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Debatte Liberalismus und MinderheitenBefreiung unerwünscht

Kommentar von Deborah Feldman

Frauenrechte und Freiheit sind heilig – bis die Religion von Minderheiten ins Spiel kommt. In Deutschland zeigt sich das am Umgang mit Muslimen.

Gefangen zwischen der Herrschaft der Religion und der Nachsicht des Staates: Schülerin mit Kopftuch Foto: dpa

A ls ich zwanzig Jahre alt war, begann ich heimlich die Universität zu besuchen. Ich besaß weder einen High-School-Abschluss noch etwas Vergleichbares. Nichts, was mich auf höhere Bildung vorbereitet hätte, außer man zählt die vielen Stunden, die ich unerlaubt in öffentlichen Bibliotheken verbracht habe, dazu und die unzähligen Bücher, die ich heimlich unter meiner Matratze gequetscht oder hinter schwere Möbelstücke geklemmt habe.

Ich bin in New York geboren und aufgewachsen in einer fundamentalistischen Gemeinschaft, in der weltliche Bildung verboten war. Mit siebzehn Jahren wurde ich zu einer arrangierten Ehe genötigt; diese Verbindung brachte ein Jahr, bevor ich mich für meinen ersten College-Kurs eingeschrieben hatte, ein Kind hervor.

Die Entscheidung, zur Universität zu gehen, war das Ergebnis einer lebenslangen Sehnsucht, die durch die Geburt meines Sohnes noch stärker wurde; ich musste einen Weg in eine Welt finden, in der wir beide, er und ich, frei entscheiden konnten.

Ich war die erste chassidische Jüdin am Sarah Lawrence College. Als ich auf den Campus kam, trug ich einen langen, biederen Rock und eine glänzende steife Perücke. Als ich die anderen Studentinnen in ihren engen Jeans und mit ihrem offenen Haaren staunend anstarrte, wurde mir sofort klar, dass ich unauslöschlich anders war.

Keine Ahnung von Political Correctness

Dieses Gefühl verstärkte sich in meinen Seminaren, am deutlichsten während eines Einführungskurses mit dem Titel „Vielfalt und Demokratie“. Dieser Kurs bestand fast durchweg aus weißen Frauen mittleren Alters, deren Kinder bereits aus dem Haus waren. Nur Tamikah war nicht so. Sie und ich hatten etwas gemeinsam, vom ersten Augenblick an war klar, dass wir beide darauf brannten, etwas zu lernen.

Tamikah war eine untypische Studentin am Sarah Lawrence College, da sie eine tiefreligiöse Muslimin war, die während des Unterrichts ein Kopftuch trug. Bald schon bemerkte ich, dass die anderen Studierenden nie auf Tamikahs Diskussionsbeiträge eingingen, als ob sie fürchteten, in eine Falle zu tappen. Ich hingegen hatte noch keine Ahnung, was Political Correctness bedeutete. Ich diskutierte mit einer Dringlichkeit, als hinge meine eigene Zukunft und die von anderen in ähnlicher Lage vom Ausgang unserer Gespräche ab.

Ich hatte gehofft, in Tamikah eine Seelenverwandte zu finden; in meiner Vorstellung hatten wir eine Verbindung, weil wir mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, nicht nur als Fremde in der Gesellschaft, sondern auch als Frauen, denen von Geburt an eine Religion in restriktiver Weise aufgezwungen worden war. Aber sie sah das eindeutig anders.

Vielfalt darf nur Freude bereiten

Als wir uns mit der Funktion von Multikulturalismus in demokratischen Gesellschaften und der Rolle der Religion beschäftigten, kam auch die Rolle der Religionsfreiheit auf. Ich hatte inzwischen gelernt, mich erst einmal zurückzuhalten. Die meisten anderen Studierenden bewegten sich in wohlhabenden linksliberalen Kreisen und beschrieben Vielfalt als persönliche Freude und Bereicherung – Toleranz als große gesellschaftliche Errungenschaft.

Das überraschte mich nicht. Was mich erschütterte, war, wie auch Tamikah diese Überzeugung vertrat. Genau das sei es, erklärte sie, was ihr erlaube, Teil der amerikanischen Gesellschaft zu sein und zugleich ihr besonderes kulturelles Erbe und ihre Religion zu leben: Sie konnte ihr Kopftuch tragen und zugleich das College besuchen.

