Musik gemacht. Für ihr musikalisches Projekt „Menschen am Sonntag“ kehren sie regelmäßig in die Hauptstadt zurück – am liebsten – wie nun – zur Berlinale, wenn die Stadt im Zeichen der Kreativität stehe.

Aktuell wohnen beide wieder in Islands Hauptstadt Reykjavík. In dem am dünnsten besiedelten Land Europas hat sich die Band 1997 gegründet: „Gunnar und ich haben beide nicht Musik studiert. Wir haben uns als Teenager kennengelernt und zusammen in einer Indieband gespielt. Wir haben beide aber schon jeder für sich als Kind elek­tronische Musik am Computer gemacht“, sagt Örvar Smárason im Telefoninterview. Múm sei dann vor allem entstanden, weil sie für diese Musik „kein anderes Zuhause gefunden­ haben“.

Faszination Stummfilme

Neue Musik zu alten Stummfilmen zu machen gefiel der Band schon früh. Mit ihrer Filmmusik zu dem russischen Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ hatten sie vor mehr als 10 Jahren einen großen Erfolg. „Das war eine große Produktion, jedoch war es bei dem Film wegen der Struktur relativ schwierig, freiere Musik zu machen“, erzählt Smárason. „Menschen am Sonntag“ erlaube ihnen, deutlich öfter zu improvisieren, jede Aufführung sei daher etwas anders: „Ich habe den Film das erste Mal in Prag gesehen, wo ich Film studierte und direkt gedacht: Der ist perfekt für uns, dazu neue Musik zu machen“, sagt Örvar Smárason. Ihn faszinierte „Menschen am Sonntag“ durch seinen dokumentarischen Blickwinkel auf die Unbeschwertheit der jungen Menschen in Berlin am Wochenende. Der Film sei heute auch wegen seiner genderpolitischen Thematik spannend „und ist einfach sehr schön gefilmt“, sagt der Musiker.

In „Menschen am Sonntag“ spielen größtenteils Laienschauspieler. Bei der Uraufführung kam die Musik von Otto Stenzeel, die meisten Filmvorführungen wurden jedoch von Marlene Dietrich begleitet. Durch múms experimentelle Musik bekämen einige Szenen eine Ambiguität, die vorher so nicht spürbar gewesen sei, so Smárason: „Außerdem schauen durch diese Mischung Menschen einen Film, den sie normalerweise nicht sehen würden, und Menschen hören Musik, die sie sonst nicht hören würden.“

Vor zwei Jahren spielte múm in Reykjavík zum ersten Mal live zu einer Vorführung von „Menschen am Sonntag“ – und direkt vor Publikum. Smárasons Bandkollege Gunnar Örn Tynes hatte den Film damals davor nicht einmal gesehen. Die ersten Shows haben sie dann mit verschiedenen befreundeten Musikern variiert. Ein Konzept von múm: Je nach Projekt verändern sie ihre Bandgröße. Mal spielen sie zu zweit, mal zu zehnt. Bei der Filmmusik zu „Menschen am Sonntag“ spielt múm gemeinsam mit dem finnischen Perkussionisten Samuli Kosminen. Während des Auftritts schaut sich Smárson den Film nicht durchgängig an, verliert sich in der Musik. ­Tynes hingegen schaue den Film meist kon­stant, bekomme seine „Stichwörter“ durch die Filmszenen: „Da sind wir als Musiker einfach alle sehr unterschiedlich“, sagt Smárason.

Musikalisch verbundene Hauptstädte

Auf den ersten Blick haben die Städte Berlin und Reykjavík nicht viel gemein, außer dass esbeide Hauptstädte sind. Berlin eben mit 3,5 Millionen Einwohnern und Reykjavík mit 119.000 – womit die Stadt ähnlich groß ist wie etwa das gemütliche Göttingen in Niedersachsen.

Viele Künstler aus Reykjavík zieht es jedoch in die Metropole Berlin. Denn es gebe eine Gemeinsamkeit: In beiden Städten herrsche ein starker „Do-it-yourself“-Gedanke bei Künstlern und Musikern, sagt Smárason. Er hat gute Erinnerungen an seinen Lebensabschnitt in Berlin: „Es war eine schöne Zeit damals. Man war jung, machte verrückte Dinge, und wir merkten immer wieder, dass Berlin offen für unterschiedliche Kunstformen ist“, sagt der heute 40-Jährige. Zwischen Reykjavík und Berlin habe sich eine künstlerische Verbindung entwickelt, die Kulturschaffende aus beiden Städten schätzten. Bei der Erstauflage 2014 des jährlich im Mai stattfindenden XJAZZ- Festivals in Berlin-Kreuzberg war Island das Partnerland. Begründung: Es gebe dort eine Offenheit für Klangexperimente und ein Negieren von Genregrenzen.

Wenn Smárason heute in Berlin ist, sieht er dennoch einen deutlichen Unterschied zu der Stadt, wie er sie 2004 erlebte und in der múm ihr viertes Album, „Summer Make Good“, aufnahmen. Mittlerweile, so Smárason, lebten alle Künstler, die er in Berlin kenne, nicht mehr in Prenzlauer Berg, sondern in Neukölln. Prenzlauer Berg sei jetzt ganz anders. Wenn er in Berlin sei, gehe er am liebsten viel spazieren, schaue sich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Stadtvierteln an.

Ein großer Wunsch von ihm wäre, das Liveset von múm zu „Menschen am Sonntag“ in einer dem Film ähnlichen Szenerie zu spielen, etwa bei einem sommerlichen Open-Air-Konzert am Wannsee: „Das wäre sicher eine wunderschöne Erfahrung“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.