Debatte Rechtspopulismus in Europa: Aus Frankreichs Fehlern lernen

Die Wähler des Front National hat lange niemand ernst genommen – bis es zu spät war. Wie Deutschland es anders machen kann.

Marine Le Pen und Frauke Petry schauen nach links

Links die französische, rechts die deutsche Version Foto: ap

Wer die Wähler der Rechtspopulisten wie ungezogene Kinder behandelt, spielt ihnen in die Hände. Das ist die vielleicht wichtigste Lehre, die Deutschland aus der Erfahrung in Frankreich mit dem unaufhaltsamen Aufstieg des Front National ziehen kann. Es wird dennoch immer unfassbar bleiben, dass Millionen von Menschen in einem demokratischem und mit einem Sozialsystem ausgestatteten Land rechtsextremen Demagogen Gehör schenken. Möglich wird das, wenn das Misstrauen benachteiligter Bevölkerungsgruppen gegenüber allen Vertretern der Elite größer ist als die Angst vor dem Sprung ins Ungewisse.

Wenn eine Gesellschaft erst einmal so desillusioniert ist wie die in Frankreich, nützen Mahnungen herzlich wenig. Der Kampf gegen die extreme Rechte muss beginnen, bevor sie Millionen von WählerInnen gewonnen hat.

Erfolgreich kann die Prävention nur sein, wenn glaubwürdige Alternativen in der wirtschafts- und sozialpolitischen Realität existieren. Denn der Kampf gegen das auf die Demokratie zersetzend wirkende Phänomen des Rechtspopulismus ist nicht eine Frage der Ideen oder Ideologien: Wer aus Armut, sozialer Ausgrenzung oder aus bloßer Angst vor Dealern im Randquartier den Verheißungen der Populisten Gehör schenkt, wird sich nicht mit Slogans begnügen.

Die Geschichte der extremen Rechten in Frankreich veranschaulicht das sehr gut. Als Jean-Marie Le Pen 1974 als Kandidat des Front National zum ersten Mal bei den Präsidentschaftswahlen antrat und gerade mal 0,75 Prozent der Stimmen erhielt, nahm ihn kaum jemand ernst. Darum hörte man nicht auf die Stimmen, die damals ein Verbot dieser Partei forderten.

Das wäre nach französischem Gesetz durchaus möglich gewesen: Le Pen war 1971 bereits aufgrund des Vertriebs von Nazi-Liedern und wegen der Verherrlichung der Naziverbrechen verurteilt worden. Kaum jemand – und in Deutschland wohl erst recht nicht – konnte sich damals vorstellen, dass in Frankreich eine Partei mit solchen historischen Referenzen je einen Massenzulauf haben würde.

Der nächste Schock „Le Pen“

1986 zogen wegen des damals vorübergehend eingeführten Verhältniswahlrechts 35 Abgeordnete des FN mit einem geradezu spektakulären Wahlergebnis von fast 10 Prozent in die Nationalversammlung ein. Seither hat nichts den Vormarsch des FN stoppen können. 2002 schaffte Le Pen es sogar gegen Jacques Chirac in die Stichwahl.

Der nächste Schock kam mit Marine Le Pen, die von ihrem Vater die Parteiführung geerbt hat und 2012 bei den Präsidentschaftswahlen fast 18 Prozent erreichte. Und es kam noch schlimmer, denn heute stimmen Umfragen zufolge rund einem Drittel der französischen Bevölkerung mit den Ideen des FN überein. Mittlerweile ist dieser reaktionäre Nationalismus mit seiner fremdenfeindlichen Hetzpropaganda so gewöhnlich geworden, dass viele Politologen von einer „Lepenisierung in den Köpfen“ reden.

Alle Versuche, den FN zu stoppen und zu ächten, haben ganz offensichtlich versagt oder sogar noch zu seinem Erstarken beigetragen. Die Ausgrenzung des FN als extreme und für die Demokratie gefährliche Kraft hat nur gerade so weit gereicht, um zu verhindern, dass er für die Konservativen als Koalitionspartner akzeptabel wäre. Und auch das ist vielleicht eine Frage der Zeit.

Vor allem die französischem Sozialisten hatten lange darauf vertraut, dass der FN allein schon wegen seiner Herkunft – Monarchisten und Faschisten aller Art, Anhänger des Kolonialismus und der Kollaboration mit den Nazis – abschreckend sei. Sie profitierten bei den Wahlen jeweils auch skrupellos davon, dass die hohen Resultate des FN beim Mehrheitswahlrecht für die Konservativen das größere Problem darstellte. Denn in Stichwahlen mit drei Kandidaten gelang es meist der Linken, mit relativen Mehrheiten Sitze zu gewinnen.

Parteien und Medien verkörpern die „Elite“

Anders als in Deutschland, wo die Nazi-Vergangenheit noch wie ein Tabu in die Gegenwart hinein wirkt, hat die Geschichte der Kollaboration oder der Kolonialverbrechen in Frankreich kaum noch einen hemmenden Effekt. Gleichzeitig hat Marine Le Pen mit dem Rauswurf ihres Vaters und einer geschickten Kampagne für eine „Entdiabolisierung“ des FN gesorgt.

Hinter dieser Verschleierung verbirgt sich vor allem eine soziologische Strategie der Machteroberung. Der FN biedert sich ohne Angst vor eigenen Widersprüchen bei allen Bevölkerungsschichten an, die einen Grund sehen, sich gegen „das System“ aufzulehnen. Die früher repräsentativen Institutionen, Gewerkschaften, Parteien und Medien verkörpern pauschal die „Elite“, die des Verrats bezichtigt wird.

Längst ist der FN so die stimmenstärkste „Arbeiterpartei“ geworden. Auch bei Polizisten und Militärs wählen laut Forschungszentrum Cevipof eine Mehrheit den FN. Genauso sind Bauern und Bewohner vernachlässigter ländlicher Gebiete eine leichte Beute für Rechte. Dazu braucht es nur gemeinsame Sündenböcke: die EU, den Euro und Migranten. Der Protektionismus und das sozialpolitische Programm halten einer ökonomischen Analyse gar nicht stand. Doch das spielt für die FN-Wähler keine Rolle. Gerade die Tatsache, dass dieses Programm so scharf attackiert wird, bestärkt sie noch. Ihre Lust niederzureißen ist größer als Angst und Scham.

Eine Antwort kann nur darin bestehen, denen, die sich benachteiligt fühlen, eine glaubwürdige Hoffnung auf Veränderung oder Systemüberwindung anzubieten. Ausgangspunkt dafür wäre es, die Hochstapelei der extremen Rechten zu entlarven, die mit ihrer sozial klingenden Demagogie linke Ambitionen wie Rebellion gegen die Ungerechtigkeit, ja sogar (in einer völkischen Verkleidung) die antikapitalistische Systemkritik für sich beansprucht, um so die an den Rand Gedrängten zu täuschen.

Um diese Rolle zu erfüllen, muss die französische Linke aber selber ihre Haltung zur Globalisierung und zur herrschenden Priorität der Marktinteressen klären. Das wäre heute auch der Punkt einer Konvergenz zwischen dem Sozialisten Benoît Hamon, Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei und einem Teil der Grünen. Wirklich zu spät ist es erst, wenn Marine Le Pen an die Macht gelangte.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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