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Im Pillendschungel

Arzneimittel Jedes dritte Medikament, das auf den Markt kommt, hat keinen Zusatznutzen

BERLIN taz | Ramucirumab ist eine durchsichtige Flüssigkeit, die aus Mäusezellen gewonnen wird. Der Wirkstoff mit dem unaussprechlichen Namen fließt über einen Tropf in die Vene der Krebspatientin. 4.000 Euro kostete eine Infusion nach der Markteinführung des Medikaments. Dabei hat Ramucirumab gar keinen Zusatznutzen im Vergleich zu anderen Medikamenten, sagt die zuständige Behörde, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiIG).

Jedes dritte neue Arzneimittel ist nicht besser als andere, die schon auf dem Markt sind. Ein weiteres Drittel hat nur bei manchen Patient*innen einen Zusatznutzen. Das berichtete kürzlich der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV. Die Kassen haben dafür alle 129 Präparate untersucht, über deren Preis Hersteller und Kassen in den letzten vier Jahren verhandelt haben. Das heißt: Die Medikamente waren neu, aber bereits zugelassen; die Frage war nur noch, wie viel sie wert sind.

Seit 2011 ist der Gemeinsame Bundesausschuss dafür zuständig, im Zuge solcher Preisverhandlungen den Zusatznutzen neuer Medikamente zu prüfen. Heilt das Medikament die Krankheit häufiger? Ist die durchschnittliche Lebensdauer länger? Sind Nebenwirkungen seltener? Solche Fragen stellt der Ausschuss dem IQWiG. Fällt die Prüfung negativ aus, zahlen die Kassen nur so viel wie für vergleichbare Medikamente.

Allerdings gilt der ausgehandelte Preis erst, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind. „Im ersten Jahr nach der Zulassung erzielen die Pharmafirmen mit überflüssigen Medikamenten hohe Preise“, sagt Dr. Wolf Dietrich. Der Münchner Klinikarzt ist Chef des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte. Der Verband fordert, dass die Präparate auch rückwirkend billiger sein sollen, also ab dem ersten Tag nach der Zulassung. Die Aufgabe der Krankenkasse ist, das zu bezahlen, was Ärzt*innen für richtig halten. Warum verschreiben die eigentlich unnütze oder überteuerte Medikamente? Wenn es mehrere Präparate mit demselben Wirkstoff gibt, entscheiden nicht die Ärzt*innen, was ihre Patient*innen bekommt, sondern die Apotheken. Allerdings können Ärzt*innen auf dem Rezept das Kästchen „aut idem“ ankreuzen. Dann müssen die Kranken genau dieses Präparat erhalten.

In manchen Fällen, etwa bei Chemotherapien, sind verschiedene Wirkstoffe gleich nützlich. Dann verschreiben Ärzt*innen am ehesten das, „womit sie gute Erfahrungen gemacht haben und was sie eben kennen“, meint Dietrich.

Was genau sie eben kennen, wird von der Pharmaindustrie beeinflusst. Vor deren Lobbying ist kaum ein Arzt gefeit. Das muss nicht unbedingt die Vertreterin sein, die mit einem Koffer voller Pillenpröbchen bei der Arztpraxis klingelt. Verbandschef Dietrich quälen eher die Fortbildungen, zu denen Pharmahersteller Ärzt*innen einladen. Zudem funktioniere PR über Fachzeitschriften: „Das Problem ist, dass mehr über neue Arzneimittel berichtet wird als über alte.“

Die Pharmafirmen selbst nehmen den GKV-Bericht als versuchten Rufmord wahr. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) sprach von einer „Kampagne der Krankenkassen“. vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer erklärte, Patient*innen seien so unterschiedlich, dass die Medizin ein breites Spektrum gleichwertiger Arzneien brauche.

Nun wird ein System diskutiert, mit dem sich Ärzt*innen auf einen Blick über den Nutzen von Arzneien informieren können. Ihr Vertreter Dietrich ist dafür. „Der Arzneimittelmarkt ist ein Dschungel“, meint er.

Jana Anzlinger

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