Nachhaltige Mode: Eine giftige Debatte

Bei einem Test der Zeitschrift „Öko-Test“ waren die Kinderjeans von zwei Ökoherstellern besonders schlecht. Welche sind die richtigen Testmethoden?

Ein Kind spielt in einer Jeans am Strand

Damit Kinder unbesorgt spielen können, sollten ihre Jeans nicht mit Schadstoffen belastet sein Foto: imago/Westend61

BERLIN taz | „Mangelhaft“ und „ungenügend“: Für die beiden Öko-Hersteller Hess-Natur und Living Crafts sind die Noten der Zeitschrift Öko-Test, die sie für ihre Kinderjeans bekommen haben, ein GAU. Die grässlich schlechten Noten erhielten die beiden Pioniere ökologischer Kleidungsproduktion, weil das von der Zeitschrift beauftragte Labor in den Stoffproben die Chemikalie Anilin gefunden hatte. Die steht im Verdacht, krebserregend zu sein.

Die Unternehmen reagieren ganz unterschiedlich auf den Test: Living Crafts aus Oberfranken hat die entsprechende Hose vom Markt genommen – auch wenn sich die Firma ungerecht behandelt fühlt.

Wettbewerber Hess-Natur aus dem hessischen Butzbach geht in die Offensive und kontert mit einem Gegengutachten des Bremer Umweltinstituts. Ergebnis: kein Anilin nachweisbar. Und jetzt? Was soll der Kunde kaufen?

Anilin ist ein Bestandteil der weit verbreiteten Azofarbstoffe. Diese künstlich erzeugten Farben sorgen unter anderem für das tiefe Blau der Jeans. Die Chemikalie ist ein Kontaktgift, das über die Haut aufgenommen wird.

„In Kinderkleidung hat Anilin nichts zu suchen“, sagt Hermann Kruse, Toxikologe an der Universität Kiel, „wenn es frei verfügbar ist“. Achtung, dieser Zusatz ist wichtig.

Worst-Case-Bedingungen

Anilin als möglicher Baustein der Farbstoffe kann sich nämlich entweder tatsächlich im Stoff der Jeans befinden, etwa wenn der eingesetzte Farbstoff noch Reste der Herstellungschemikalien enthält.

„Wäre das der Fall gewesen, hätten wir in der Hess-Natur-Jeans mit unserer Testmethode Anilin gefunden“ sagt Ulrike Siemers vom Bremer Umweltinstitut.

Die Chemikalie kann aber auch als Spaltprodukt entstehen, wenn man es bestimmten Stoffen aussetzt. Bei der Prüfung von Öko-Test etwa wurden die Jeansstoffe mit Dithionit behandelt. Dieses Reduktionsmittel zersetzt den Azofarbstoff zuverlässig in seine Bausteine – die aromatischen Amine, auch Anilin.

Streit gibt es nun darüber, welche Methode realistischer ist und zuverlässiger die Bedingungen abbildet, die tatsächlich beim Tragen der Hosen herrschen. „Der Stoff ist den ganzen Tag auf der Haut“, sagt Jürgen Steinert, Redakteur bei Öko-Test. Das Kind schwitze oder habe Bakterien auf der Haut. „Unser Verfahren simuliert diese Bedingungen“, so Steinert.

„Nein“, sagt Siemers vom Bremer Umweltinstitut, „das sind Worst-Case-Bedingungen.“ Der als eher kritisch bekannte Toxikologe Kruse hält die in Bremen angewendete Methode ebenfalls für realistischer. „Die Zeitschrift ‚Öko-Test‘ hat herausgefunden, dass Anilin Bestandteil der Farbstoffe ist“, sagt er, „Aussagen über die Gefährdung der Verbraucher erlaubt ihr Test nicht.“

Grenzwert für Anilin

Sauer sind daher nicht nur die Unternehmen, sondern auch die beiden Verbände, nach deren Siegeln sie arbeiten: der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft und und der Global Organic Textile Standard. Beide erlauben Anilin in Kleidung bis zu einem Grenzwert von 100 Milligramm pro Kilogramm. Die Verbände betonen, eine Null-Prozent-Grenze sei derzeit technisch nicht machbar.

„Dieser Grenzwert ist wenig ambitioniert“, sagt hingegen Siemers vom Umweltinstitut. „Den könnte man schon absenken.“ Auch wenn sie die Einschätzung von Öko-Test für „Panikmache“ hält: „Anilin sollte so wenig wie möglich eingesetzt werden und nicht in Kleidung enthalten sein.“

Die Geschäftsführerin des Naturtextilverbands, Heike Hess, (die nichts mit Hess-Natur zu tun hat), wurmt, dass „Anbietern von Kindermode, die seit vielen Jahren als nachhaltig und verbraucherorientiert bekannt sind, das Vertrauen entzogen“ werde.

Ulrike Siemers

„Aussagen über die Gefährdung der Verbraucher erlaubt der Test nicht“

Stattdessen kauften die besorgten Eltern womöglich konventionelle Billighosen, die möglicherweise noch schlimmer mit anderen gefährlichen Substanzen belastet seien und unter schlechten sozialen und Umweltbedingungen produziert würden.

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