Wie könnt ihr hier alle sitzen und mich anstarren und sagen, dass alles, was ich durchgemacht habe, im Namen der Toleranz in Ordnung sei?

„Das ist ja alles schön und gut, aber was ist mit Leuten wie mir?“, platzte es schließlich aus mir heraus. „Ich sitze in einer Welt fest, in der ich dazu gezwungen bin, mich an religiöse Gesetze zu halten, die über der Verfassung stehen. Ich bin Amerikanerin, aber meine Bürgerrechte zählen nicht, weil meine Gemeinschaft anders entschieden hat. Und niemand läuft Sturm, um meine Persönlichkeitsrechte zu schützen, nur weil die Rechte einer Gemeinschaft wichtiger sind? Wie könnt ihr hier alle sitzen und mich anstarren und sagen, dass alles, was ich durchgemacht habe, im Namen der Toleranz in Ordnung sei? Was genau tolerieren wir? Ich muss die Tatsache, dass ich jetzt hier bin, geheim halten! Ich könnte dafür bestraft werden, weil ich eine Ausbildung möchte!“

Ich wurde von meinen Emotionen regelrecht überrollt, das spürte ich. Mein Gesicht glühte, ich zittere vor Zorn und Erregung. Ich musste den anderen unbedingt klarmachen, dass ihre Haltung dazu führte, dass Menschen wie ich sich abgelehnt fühlen, so als ob man uns das Tor zur Freiheit vor der Nase zuschlägt.

Menschliche Opfer liberaler Politik

Ich wandte mich an Tamikah. „Sag mir“, fragte ich sie, „kannst du wirklich sagen, dass das Recht einer Gruppe auf Selbstbestimmung mehr wiegt als das des Einzelnen? Bist du ernsthaft bereit, die Rechte der Frauen und Kinder auf dem Altar religiöser Bräuche zu opfern?“

Hier war ich auf den blasphemischen Schnittpunkt liberaler Politik gestoßen: Die Rechte von Frauen sind unantastbar – bis die Religion von Minderheiten ins Spiel kommt. Dies aber funktioniert nur, wenn jeder willens ist, an seinem Platz zu bleiben. Tamikah war dafür ein hervorragendes Beispiel. Sie beschrieb, wie glücklich sie darüber sei, ihr Kopftuch zu tragen und das Leben zu leben, das für eine Frau in einer muslimischen Gemeinschaft vorgesehen ist.

taz.am wochenende

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„Du bist eine sehr seltene Ausnahme“, sagte sie vorwurfsvoll. „Ich wette, die meisten Leute in deiner Gemeinschaft bleiben gern da, wo sie sind. Und wenn nicht, haben sie andere Möglichkeiten. Du selbst bist doch ein Beispiel dafür, oder etwa nicht? Du bist hier. Auf der anderen Seite müssen meine Rechte stärker geschützt werden als deine. Das Recht, anders zu sein, braucht immer mehr Schutz, als das Recht, so wie die anderen zu sein.“

Die anderen nickten eifrig, um sie zu unterstützen. Natürlich war diese Äußerung für sie viel bequemer; als Anomalie konnte man mich viel einfacher ablehnen. Niemand wollte sich der Tatsache stellen, dass es da viele andere wie mich geben könnte, dass auch liberale Politik menschliche Opfer haben könnte.

Die Annahme, dass jeder andere in meiner Welt außer mir glücklich war, traf mich wie die mir vertraute Anklage, die meine Familie stets gegen mich erhoben hat: Was stimmt nur nicht mit dir? Warum kannst du in dieser Welt nicht glücklich sein? Mir wurde plötzlich klar: Zu bleiben, wo man ist, und zu lernen, mit seinem Los zufrieden zu sein, wurde einem nicht nur von der eigenen Gemeinschaft aufgenötigt, sondern auch von der Außenwelt! Meine Unzufriedenheit, mein Unglück waren unerwünscht, wo auch immer ich sie zum Ausdruck brachte.

Hier stand ich, am Toreingang einer freien Welt, und es war, als würde ich abgewiesen. Es war, als sagte man mir, dass es für jeden einfacher wäre, wenn ich keinen Wirbel machte. Es war der ultimative Betrug.

