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US-Doku „Above and Below“ auf 3satIm Drüberflieg-Land

„Above and Below“ ist ein kunstvoller Dokumentarfilm über den Niedergang der USA und den Triumph Donald Trumps.

Was viele US-Amerikaner von der Welt sehen Foto: dpa

Unter normalen Umständen würde diese Filmkritik damit einleiten, den rührigen Kultursender 3sat dafür zu loben, dass er auch jenseits des Sommerlochs noch echte Dokumentarfilme zeigt. Also nicht etwa jene von Fernsehjournalisten gemachte Schrumpfversion namens Dokumentation, mit ihrem oft reißerischen Vokabular. Der wahre Dokumentarfilmer lässt die Porträtierten für sich sprechen, in Spielfilmlänge. Und 3sat zeigt Nicolas Steiners „Above and Below“, der weltweit bereits auf 34 Filmfestivals lief.

Above“: Die eskapistisch veranlagte Exzentrikerin April stapft im selbst gebastelten Raumanzug durch die Wüste Utahs. Sie probt die bevorstehende Besiedlung des Mars. Zitat April: „Ich denke manchmal, wir sollten nicht zu anderen Planeten fliegen. Wenn wir hier aussterben, sind wir selbst daran schuld. Sollen wir zum Mars fliegen und den auch zerstören?“

„And“: Der eskapistisch veranlagte Exzentriker Dave haust in einem ehemaligen Army-Bunker am von Menschen verlassenen Salton Sea in Kalifornien, der salziger ist als jedes Weltmeer. Er baut sein Schlagzeug unter freiem Himmel auf und macht mit dem Schweißgerät Jagd auf Feuerameisen. Zitat Dave: „Wenn man einmal gebissen wurde, ist man ein wenig nachtragend.“

Zum Beispiel Wisconsin

„Below“: Die eskapistisch veranlagten Exzentriker Cindy, Rick und Lalo haben ihr Domizil in der Kanalisation von Las Vegas gewählt. Sie grillen Würstchen mit dem Schweißgerät. Zitat Cindy: „Candlelight Dinner.“

Die weiten Wüsten des amerikanischen Westens sind sehr fotogene Orte. Manche Frames rufen Erinnerungen wach an Wim Wenders’ Edelkitsch aus den 1970ern und 1980ern. Der gitarrenlastige Score übrigens auch. „Above and Below“ ist der erste Dokumentarfilm überhaupt, der (2016) mit einer Lola für die beste Kamera ausgezeichnet wurde.

In der vergangenen Woche wurde Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA gewählt. Zu verdanken hat er das, so die allgemeine Einschätzung, einer sich gegen den Abstieg stemmenden, vom sogenannten Establishment vernachlässigten, vergessenen weißen unteren Mittelschicht, einer schweigenden Mehrheit der Trucker und Stahlarbeiter aus dem ganzen Flyover Country.

Zum Beispiel Wisconsin. Trumps Sieg in diesem Staat, bislang eine Bank der Demokraten, hatte Clinton erledigt.

Das Leben war toll, aber am Ende des Monats platzten unsere Schecks. Obwohl ich jeden Monat ein paar tausend Dollar zur Bank brachte

Dave aus Wisconsin

Zum Beispiel also Wisconsin. Zitat Dave: „Wir lebten in Wisconsin. Ich arbeitete in der Gegend. Fuhr Sondermüll von den Twin Cities nach Chicago.“ Wie ist er dann im Bunker gelandet? „Wir hatten ein Haus am See, zwei neue Autos, einen Hund, das ganze Programm eben. Das Leben war toll, aber am Ende des Monats platzten unsere Schecks. Obwohl ich jeden Monat ein paar tausend Dollar zur Bank brachte.“

Dave ist als Aussteiger ein Absteiger wider Willen, und das sind alle anderen Menschen in diesem Film auch. Und sie sind gar nicht so besonders. Zitat Lalo: „Hinter den Kulissen der Stadt sind die Lebensumstände nicht wirklich toll. Überall gibt es Slums. Die Häuser sind alt und zerfallen. Aber alle sind bewohnt.“ Wie tickt ein Amerika, dass einen Trump zum Präsidenten macht? Zitat April: „Meine Mutter wollte mich ja auch nicht. Nicht, bis ich zur Army ging. Und dann war sie stolz auf mich. Selbst als ich Ingenieurin war, einen guten Job hatte und gutes Geld verdiente, sagte sie allen, dass ich in der Army gewesen sei. Das ist eine große Sache in Amerika. Mein Kind ist oder war in der Army.“ Mit der Army war April im Irak und hat dort Dinge gesehen …

Der Film

„Above and Below“, Regie: Nicolas Steiner: Montag, 14.11., 22.25 Uhr auf 3sat

Im Lichte des Wahlerfolgs von Donald Trump erweist sich „Above and Below“ als ebenso faszinierendes wie erhellendes Dokument des Niedergangs der USA. In heilen Verhältnissen ist die ästhetische Überhöhung der gezeigten Lebensumstände allerdings geeignet, diese in ein falsches Licht zu rücken und die unfreiwilligen Absteiger als etwas erscheinen zu lassen, was sie ganz sicher nicht sind: eskapistisch veranlagte Exzentriker.

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1 Kommentar

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  • Welche "heilen Verhältnisse[]" sollten das sein, in denen eine "ästhetische Überhöhung" bereits geeignet ist, unfreiwillige Absteiger wie eskapistisch veranlagte Exzentriker erscheinen zu lassen?

     

    Ich meine: Wer lässt sich schon freiwillig über eine komplette Spielfilmlänge hinweg vor grandioser Landschaftskulisse als Verlierer porträtieren, wenn er weiß, dass die Doku anschließend auf Welttournee gehen soll? Doch höchstens Leute, die sich davon etwas versprechen. Viel Geld zum Beispiel, das angeblich alles besser macht. Oder wenigstens ein wenig menschlichen Zuspruch oder ganz konkrete Unterstützung bei der Überwindung eben jener misslichen Um- bzw. Zustände, in denen sie gerade unfreiwillig stecken. Für alle anderen gilt in unserer ach so freien Welt: Ein erlogener Exzentriker-Ruft ist immer noch besser als gar kein Eigenkapital.

     

    So "heil", dass Unterstützung abseits des bloßen Scheckaustellens für eine nennenswerte Anzahl von Verlieren vorstellbar wäre, ist diese Welt so gut wie nirgends mehr, schon gar nicht in den USA. Vielleicht war es ja das, was so viele Leute veranlasst hat, wenigstens "Heil Trump!" zu skandieren.