: Jung, motiviert, alleingelassen
Integration Junge Geflüchtete wollen eine Perspektive – und viele Unternehmen würden sie gerne als Auszubildende einstellen. Dennoch gibt es gerade bei den 18- bis 25-Jährigen eine „Integrationslücke“, weil Beratungsangebote sie kaum erreichen
von Carsten Janke
Nedal würde für einen Ausbildungsplatz alles geben. Mit zwei Bombensplittern im Rücken kam der 21-Jährige Ende 2015 in Deutschland an. „Am liebsten hätte ich sofort einen Deutschkurs angefangen“, sagt der junge Syrer, „und eine Ausbildung.“ Das deutsche Wort „Ausbildung“ mischt sich immer wieder in sein schnelles Arabisch. Aber zuerst musste der junge Erwachsene ins Krankenhaus, um die Splitter aus seiner Wirbelsäule entfernen zu lassen. Seitdem ist er seinem Ziel immerhin ein Stückchen nähergekommen: Nedal besucht eine Willkommensklasse an einem Oberstufenzentrum für Hotelberufe.
Tausende junge Flüchtlinge mussten bislang oft monatelang warten, bis sie Aus- oder Weiterbildungsangebote bekommen haben. Vor allem bei Geflüchteten zwischen 18 und 25 Jahren gibt es eine „Integrationslücke“: Sie gelten einerseits nicht mehr als schulpflichtig und bekommen deshalb keine Plätze an Regelschulen. Doch für den Arbeitsmarkt fehlen ihnen Deutschkenntnisse und Qualifikation.
Gerne zu Siemens
Inzwischen hat die Politik allerdings reagiert: An den Berliner Oberstufenzentren wurden speziell für diese Zielgruppe zahlreiche sogenannte Willkommensklassen eingerichtet. Dort lernen die jungen Flüchtlinge zuerst die deutsche Sprache. Anschließend bekommen sie, im Optimalfall, einen Ausbildungsplatz in einem Unternehmen.
Doch trotzdem sind die Erfahrungen beim Thema Ausbildung bislang eher ernüchternd: Von den mehr als 5.100 Flüchtlingen, die 2016 an Berliner Oberstufenzentren beschult wurden, haben sich zu Beginn des neuen Schuljahrs im September 40 Prozent, also rund 2.000 Flüchtlinge, wieder abgemeldet, wie aktuelle Zahlen der Senatsverwaltung für Bildung zeigen. Das muss nicht in jedem Fall bedeuten, dass der junge Flüchtling sich ganz aus dem Bildungssystem verabschiedet hat: Viele ziehen einfach um, finden Jobs oder haben andere Berufsziele. Es zeigt aber, dass die Angebote, die sich die Bildungspolitiker für junge Flüchtlinge ausdenken, mitunter keine sind, die die Zielgruppe tatsächlich anspricht.
Es sind Flüchtlinge wie der junge Syrer Nedal Alatrash, die Unternehmen in Deutschland hoffen lassen. Der 21-Jährige trägt seine Haare wie der Fußballer Ibrahimovic, in Syrien war er auf dem Gymnasium, nun ist er begierig, hier eine Ausbildung beginnen zu können. Gern wäre Nedal zu Siemens gegangen. Doch weil sein Asylverfahren sich in die Länge zog, wollte das Unternehmen ihn nicht haben. „Dann werde ich eben Hotelkaufmann“, sagt Nedal.
Doch so reibungslos läuft die Integration der jungen Erwachsenen nicht immer. Haile Abrahale, geflohen aus Eritrea, wartet seit Monaten auf einen Platz an einer Berufsschule. Im Moment wiederholt der 19-Jährige, der ebenfalls in den Tempelhofer Hangars wohnt, gerade seinen ersten Sprachkurs zur Alphabetisierung. Das heißt, er muss zunächst Lesen und Schreiben lernen. Sobald er ein wenig Deutsch kann, würde er gern arbeiten, vielleicht als Tischler.
Damit junge erwachsene Flüchtlinge eine Berufsausbildung erfolgreich absolvieren können, benötigen sie besondere Unterstützung: Sie müssen in kurzer Zeit die Sprache lernen, einen Ausbildungsbetrieb finden und die richtigen Anträge stellen, zum Beispiel auf Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit. „Sie sind in einer wichtigen Orientierungsphase“, sagt Maria Kipp vom Sozialträger Tamaja, der für die Flüchtlingsunterkunft in Tempelhof verantwortlich ist. Aber für eine gezielte Unterstützung der jungen Flüchtlinge bleibe oft nur wenig Zeit. Laut dem offiziellen Schlüssel müsse sich ein Sozialarbeiter in den Flüchtlingsunterkünften im Schnitt um etwa 55 Bewohner kümmern, so Kipp.
