Saxofonistin über Karriere und Klischees: „Ich habe versucht zu zweifeln“

Für ihr Saxofon zog Asya Fateyeva schon als Kind von der Krim in die Welt hinaus. Jetzt zieht sie in einen Hamburger Vorort – wegen der Nachbarn.

Asya Fateyeva steht auf dem Roten Teppich des Echo Klassik

Asya Fateyeva auf der Preisverleihung „Echo Klassik“ im Oktober in Berlin Foto: Imago/Future Image

Als Asya Fateyeva im Café in Berlin-Kreuzberg ankommt, versteckt sie als Erstes ihre beiden Saxofone hinter der Theke. Sicher ist sicher. Die Instrumente sind Lebensbegleiter und – was man bei Musikern immer gern vergisst – Existenzgrundlage. Asya Fateyeva sucht sich einen Platz in einer Nische, vor eine Weltkarte. Zufall, dass das Schwarze Meer im Zentrum liegt. Während des Gesprächs umrahmt das Blau auf der Karte ihren Kopf, direkt unter der Krim. Dort wurde sie vor 26 Jahren geboren. Ihr Akzent könnte französischer allerdings nicht sein.

taz.am wochenende: Frau Fateyeva, haben Sie heute Morgen schon geübt?

Asya Fateyeva: Ja, eineinhalb Stunden, in Hannover noch, mit meiner Pianistin. Von zehn bis halb zwölf.

Wie oft üben Sie?

Täglich natürlich. Das ist meine Arbeit, das gehört dazu. Drei Stunden sind Minimum, acht Stunden am Tag oder mehr ,wenn ich etwas vorbereite. Viele vergessen aber, dass wir Musiker nicht nur mit den Fingern üben, sondern auch mit dem Kopf arbeiten.

Üben Sie im Wohnzimmer?

Nein, zu Hause ging das bisher nicht. Die Nachbarn haben nicht einmal das Klavier ertragen.

Ihr Mann ist Pianist.

Deshalb ziehen wir jetzt um. Es ist schwierig, in Hamburg eine Wohnung zu finden, und es ist fast unmöglich, wenn man sich als Musiker vorstellt. Aber das müssen wir ja. Es ist unser Beruf.

Wie findet man musikliebende Nachbarn?

Man muss Glück haben. In Deutschland zumindest. Hier ist es anders als in Russland, von dort kenne ich das Problem nicht, dass Musiker stören. Die haben dort wirklich viel ausgehalten und waren daran gewöhnt, dass man vom Leben der anderen etwas mitbekommt. Wir haben in Hamburg lange gesucht. Jetzt ziehen wir in einen Vorort.

Ich habe gehört, dass sich Eierkartons zur Schallisolierung eignen. Ein Radiokollege hat mal solche Kartons gesammelt, um sein Zimmer damit auszukleiden. Der Hall störte die Aufnahme.

Ja, das habe ich auch gehört. Aber es gibt auch professionelle Firmen dafür, die das mit Schaumstoff machen. Wenn man auch nachts üben will, braucht man das unbedingt.

Musizieren Sie mit Ihrem Mann zusammen?

Wir haben uns dafür entschieden, lieber zusammen zu leben als zusammen zu spielen. Ich bezweifle nicht, dass es bei anderen funktioniert, aber das kann echt zu Problemen führen.

Saxofone sind aus Messing, Ihres ist vergoldet. Klingt es dadurch anders?

Ja, je nach Material. Aber der Musiker beeinflusst das Instrument ja auch.

Zwischen verschiedenen Geigen gibt es riesige Unterschiede, weshalb manche professionellen Geiger ihr Leben lang nach dem einen, dem wahren Instrument für sich suchen wie nach der großen Liebe. Wie ist das bei Saxofonisten?

Ab und zu experimentiert man mit einem anderen Instrument. Es kommt auch auf das Repertoire an. Aber bei uns sind vor allem das Mundstück und das Blatt bedeutsam. Nicht das größte, sondern das kleinste Teil ist das wichtigste.

Leben: 1990 auf der Krim geboren, hat in Moskau und Köln studiert, lebt heute mit Mann und Katze in Hamburg.

Werk: Klassische Musik auf dem Saxofon; dafür bekam sie im Oktober 2016 auch einen „Echo Klassik“ als beste Nachwuchskünstlerin.

