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Wer Minderjährige vergewaltigt, bleibt straffrei

TürkeiMassive Proteste gegen Gesetzesprojekt der AKP. Auch deren Unterstützerinnen sind dagegen

„Wir werden nicht gehorchen!“

Slogan von Frauen bei den Protesten

ISTANBUL taz |Mit einem neuen Gesetz will die islamische AKP-Regierung die Vergewaltigung von Minderjährigen straffrei stellen, wenn der Vergewaltiger anschließend das Opfer heiratet. Die Voraussetzung dafür soll sein, dass der sexuelle Missbrauch nicht durch Gewalt oder Drohungen erzwungen wurde. Nach dem Gesetzentwurf sollen damit Täter straffrei gestellt werden, die ihre Tat vor dem16. November 2016 begangen haben. Wenn sie ihr Opfer heiraten, kann von der Vollstreckung einer Strafe abgesehen werden.

Dieser Gesetzentwurf, der in erster Lesung am Donnerstagabend durchs Parlament ging, hat zu massiven Protesten geführt. Vor allem in Istanbul, aber auch in Ankara, Adana, Eskisehir und der Schwarzmeerstadt Ordu gingen Demonstranten auf die Straße und forderten die Regierung auf, diesen „infamen Gesetzentwurf“ sofort zurückzuziehen. Unter den Motto „Vergewaltigung darf nicht legalisiert werden“ zogen Tausende Menschen durch die Straßen. In Istanbul fand die größte Demo am Samstagabend im Stadtteil Kadiköy auf der asiatischen Seite der Stadt statt.

„Wir werden nicht gehorchen“, skandierten Tausende Frauen und Kinder aber auch viele Männer. Selbst die UNO-Kinderorganisation Unicef äußerte sich besorgt über den Gesetzentwurf. „Diese schändlichen Formen der Gewalt gegen Kinder sind Verbrechen, die in jedem Fall bestraft werden müssen“, erklärte der Sprecher von Unicef, Christophe Boulierac, am Samstag in Genf. Auch auf einer Sitzung der Nato-Parlamentarier, die ebenfalls am Wochenende in Istanbul stattfand, musste sich der anwesende Justizminister Bekir Bozdag verteidigen. Er behauptete, das Gesetz solle vor allem Männer aus Roma-Familien, in denen es üblich sei, auch minderjährige Mädchen zu verheiraten, vor Gefängnisstrafen schützen.

Die türkischen Frauenorganisationen nehmen der AKP diese Schutzbehauptungen jedoch nicht ab. „Wir akzeptieren kein Gesetz, das das Recht auf Vergewaltigung von Frauen und Kindern einräumt“, ist ihr Fazit. Selbst die regierungstreue Frauenorganisation Kadem fragt: „Wie soll das Einverständnis eines kleinen Mädchens festgestellt werden?“ Auch eine AKP-nahe Reporterin von Hürriyet berichtete, sie hätte in ihrem Umfeld festgestellt, dass erstmals auch AKP-Frauen gegen ein Gesetzesvorhaben ihrer Partei Stellung nehmen würden.

Als Reaktion auf die Proteste hat Premier Binali Yılderım angekündigt, dass sich einige Juristen der Partei den Entwurf noch einmal vornehmen würden. Dadurch könnte sich die entscheidende zweite Abstimmung, die für Dienstag im Parlament geplant ist, noch verschieben.

Jürgen Gottschlich

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