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Aus alten Fehlern gelernt

Flüchtlingshilfe Der Panafrikanische Kulturverein Bremen hat ein Integrationsprojekt entwickelt, dass auf den Erfahrungen seiner Mitglieder fußt. Seit einem Jahr bringen sie Geflüchteten den deutschen Alltag näher

von Jördis Früchtenicht

Datum und Uhrzeit stehen auf dem Whiteboard. Darunter wird in drei Sätzen das Wetter beschrieben: Es ist kalt. Es ist Herbst. Es ist wolkig/bewölkt. Mit diesem Ritual beginnt der Deutschkurs, den der Panafrikanische Kulturverein Bremen für Flüchtlinge anbietet.

Der Sprachkurs ist Teil eines im Oktober 2015 initiierten Projekts, das auf den Erfahrungen beruht, die die Vereinsmitglieder selbst mit ihrer Integration gemacht haben. „Die Fehler, die uns unterlaufen sind, sollen andere Flüchtlinge nicht wiederholen“, erklärt der Vereinsvorsitzende, Tala Awolola. „Ich habe mal eine Versicherung abgeschlossen, die ich nicht brauchte und bin erst nach fünf Jahren aus dem Vertrag rausgekommen“, berichtet Awolola.

Der 2004 von MigrantInnen aus mehreren afrikanischen Ländern gegründete Verein setzt sich für die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft ein. Er bietet Kultur- und Sportveranstaltungen an. Die beiden Lehrkräfte, die an diesem Tag den Kurs leiten, beginnen mit individuellem Unterricht. Mit Hilfe eines zweisprachigen Übungsheftes geben sie den acht jungen Männern, die heute gekommen sind, unterschiedliche Aufgaben. Allein oder zu zweit üben sie Begrüßungen, Zahlen oder die Namen von Lebensmitteln. Dabei wechseln die Lehrerinnen ständig zwischen Englisch, Deutsch und Französisch hin und her, um die Übungen zu erklären. „Der Unterricht ist anders als in der Schule, die Teilnehmenden haben ganz unterschiedliche Sprachniveaus. Auch lässt sich nicht fest planen, da man nicht weiß, wer wann da ist“, sagt Martina Kröger, die auch beruflich Lehrerin ist. „Alle sind aber sehr motiviert und offen.“

Das Konzept fuße auf mehreren Säulen, erläutert Awolola. Zunächst gehe es darum, dass die Geflüchteten Vertrauen aufbauen – dabei seien vor allem die Dolmetscher des Vereins und andere Muttersprachler hilfreich, mit denen man vernetzt sei. Danach gibt es neben dem Deutschunterricht einen Orientierungskurs sowie Freizeitangebote, etwa Fußball oder Schwimmen. Auch die Bremer Stadtbibliothek ist regelmäßig ein Ziel. Schließlich erfolgt die berufliche Integration über Praktika oder eine Ausbildung. „Sinnvoll sind vor allem handwerkliche Ausbildungen oder solche als Mechaniker – Berufe, die in den Heimatländern der Geflüchteten gebraucht werden“, erklärt Awolola.

Kröger übt mit zwei Teilnehmern das Zählen auf Deutsch. Als die Lehrerin zum nächsten Pärchen geht, üben die beiden allein weiter. Angela Dippel, die zweite Lehrkraft an diesem Nachmittag, übt mit anderen die Aussprache. Während „Gemüse“ noch Probleme bereitet, klappt „Käse“ schon besser. Dippel, die zuvor keine Erfahrungen mit Unterrichten gemacht hat, sagt, sie habe „eine neue Herausforderung“ gesucht. „Es macht Spaß, ist aber auch anstrengend. Wenn man nur fragende Gesichter sieht, weiß man, dass man etwas falsch gemacht hat.“

Drei Stunden dauert der Unterricht, der wöchentlich von montags bis mittwochs stattfindet und von Ehrenamtlichen geleitet wird. Zwischendurch gibt es eine kurze Pause. In der Küche steht ein Kaffeeautomat, für 30 Cent bekommt man einen Becher. Allerdings stellt sich die Bedienung des Geräts als schwierig heraus. Der Automat bietet neben verschiedenen Sorten Kaffee auch Tee, Suppe und Wasser. Dippel erklärt einem der Teilnehmer, der gerade am Automaten Wasser kaufen will, dass man es in Deutschland auch aus dem Wasserhahn trinken könne.

Einiges in Deutschland ist für die Geflüchteten neu. „Wir erklären ihnen etwa, dass Handys nicht nur einen Euro kosten, sondern dass man einen Vertrag mit monatlichen Kosten abschließt“, erzählt Awolola. Ein großes Problem sei für die Flüchtlinge auch, ihren Arbeitsvertrag zu verstehen.

Zunächst einmal geht es nur darum, dass die Geflüchteten schnell Vertrauen aufbauen

Nach der Pause wechselt das Unterrichtskonzept – statt individueller Aufgaben steht nun Frontalunterricht auf dem Programm. Kröger und Dippel verteilen ein Arbeitsblatt, auf dem Haushaltsgegenstände abgebildet sind. Die Teilnehmer sollen diese auf Deutsch benennen – mit dem richtigen Artikel. „Die Kaffeemaschine“ und „die Schüssel“ sind schnell gefunden, „der Schneebesen“ bereitet ein wenig Probleme. Wenn ein Gegenstand benannt wurde, sprechen ihn alle gemeinsam laut aus. „Wer sich traut, zu sprechen, lernt die Sprache schnell. Die Schüchternen haben es da schwieriger“, sagt Kröger.

Insgesamt seien rund 20 Flüchtlinge für den Sprachkurs eingetragen, erläutert Heidi Camara, die sich im Büro um die Pläne für die Lehrkräfte kümmert. „Es können jedoch nicht alle jeden Tag kommen. Amadou etwa kommt diesen Nachmittag zu spät. Er war vorher noch in der Schule, erklärt er in gutem Deutsch. „Ich bin seit Ende 2015 in Deutschland, besuche seit Februar diesen Kurs und seit August gehe ich in die Schule“, erzählt er. Seinen Schulabschluss mache er im Sommer. „Mein Ziel ist eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker.“

An den Tagen, an denen kein Deutschunterricht stattfindet, bleibe Zeit für Ausflüge und den Orientierungskurs, erläutert Awolola. Vieles im deutschen Straßenverkehr sei den Flüchtlingen zunächst fremd, etwa als Fußgänger an roten Ampeln zu warten, selbst wenn keiner kommt, oder Fahrradwege. „Wir erklären auch, wie die Ticketautomaten in den Straßenbahnen funktionieren – und, dass man überhaupt ein Ticket braucht“, erläutert Awolola.

Inzwischen ist es draußen dunkel, der Unterricht ist fast vorbei. Die Teilnehmer wirken müde. Dippel fragt, ob sie das Arbeitsblatt, in dem es um Uhrzeiten und das Abmachen von Terminen geht, noch zu Ende durchgehen wollen. Und obwohl die Erschöpfung im Raum greifbar ist, nicken alle.

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