Wie kamen Sie darauf, Saxofon spielen zu wollen?

Saxofon war eigentlich der Traum meines Vaters …

… der Profifußballer war.

Ja, aber er musste aus gesundheitlichen Gründen aufhören, er hatte Knieprobleme. Danach war er selbstständig.

Eines Tages kam Ihr Vater mit einem Saxofon an.

Ich glaube, ich war neun Jahre alt. Ich kann mich gut an den Koffer erinnern. Er war aus blauem Samt, das Saxofon silbern. Er hat sich dann in eine Ecke gestellt, gegen die Wand, um zu üben. Wenn man so spielt, glaubt man, man klingt fantastisch. Die Resonanz ist enorm. Man hat es nicht nur in der Wohnung, sondern im ganzen Haus gehört. Aber beschwert hat sich keiner.

Sie haben es sich auch genommen und versucht, darauf zu spielen – wie hat sich das angefühlt?

Als ich reingeblasen habe, wurde mir ziemlich bald schwindlig. Es war ein Tenorsaxofon und zu groß für mich. Ich habe schon Klavier gespielt, aber das Saxofon interessierte mich sehr. Irgendwann kam dann mein Vater mit einem Altsaxofon für mich nach Hause.

Sie wollten dann nur noch das machen. Warum?

Auf dem Klavier spielt man mit seinen Fingern. Auf dem Saxofon mit dem Atem. Das ist viel näher dran an einem selbst. Mit mehr Luft spielst du lauter, der Klang vibriert im Körper, man kann mit dem Klang mitleben. Wie ein Sänger.

Sie sind in Kertsch geboren, einer Stadt zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer, am östlichsten Zipfel der Krim. Wer hat Sie dort unterrichtet?

An der Musikschule gab es niemanden. Wir sind dann ins größere Simferopol umgezogen. Dort gab es eine sehr gute Lehrerin, die in Moskau studiert und auf der Krim dann eine Kinderklasse aufgebaut hatte. Sie hat uns mit sehr viel Freude unterrichtet, und sie konnte auch die Eltern überzeugen, dass sie die Kinder unterstützen. Heute ist sie übrigens in Lübeck und baut dort auch eine Saxofonklasse auf. Ich besuche sie, sooft ich kann.

Ihre Familie hat wegen des Unterrichts den Wohnort gewechselt?

Das war ein Grund, aber auch für meinen Vater. Es war für seine Arbeit besser, in der Hauptstadt der Krim zu sein.

Nur wenig später folgte der Umzug nach Moskau.

Ja, aber da sind nur meine Mutter und ich hingezogen und dann zu meinem Vater und meiner Schwester auf die Krim gependelt. Ich hatte ein Stipendium und konnte in Moskau die Musikschule besuchen.

Zwischen Simferopol und Moskau liegen gut 1.500 Kilometer. Eine ganz schöne Strecke für ein Familienleben.

Ja. 19 Stunden waren es mit dem Zug. Die Nächte habe ich geliebt. Dieses Rattatatatam, Rattatatam. Manche mögen es nicht, aber ich finde es beruhigend. Im ICE gibt es das nicht.

Wie fanden Ihre Freunde es, dass Sie in Moskau waren oder so oft im Zug saßen?

Meine Freunde waren auch Musiker. Meine beste Freundin und ich, wir kennen uns, seitdem wir sechs Jahre alt sind. Sie ist Pianistin, wir sind oft zusammen gereist und haben während der Zugfahrten Spiele gespielt. Inzwischen wohnt sie in Hannover, sie ist meine Duo-Partnerin.

Immer wieder lese ich in Musikerbiografien, wie häufig die Musiker schon in ihrer Jugend umziehen, um bei bestimmten Lehrern unterrichtet werden zu können. Die ganze Familie richtet sich nach dem Instrument des Kindes. Das ist schön, offenbar ist das manchmal auch nötig. Aber auch aufwendig. Bei uns war es so, dass ich sehr viel Klavier gespielt habe und sich meine Mutter eher besorgt erkundigt hat, ob ich denn Pianistin werden wolle.

Wollten Sie denn? Klavier ist auch ein Wahnsinn, mit all der Konkurrenz. Geige auch.