Grob vereinfachende Toleranz

Ich freue mich, dass ich nicht dort geblieben bin, wo ich war. Ich habe meine Gemeinschaft verlassen und zog später auch vom Klassenzimmer hinaus in die wirkliche Welt, auf der Suche nach jenem Ort, wo Diskussionen möglich sind. Leider muss ich aber auch berichten, dass ich diesen Ort noch nicht gefunden habe, auch wenn ich heute in Berlin, einer der progressivsten Städte der westlichen Welt, lebe. Denn hier ist die Debatte über Toleranz gegenüber Muslimen ebenso schwarz-weiß wie jene in meinem ersten Semester am College. Noch immer fühle ich mich jedes Mal persönlich betrogen, wenn die unbequemen Stimmen eines angenehmeren Arguments zuliebe übergangen werden.

Das komplexe Erbe liberaler Toleranz ist in Deutschland reduziert worden auf eine grob vereinfachende Obsession mit dem Kopftuch. Unsere Gesellschaft ist weiterhin auf erhabene, großzügige Weise nachsichtig mit Gemeinschaften, die Kinder und Frauen unterdrücken, denn dann kann man sich auf die Schulter klopfen für die eigene Großzügigkeit und weitermachen wie bisher. Das ist viel einfacher, als für die Rechte jener zu kämpfen, die gefangen sind zwischen der Herrschaft der Religion und der Nachsicht des Staates.

Das wäre nach allem auch zu viel verlangt. Frauen wie ich haben immer schon zu viel verlangt. Das wurde mir schon oft gesagt, und zwar in beiden Welten, in meiner alten und in dieser neuen. Diese neue Welt ist nicht frei, habe ich entdeckt, und solange Freiheit nur selektiv gilt, wird sie bedeutungslos bleiben.

Aus dem Englischen: Christian Ruzicska, Joachim Zepelin

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34 Kommentare

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  • Es ist ein altes Problem, das der Liberalismus nicht liberal ist, wenn er alle zum Liberalismus bekehren möchte. Wo die Toleranzgrenze zur Illiberalität verläuft ist nicht absolut festlegbar, sondern unterliegt laufender gesellschaftlicher Verhandlung und ist zudemeine Frage der Aufmerksamkeitsökonomie. Darf der Statt in katholische oder pfingstlerische Exorzismuspraktiken eingreifen? Beschneidungsrituale? Wer definiert Unterdrückung? "BefreierIn" oder die sich ggfs. gar nicht unterdrückt fühlende Kopftuchträgerin? Mir fehlen da ehrlich gesagt die eindeutigen Antworten. Notwendig halte ich aber die Teilnahme am erweiterten gesellschaftlichen Leben von Menschen aus Minderheitgruppen, d.h. die Möglichkeoit andere Lebesnentwürfe zu erleben und ggfs. zu praktizieren, so dass eine Urteilsbildung ohne Indoktrination möglich ist - die Details sind Verhandlungssache, also z.B.: Muslimische Mädchen haben am Schwimmunterricht und Klassenfahrten teilzunehmen, Burkini und Hidjab gehen dabei in Ordnung etc. pp.

    • @hessebub:

      „... so dass eine Urteilsbildung ohne Indoktrination möglich ist - die Details sind Verhandlungssache, also z.B.: Muslimische Mädchen haben am Schwimmunterricht und Klassenfahrten teilzunehmen, Burkini und Hidjab gehen dabei in Ordnung ...“

       

      Die Indoktrination findet unter dem Kopftuch statt. Dabei kann auch nicht, analog dem feudal-religiösen ideologischen Stoff "Kopftuch", ein "Burkini und Hidjah", "dabei in Ordnung" gehen.

       

      Sich nicht damit auseinanderzusetzen wäre zugleich eine postpatriarchale Entmündigung und Geringschätzung -nicht nur- der muslimischen Frau durch die bürgerlichen „Gutmenschen“.

       

      Zur Emanzipation gehört eben auch die harte Selbst-Auseinandersetzung mit der feudal-religiösen Indoktrination und traditionellen patriarchalen Fremdbestimmung der (christlichen wie muslimischen) Frau.

  • Gefangen in und unter der Herrschaft der feudal-religiösen und patriarchalischen Religion der Aberglaubensgesellschaft: Schülerin mit Kopftuch.

     

    Auch für muslimische Frauen gibt es in ihrer religiösen Gefangenschaft keine Emanzipation und Gleichberechtigung!

