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Paradoxe Situation

Urteil Finanzgericht hält Freibeträge für Kinder für zu niedrig. Karlsruhe muss entscheiden

HANNOVER dpa | Das Bundesverfassungsgericht soll die Höhe der Kinderfreibeträge für Steuerzahler überprüfen. Das hat am Freitag das niedersächsische Finanzgericht in Hannover entschieden. Das Gericht hält die Höhe und die Berechnung der Kinderfreibeträge durch die Bundesregierung für verfassungswidrig. „Das Verfahren wird ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt“, sagte Richterin Georgia Gascard.

Das Gericht machte sich damit die Auffassung der Steuerberaterin Reina Becker (54) zu eigen. Die verwitwete Mutter von zwei Töchtern hatte gegen einen aus ihrer Sicht zu niedrigen Kinderfreibetrag im Jahr 2014 geklagt. Ihr seien dadurch mehrere hundert Euro an Steuervergünstigungen entgangen. Das Finanzgericht stimmte ihr zu: Die Bundesregierung sei ihren eigenen Ankündigungen nicht nachgekommen und habe den Kinderfreibetrag 2014 zu niedrig angesetzt, hieß es. Darüber hinaus stellte das Gericht gleich die gesamte Berechnung des Kinderfreibetrags in Frage. Bemängelt werden dabei zwei komplizierte Punkte – das Existenzminimum und die Ausgaben für volljährige Kinder.

Um den Kinderfreibetrag zu berechnen, legt die Bundesregierung ein sogenanntes sächliches Existenzminium für Kinder fest. Das ist der Teil des elterlichen Einkommens, der steuerfrei bleibt, um den Kindern Lebensnotwendigkeiten wie Essen und Kleidung finanzieren zu können.

Im Sozialhilferecht sind diese Sätze gestaffelt: Je älter das Kind ist, umso mehr Geld gibt es im Monat. Im Steuerrecht verzichtet der Gesetzgeber aber auf diese Staffelung. Das führt zu der paradoxen Situation, dass das steuerliche Existenzminium eines 17-Jährigen unter dem Sozialhilfe-Regelsatz eines Sechsjährigen liegt. „Das ist aus unserer Sicht verfassungswidrig“, sagte Richterin Gascard.

Sie bemängelte zudem, dass es für volljährige Kinder keine eigene Berechnung für den Mindestbedarf gibt. Wenn die Kinder 18 Jahre alt werden, ändert sich nichts am Freibetrag. „Die Bundesregierung muss deshalb aus unserer Sicht einen eigenen Bedarf für Volljährige feststellen“, sagte Gascard.

Entscheiden soll nun das Verfassungsgericht in Karlsruhe. Bis dahin „können aber locker drei bis vier Jahre vergehen“, so ein Gerichtssprecher.

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