: „Zur Kandidatur ermutigen“
PartizipationMigranten als Elternvertreter an Schulen sind vielfach noch die Ausnahme. Oft fehlen die direkte Ansprache und der Kontakt zur Schule
Eltern mit Migrationshintergrund treffen sich in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Peine und Stade. Näheres unter www.men-nds.de
Im Elterntalk können sich Mütter und Väter über Medien- und Erziehungsthemen austauschen, auch in ihrer jeweiligen Herkunftssprache.
Infos darüber gibt es bei Simone Zanjani von der Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen unter ☎0511-858788 oder per E-Mail an: info@jugendschutz-niedersachsen.de.
„Lehrer sagen oft: Migranten-Eltern interessieren sich nicht für die Schule ihres Kindes. Das stimmt nicht“, glaubt Lucy Grimme, aus El Salvador stammende Vize-Vorsitzende des niedersächsischen Integrationsrates. Ein Problem sei aber, „dass viele dieser Eltern tatsächlich nur wenig Kontakt zur Schule haben. Die Frage ist, wie man sie erreicht.“ Und diese Frage treibt Lucy Grimme um.
Spezielle Angebote für Eltern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, gebe es viele – doch die Information darüber auf schriftlichem Weg zu verbreiten, etwa per Flyer, sei oft der falsche Weg. „Man muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen, die Menschen direkt ansprechen, dann kommen sie auch“, ist die pädagogische Mitarbeiterin der Lüneburger Arbeiterwohlfahrt überzeugt. Eine Frage, die angesichts von 50.000 neuen SchülerInnen mit geringen oder gar keinen Deutschkenntnissen in Niedersachsen aktueller ist denn je.
„Viele der heutigen Migranten-Eltern sind selbst in Deutschland zur Schule gegangen und sind mit dem Bildungssystem und der Sprache besser vertraut als ihre Eltern. Eine Mehrheit hat großes Interesse an der Ausbildung ihrer Kinder. Immer mehr sind auch bereit, in Elternräten mitzuarbeiten“, sagt Seyhan Öztürk, die im Klassenelternrat an der Grundschule ihrer Tochter in Garbsen aktiv ist.
Beim Elternabend in der 1. Klasse seien dort fast alle Eltern gewesen, auch die mit Migrationshintergrund. Öztürk, die auch Vorsitzende der Föderation türkischer Elternvereine in Niedersachsen ist, weiß aber auch um die Furcht von Migranten, bei der Wahl als Elternvertreter zu kandidieren: „Man muss Menschen zu diesem Schritt ermutigen, gerade wenn sie nicht perfekt Deutsch sprechen. Außerdem wäre es wichtig, den muttersprachlichen Unterricht an den Schulen zu verstärken. Das wäre ein Zeichen der Wertschätzung und könnte den Kontakt zur Schule stärken.“
An der Grundschule Am Geitelplatz in Wolfenbüttel werden Kinder auch in ihrer Muttersprache Arabisch unterrichtet. „Über diesen Unterricht bringen wir arabische Eltern, die schon lange in Deutschland leben, mit Eltern von Flüchtlingskindern in Kontakt. So wird die Schule zum wichtigen Treffpunkt“, berichtet die Sozialpädagogin Nicole Schröder. Regelmäßige Elterncafés oder gemeinsames Kochen bieten mittlerweile etliche Grundschulen an. Auch die Homepage der Geitelschule will Kontakthürden überwinden: grundlegende Informationen gibt es auf Türkisch, Englisch, Französisch, Italienisch und Polnisch.
Sind Sprachbarrieren überwunden, prallen nicht selten unterschiedliche pädagogische Vorstellungen aufeinander. „In den Herkunftsländern vieler Migranten dominiert Frontalunterricht, die Schüler müssen zuhören, es geht um Wissensvermittlung und Leistung. In Deutschland erleben sie, dass die Lehrer häufig viel offener sind, das verunsichert viele Eltern erst mal“, hat Maike Hoeft beobachtet. Die Pädagogin führt regelmäßig vor allem mit türkischen Frauen Workshops durch (www.elementaris-beratung.de), in denen es darum geht, wie Kinder lesen lernen, was ein Stundenplan ist, was Rechtschreibschwäche bedeutet.
„Eltern sind glücklich, wenn man ihnen Begriffe und Zusammenhänge erklärt, die ständig gebraucht werden und vielen doch fremd sind“, ergänzt Hoeft. Sie plädiert dafür, an Schulen Infoveranstaltungen mit Kinderbetreuung und Dolmetscher anzubieten. „Man braucht eine Willkommenskultur, wenn man eine echte Mitwirkung aller Eltern will. Sie müssen erleben, dass sie etwas bewirken können, dann engagieren sie sich auch“, ist Hoeft überzeugt.
„Ich finde es gut, wenn es an Grundschulen keine Noten gibt, denn eine Vier kann Kinder demotivieren. Doch viele Eltern können mit den Berichten über den Leistungsstand ihres Kindes nur wenig anfangen“, berichtet Fatma Ekizce. Sie erinnert sich noch gut an den Elternabend an der Gesamtschule Schinkel in Osnabrück, an dem sie gewählt wurde. „Niemand wollte sich zur Wahl stellen, da habe ich mich dazu entschlossen. Die Schule hat mich unterstützt, das war wichtig. Eine Wahl mit mehreren Kandidaten habe ich erst beim Stadtelternrat Osnabrück mitgemacht.“ Inzwischen gehört sie auch dem niedersächsischen Landeselternrat an, und da dem Ausschuss für die Interessen ausländischer Kinder.
Acht Vertreter könnte dieser Ausschuss haben, nur zwei sind besetzt. Fehlendes Interesse bei Migranteneltern? Carola Burggraf-Köck vom Landeselternrat widerspricht: „Die Schulleitungen dürfen keine Daten über die Nationalität der Eltern herausgeben. An unserer Schule in Helmstedt habe ich alle Eltern angeschrieben. 20 mit einem Migrationshintergrund sind daraufhin zu einem Elternabend gekommen und haben einen Vertreter gewählt. An den meisten Schulen passiert das leider nicht.“
Vahide Akbay berichtet aus ihren Erfahrungen als Lehrerin an der Berufsschule für Hauswirtschaft in Hannover: „In den Herkunftsländern von Migranten spielen Eltern in der Schule meist keine Rolle. Zudem ist das Berufsschulsystem in Deutschland einzigartig, das verstehen viele Eltern nicht und es fehlen fremdsprachige Informationen darüber.“ Doch Akbay nimmt nicht nur die Migranten in die Pflicht: „Die mangelnde Beteiligung ist ein generelles Problem – wir müssen auch mehr deutschstämmige Eltern erreichen.“ Joachim Göres
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