Verkauf von Twitter: Rettung oder Tod einer Plattform
Eine Bewegung möchte aus dem kleinen, blauen Vogel eine Genossenschaft machen. Es geht ihr um Datenschutz und um mehr Demokratie im Internet.
„Wir mögen Dich, weil Du unser Leben bereicherst – unsere Nachrichten, unsere Kultur, unsere Beziehungen.“ Wie eine Liebeserklärung liest sich die Petition der Bewegung #WeAreTwitter. Über 1.300 Menschen haben sie unterschrieben. Dahinter stecken die UserInnen der Plattform, die den Kurznachrichtendienst Twitter kaufen wollen. Sie wollen eine Kooperative gründen, wünschen sich gemeinschaftlich geteilte Inhaberschaften und etwa einen kritischeren Umgang mit Hasskommentaren.
Ausgelöst wurde die Bewegung Ende September durch den Journalisten Nathan Schneider, der in der britischen Zeitung Guardian vorschlug: Lasst uns Twitter kaufen. Über 170 Menschen mit idealistischen Motiven, Finanz-Knowhow und Lust auf ein Experiment schlossen sich zusammen und diskutieren seitdem im Internet über Ländergrenzen hinweg, wie das zu bewerkstelligen wäre.
In organisierten Gruppen kommen Stimmen aus den USA, Kanada, Großbritannien und Deutschland zu Wort. Die gemeinsame Motivation: Bei der Übernahme durch einen großen Konzern fürchten sie nicht nur um ihre Daten, sondern um den Charakter des Dienstes. In einer Welt, in der einige wenige immer mehr Firmenanteile besitzen und die Regeln diktieren, wird der Wunsch nach einem Dienst in Selbstverwaltung immer größer. Dezentral organisierte Plattformen, die eine Alternative zum kapitalistischen Modell bieten. Twitter in Nutzerhand ist für die Bewegung die bessere Alternative.
Was für einige bloß nach utopischen Gedankenspielen klingt, ist für Nathan Schneider die einzig logische Schlussfolgerung. „Die Nutzer einer Plattform sollen auch entscheiden, wie es mit ihr weitergeht.“ Dass die Aktion erfolgreich sein kann, belegt er mit verschiedenen Präzedenzfällen: Die US-amerikanische Football-Mannschaft Green Bay Packers gehört deren Fans und auch die Presse- und Nachrichtenagentur Associated Press (AP) mit Sitz in New York wird seit über 100 Jahren genossenschaftlich geführt. Doch bisher wurde noch kein Internetkonzern in der Größenordnung des Kurznachrichtendienstes Twitter genossenschaftlich gekauft und verwaltet.
Umsatz generieren
Für eine gemeinsame Twitter-Übernahme werden verschiedene Finanzierungsmodelle auf den Diskussionsplattformen vorgeschlagen: UserInnen könnten eine Genossenschaft gründen und Anteile der Onlineplattform kaufen, dabei sollen auch die jetzigen Anteilseigner mit ins Boot geholt werden. Auch die Idee, geringe Gebühren für NutzerInnen einzuführen, steht zur Diskussion. Dabei geht es nicht darum, aus Twitter eine Non-Profit-Organisation zu machen, sagt der deutsche Geschäftsführer einer Consulting-Firma, Thomas Euler, einer der sechs Initiatoren der Bewegung. Er wünscht sich, dass der Entwickler-Community Möglichkeiten gegeben werden, Umsatz zu generieren: „Denn auch wenn sie eine Kooperative wird, braucht Twitter Einnahmequellen.“
Johnny Haeusler, Blogger und Gründer der Konferenz re:publica, ist ein weiterer Initiator aus Deutschland. Er könne sich, so formuliert er es im Interview mit dem Deutschlandradio, als Geschäftsmodell „eine ähnliche Genossenschaft wie bei der taz, nur auf internationaler Ebene, vorstellen“.
Doch für ihn steht nicht die Finanzierung, sondern das utopische Potenzial der Idee im Vordergrund. Er will wissen, wie das Ganze organisiert werden kann: Wie sehen Entscheidungsprozesse aus? Wie eine Managementführung? Fest steht, nicht jedeR NutzerIn soll sich daran beteiligen müssen, doch alle sollen Ideen vorzubringen und Entscheidungen treffen können. Als wichtigsten Aufgabe sieht die Community zurzeit: Aufmerksamkeit und Überzeugungsarbeit.
Michael Seemann, Journalist
Aber nicht alle UserInnen sind von dem Plan begeistert. Einer von ihnen ist der Journalist Michael Seemann, der über die Zusammenhänge von Internet und Gesellschaft, Datenschutz und Geschäftsmodellen spricht und schreibt. Er hält #WeAreTwitter für den Tod der Plattform. Denn selbst wenn der Kauf erfolgreich abgewickelt werden könnte, sieht er darin nicht die Lösung des Problems, sondern nur weitere Komplikationen. „Nutzer sind grundsätzlich strukturkonsersativ und wollen keine Veränderung. Ich glaube, eine Genossenschaft würde dem nicht standhalten.“ Basisdemokratische Entscheidungsfindungen von vielen seien eine große Herausforderung. Ein Management aus wenigen NutzerInnen würde wiederum die Legitimationsfrage stellen.
„Es ist wichtig neue Strukturen zu schaffen, aber die Lösung muss ja nicht gleich eine neue Gesellschaft sein“, sagt Seemann. Er wünscht sich einen Konzern an der Spitze, dessen oberste Priorität nicht Profitinteresse ist, sondern der Erhalt der Plattform und Visionen. Doch die Suche nach einem Konzern mit geringem Profitinteresse könnte ähnlich utopisch sein wie ein genossenschaftlich geführtes Twitter. „Vielleicht ist es Zeit, dass Twitter gehen muss“, so Seemann.
Ob 1.300 PetitionsunterzeichnerInnen genügen, um eine Onlineplattform mit 313 Millionen NutzerInnen zu retten, ist nur ein Problem, das an dem utopischen Traum eines Crowd-owned Twitter kratzt. Schon allein, weil fraglich ist, ob sie die gewünschte Kaufsumme in Milliardenhöhe aufbringen und das Organisationschaos bewältigen können. Doch für die UnterstützerInnen von #WeAreTwitter ist Twitter unabhängig von Erfolg oder Misserfolg der Aktion nur ein Anfang. Dahinter steckt eine größere Bewegung, die demokratisch geführten Besitz innerhalb der Onlinewirtschaft fördern möchte. Was Twitter selbst über den Vorschlag denkt? Auf Anfrage der taz teilt die Plattform mit: kein Kommentar.
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