Hoffnung verbreiten zurzeit vor allem Unternehmen: Flüchtlinge könnten einen Teil der offenen Ausbildungsplätze besetzen, sagt etwa Katrin Engel von der Berliner Industrie- und Handelskammer. Die Unternehmen seien sehr interessiert daran. Auch die Rechtslage hat sich verbessert: Durch das neue Integrationsgesetz haben viele Flüchtlinge ein sicheres Bleiberecht für die Zeit der Ausbildung und zwei Jahre danach.
„Aber häufig stockt der Informationsfluss“, sagt Engel. Es hänge von den Sozialbetreuern in den Unterkünften ab, wie gut Flüchtlinge über ihre Ausbildungsmöglichkeiten Bescheid wüssten.
Bildung Die Berliner Oberstufenzentren (OSZ) vereinen die klassischen Berufsschulen mit berufsorientierten Bildungs- und Ausbildungsangeboten. Es gibt sie in verschiedenen beruflichen Ausrichtungen, von Pflege über Tourismus bis zu Medientechnik. Für junge Geflüchtete, die nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, aber Deutschkenntnisse und Schulabschlüsse erwerben wollen, bieten sie sogenannte Willkommensklassen an. Laut der Senatsverwaltung für Bildung gab es zuletzt 95 Willkommensklassen mit insgesamt 1.132 SchülerInnen an Berliner OSZ. 4.000 Geflüchtete dieser Altersgruppe sind in Berlin registriert.
Arbeit Arrivo Berlin heißt die Anlaufstelle des Senats für kleine und mittlere Unternehmen. Arrivo vermittelt Flüchtlinge als Arbeitskräfte und unterhält Übungswerkstätten.
Austausch Das Projekt Unternehmen integrieren Flüchtlinge ist eine Initiative des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Es ist vor allem als Plattform und Netzwerk für Unternehmen gedacht, die Flüchtlinge einstellen wollen.
Hilfe Gemeinnützige Initiativen helfen ebenfalls dabei, Flüchtlinge in Ausbildung und Arbeit zu bringen. Work for Refugees etwa vermittelt über seine Website Flüchtlinge, berät in den Unterkünften und begleitet bei Behördengängen. Ähnliche Initiativen sind jobs4refugees oder workeer. (cja)
Praktikum als Einstieg
„Geflüchtete wollen arbeiten und sie wollen eine Perspektive“, sagt auch Ronald Rahmig. Er leitet das Oberstufenzentrum für Kfz-Technik in Charlottenburg und ist Vorsitzender der Vereinigung der berufsbildenden Schulen Berlin. An seiner Schule sei inzwischen die Hälfte der über 50 Geflüchteten aus Willkommensklassen in einen Berufsvorbereitungskurs gewechselt, sechs konnten bereits in Betriebe vermittelt werden.
Auch Rahmig hält eine intensivere Betreuung der jungen Flüchtlinge für wichtig, darin sind sich Politik, Unternehmen und Berufsschulleiter einig. Einen Weg dorthin sieht Katrin Engel von der IHK in der sogenannten Einstiegsqualifizierung vor der Ausbildung – quasi ein unbezahltes Langzeitpraktikum, in dem Betriebe ihre künftigen Auszubildenden besser kennenlernen sollen. Schulleiter Rahmig hat außerdem gute Erfahrungen mit Bildungsgangbegleitern gemacht: Das sind Paten, die einzelne Flüchtlinge während der Ausbildung mit Kontakten und Erfahrungen unterstützen. Handwerksmeister seien dafür gut geeignet, so Rahmig. In jedem Fall müssten die Unternehmen bereit sein, mehr Zeit in ihre Auszubildenden zu investieren.
Der Syrer Nedal sieht keinen Grund, sich zu beklagen. Mit einer Ausbildung zum Hotelkaufmann könne er sich eine Zukunft in Deutschland aufbauen, sagt er zufrieden. „Und wenn Angela Merkel will, dass ich noch zehn Jahre hier in Tempelhof wohnen bleibe, dann schaffe ich das auch.“
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