Ich war glücklich am Klavier. Aber die Nervosität vor Auftritten hat mich fertiggemacht. Jedenfalls: Umgezogen wären meine Eltern deshalb nicht.

Meine hatten selbst den Traum, Musiker zu sein, aber konnten das in ihrer Kindheit nicht. Also wollten sie mir zumindest die Möglichkeit geben. Es ist übrigens fast ein Glück, dass meine Eltern keine Musiker sind. Denn wären sie es, dann wüssten sie, dass es für das klassische Saxofon kein Repertoire gibt, dass es völlig abgeschoben wurde aus dem Konzertsaal.

Mit anderen Worten: dass es eher schwierig sein könnte, einmal davon zu leben, klassisches Saxofon zu spielen. Aber Ihre Lehrerin hat das gewusst. Oder?

Na ja, ich bin damals mit den anderen Kindern aus der Musikschule gereist, zu Wettbewerben, zu Meisterkursen. Die anderen spielten die normalen Instrumente, Klavier, Geige, Klarinette. Ich fühlte mich damals vollkommen zugehörig. Das war auch gut so, sonst hätte ich mich nie getraut, mich auf so ein Außenseiterinstrument zu konzentrieren.

Haben Sie sich denn jemals als Außenseiter gefühlt?

In Deutschland an der Schule. Und im Musikleben. Da haben sie aber nicht wegen meiner dunklen Haare und Augen oder meines schlechten Deutschs Sprüche gemacht. Sondern wegen des Saxofons.

Was haben sie gesagt?

Dass es nicht in die klassische Musik passt.

Sie sind nach Deutschland gekommen, da waren Sie 15.

Wir sind als Familie ausgewandert. Die Situation auf der Krim, in der Ukraine war damals schon unsicher. Man konnte nichts planen. In Hamburg war ich zuerst ein halbes Jahr auf einer Ausländerschule, um Deutsch zu lernen, dann auf der Realschule. Ich habe meine Musiker vermisst, wollte unbedingt von dort weg. Außerdem gab ich damals auch schon Konzerte und bin zu Festivals gereist. Die Schule hat mir nicht immer freigegeben dafür, sie kannten das nicht. Aber ich war noch zu jung für die Musikhochschule.

Bis die Hochschule in Köln Ihnen angeboten hat, schon als Jungstudentin anzufangen.

Ich habe mich dem Professor für Saxofon dort vorgestellt und ihm vorgespielt. Er und seine Frau haben mich damit als Pflegekind aufgenommen, damit ich schneller studieren kann. Er ist aus Quebec und spricht Deutsch mit einem starken französischen Akzent. Voilà. Wahrscheinlich spreche ich deshalb auch so.

Viele Kinder, die begeistert ein Instrument spielen, verlieren als Teenager die Lust daran. Sind Ihnen Zweifel gekommen, ob diese frühe Festlegung vielleicht falsch war?

In Deutschland hört man von allen Seiten Zweifel. Man muss auf sicherem Weg sein, du musst dein Leben verdienen, und wenn was passiert … Ja, das habe ich oft gehört, zum Beispiel von meiner Pflegemutter in Köln. Sie hat mich gewarnt, wenn ich mit 17 von der Schule gehe, kein Abi mache, sondern Musik studiere, dass ich dann eines Tages Schwierigkeiten bekommen könnte.

Und Sie?

Ich habe versucht zu zweifeln. Und nach Alternativen geschaut.

Nach welchen?

Sprachenmag ich, wenn etwas passieren würde, könnte ich das vertiefen. Aber es ist alles gut.

Haben Sie mal Druck empfunden, dass es auf jeden Fall etwas werden muss als Musikerin?

Nein, eigentlich nicht. Am Anfang hatte ich ein Stipendium und einen anonymen Paten. Heute spiele ich Konzerte und unterrichte. Von Kunst wird man nicht reich, aber man kann in Deutschland zum Glück davon leben.

Und es läuft gut für Sie. Gerade haben Sie einen Echo Klassik als Nachwuchskünstlerin bekommen. Sie waren außerdem die erste Frau, die einen Preis beim Internationalen Adolphe-Sax-Wettbewerb gewonnen hat.