     

    Diese psychische und physische Gefangenschaft -vor allem der körperlichen und geistigen Unterwerfung der Mädchen und Frauen- kann und darf auch nicht in der bürgerlichen bundesdeutschen und europäischen Gesellschaft "geschützt" werden!

  • 51 Jahre nach Herbert Marcuses Essay können wir feststellen, dass repressive Toleranz ein fester Bestandteil der Gesellschaft ist. Und zwar weltweit.

  • 3G
    30014 (Profil gelöscht)

    Guter Beitrag. An einer Stelle musste ich aber herzhaft lachen:

     

    "auch wenn ich heute in Berlin, einer der progressivsten Städte der westlichen Welt, lebe."

     

    Vielleicht versucht sie es mal in Ingolstadt oder Rosenheim. Ich bin mir sicher, dass sie ihren Sehnsuchtsort dort mit höherer Wahrscheinlichkeit findet.

  • „Das Recht, anders zu sein, braucht immer mehr Schutz, als das Recht, so wie die anderen zu sein.“

     

    Die Gültigkeit dieser Aussage möchte ich in ihrer Absolutheit doch in Frage stellen. Wie sollten wir zum Beispiel reagieren, wenn die Anhänger eines aztekischen Opferkultes fordern, im Rahmen der Religionsfreiheit auch Menschen zu töten?

     

    Dieses Szenario mag jetzt zwar etwas übertrieben wirken. Ich empfinde es aber ebenso „mittelalterlich“, welche Sonderrechte hierzulande den Amtskirchen eingeräumt werden, die zumindest partiell elementare Rechte vieler Menschen außer Kraft setzen (Arbeitsrecht, Diskriminierungsverbote, u.s.w.). Solange wir diesen offensichtlichen Skandal nicht gelöst haben, wird es argumentativ äußerst schwierig sein, irgendeine Forderung zurückzuweisen, wenn sie aus religiösen Gründen erhoben wird (im Grunde genommen sogar die der Azteken...).

  • Wer sagt denn, dass all das, was Deborah Feldman in ihrem Buch behauptet, wirklich der Wahrheit entspricht? Als Außenstehende/r kann man das ja nun in aller Regel nicht überprüfen - und die Medien tendieren dazu, Leute wie Feldman zu quasi unantastbaren "Helden" zu stilisieren, anstatt ihrem Informationsauftrag nachzukommen und sorgfältig und umfassend zu recherchieren. Das zeigt sich bereits daran, dass immer wieder davon schwadroniert wird, dass Feldman aus "dem orthodoxen Judentum" ausgestiegen sei - obwohl sie Mitglied einer extremen ULTRA-orthodoxen Gemeinschaft war. Viele Deutsche - Journalisten und andere - wissen offensichtlich gar nicht, was der Unterschied ist.

    • @Carina D.:

      Da haben wir es wieder. Arrogante junge Westler glauben die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und offerieren ihre Form der weißen kolonialistischen Arroganz nach der sie alles besser wissen als die "wilden" Nicht-Weißen. Ihr merkt nicht mal wenn ihr dieser kolonialistischen Arroganz verfällt.

       

      Die Punkte die sie aufwerfen wie Unterschied zwischen orthodoxem und ultraorthodoxem Judentum sind Nebelkerzen die NULL mit den Fragen und Sachverhalten zu tun hat die die Autorin hier aufwirft. Statdessen versuchen Sie das auch noch als Fake darzustellen. Wann haben deutsche Linke verlernt zu argumentieren, wann sind sie zu Verteidigern von Feinden der Freiheit geworden? By the way, international spielt ihr keinerlei Rolle, niemand interessiert sich für die deutsche Linke.

       

      Ihr gewinnt zwar so die Islamisten für euch aber die deutsche Linke erzeugt so nur noch Hass und tiefe Verachtung bei säkularen Muslimen und Nicht-Muslimen aus der Region. Ihr betreibt Beihilfe zu dem Lebensterror dem sie ausgesetzt sind, ihr tragt dazu bei dass sie auch hierzulande zunehmend dem islamistischen Druck ausgesetzt sind. Vielleicht ist euch das nicht bewusst aber ihr solltet das ruhig wissen.