Seltsam, nicht? Erst jetzt gewinnt eine Frau. Ich bekam sogar eine zweite Skulptur, in Form einer Frau. Sehr hübsch, die Brüste, davor das geschwungene Saxofon. Die wurde 1994 von einem Künstler für den ersten Wettbewerb entworfen. Und da ich nach zwanzig Jahren die erste Gewinnerin war, durfte ich sie mitnehmen.

In Kritiken wird das Saxofon immer noch als „männlich“ und „rauchig“ beschrieben. Einverstanden mit dieser Genderisierung?

Nein,ich finde, ein Saxofon kann alles sein. Männlich und rauchig, aber auch weich und weiblich … wie auch immer. Ich suche den passenden Klang für das Stück, das ich spiele. Den einzigen Unterschied, den ich gelten lassen würde, wäre, dass ein klassisches Saxofon völlig anders als ein Jazzsaxofon klingt.

Sie sprachen davon, dass Sie sich mit dem Instrument als Außenseiter vorkamen. Ist es immer noch so?

Ja, zumindest habe ich noch immer diesen Komplex, dass ich nicht richtig dazugehöre. Dass die anderen hochnäsig auf mein Instrument herabschauen würden. Man kennt diese Zeichnung aus der Nazizeit: Ein Schwarzer spielt Saxofon, davor der Schriftzug „ent-artete Musik“. Sowohl im Dritten Reich als auch in der Sowjetunion war Jazz verboten. Und damit auch das Saxofon. Man hat immer noch diese Vorurteile. Man vergisst leider den Ursprung des Instruments: Mitte des 19. Jahrhunderts, Hochromantik, von dem Belgier Adolphe Sax in Paris patentiert. Es ist wichtig, dass die Leute hören, was das Saxofon kann.

Ist es Hilfe oder Hindernis, dass Sie, eine junge, schöne Frau, das Saxofon wieder in den Konzertsaal bringen wollen?

Deswegen habe ich mich lange Zeit eher zurückgezogen, denn ich wollte nicht dieses PR-Klischee bedienen: Ah, junge Frau, verruchtes Instrument! Jetzt kann ich damit leben. Aber Frauen spielen in der Saxofongeschichte eine große Rolle.

Ja?

Elisa Hall zum Beispiel. Sie war die Frau eines amerikanischen Arztes. Sie hatte Lungenprobleme, und ihr Mann hat ihr dagegen Saxofonspielen verordnet. Als ihr Mann starb, ging sie als reiche Witwe nach Paris und beauftragte Komponisten wie Debussy, etwas fürs Saxofon zu schreiben. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätten wir nicht einmal das. Wie gesagt, das Repertoire ist gering. Wir haben einfach Pech gehabt, dass Adolphe Sax das Instrument so spät erfunden hat.

Wie überzeugen Sie einen Konzertveranstalter davon, dass er Sie, die Saxofonistin, für einen klassischen Abend einkauft?

Das macht meine Agentur, zum Glück, ich könnte das nicht so gut. Musik ist ein Geschäft. Wenn ein Veranstalter aber einmal gehört hat, wie das klassische Saxofon klingt, dann weiß er, dass es funktioniert. Außerdem wird das Saxofon immer beliebter, es gibt immer mehr Leute in den Musikschulen, die es spielen möchten.

Seit Sie zehn Jahre alt sind, reisen Sie umher. Erinnern Sie sich daran, wonach Ihre Kindheit riecht?

Ganz klar nach feuchter Salzluft. Und nach viel, viel Sonne. Die schien an 300 Tagen im Jahr.

Ist die Krim Ihre Heimat?

Meine meisten Freunde sind von dort, ich habe auch Verwandte da. Ja, das würde ich so sagen. Und die Musikschule damals war genau an der Strandpromenade. Wir konnten von den Unterrichtszimmern aufs Wasser sehen. Bis ich zehn Jahre alt war, war ich auch nur in diesem kleinen Ort, ohne zu reisen. Diese Ruhe hat mir gutgetan.

Auf welcher Sprache träumen Sie?

Immer noch auf Russisch.

Und wovon träumen Sie?

Das Saxofon wieder bekannt zu machen in der klassischen Musik. Wir reden über eine Welt, und selbst Musiker haben Vorurteile gegen ein Instrument und Schranken im Kopf. Wir brauchen mehr Offenheit.

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