      • @Tron1981:

        Nein, der Unterschied zwischen dem orthodoxen und dem ultra-orthodoxen Judentum ist SEHR relevant, da es sich hierbei nicht einfach um ein- und dieselbe religiöse Strömung handelt. Dass vielen Leuten in Deutschland der Unterschied nicht bekannt ist, rechtfertigt nicht, alle Orthodoxen in einen Topf zu werfen.

         

        Arrogant ist es vielmehr, automatisch alles abzufeiern, was "Nicht-Weiße" sagen oder tun - aber was soll das überhaupt mit dem Text von Deborah Feldman zu tun haben? Nichts.

  • "Die Rechte von Frauen sind unantastbar – bis die Religion von Minderheiten ins Spiel kommt."

     

    So sieht es leider auch in Deutschland aus...

    • @Jens Frisch:

      Leider funktioniert das in beide Richtungen: Kaum geht es um Religion, ist es möglich, Frauen vorzuschreiben, welche Kleidung sie (nicht) tragen dürfen: Diskussionen über Kopftuch, Burka, Burkini füllen die Medien, über die Kleidung von Männern spricht kein Mensch, und am Ende wundern wir uns, dass Frauen mit Kopftuch auf der Straße angefeindet werden. Wie diese Diskussionen die Unabhängigkeit von Frauen stärken soll bleibt mir ein Rätsel.

  • Die Frau Feldman erlebt da die Grenzen der gesetzlichen Regulierungsmöglichkeit. Denn jede Regulierung bedeutet auch eine Handlungsvorgabe und ein Beschneiden der eigenen Freiheit.

    Dennoch verstehe ich nicht ganz ihr Problem. Die Gemeinschaft in der sie aufgewachsen ist hat nicht ihren Erwartungen an das Leben entsprochen. Nun gut, sie ist da ausgestiegen. Sie hat diese Freiheit gehabt. Nur wenn sie diese Möglichkeit nicht gehabt hätte, dann wäre es ein Fall für die Gesetzgebung die die Selbstbestimmung schützen soll.

    Also soll jede Gemeinschaft sein wie sie will solange jeder die Möglichkeit hat diese zu verlassen und sie nicht gegen Menschenrechte verstößt.

    • @chinamen:

      Abgesehen davon, dass man Menschen nicht gegen ihren Willen "befreien" kann. Viele chassidische und muslimische Frauen werden auf Anfrage wohl erklären, dass sie ein streng religiöses Leben führen, lange Röcke und Kopftücher tragen WOLLEN. Dann hat sich ein liberaler Staat auch nicht einzumischen.

  • Die repressive Toleranz ist sicherlich ein Kernproblem der Gesellschaft. Aber es ist ein Problem dass man nicht von heute auf morgen lösen kann - schon gar nicht von oben herab.

     

    Im konkreten Fall der sexuellen Unterdrückung müsste man die Einstellung der beteiligten Männer und vor allem der Frauen ändern. Das ist ein schleichender Prozess der Generationen benötigt.

     

    Ein Einmischen von außen ist immer eine Autoritätsanmassung. Tut man dies muss man sich schon sehr sicher sein dass man mehr Menschen hilft als schadet. Und eben diese Gewissheit kann ein Aussenstehender kaum haben.

    Das Negativbeispiel sind die USA die meinen über das Leben von Menschen die 10.000km weit weg leben entscheiden zu dürfen/müssen.

     

    Und liebe Frau Feldmann gesellschaftlichen Druck gibt es überall. Es ist doch ihre eigene Sache wenn Sie sich im Leben derart von ihrer Familie bevormunden lassen.

    Sicher ist das schwer sich als Kind von den Eltern zu emanzipieren. Aber heute können Sie doch selbst denken, selbst handeln und selbst lenken.

    Ihr Problem sollte also gelöst sein, ihren Sohn sollten Sie nun dementsprechend erziehen. Aber das ist doch IHR Umfeld, warum bitten Sie andere ihre Kämpfe auszutragen?

     

    Sehen Sie wir Atheisten haben ja auch Probleme damit wenn wir 6-klässler im Religionsunterricht sehen. Ich persönlich denke es ist Gehirnwäsche.

    Soll ich deshalb aggressiv gegen alle Religionen und deren Verbreitung vorgehen? Weil ich den Glauben für Unfug halte und die Methoden als Gift für den aufgeklärten Geist sehe?

    Oder soll ich Toleranz walten lassen und sagen jedem das seine? Weil es mich nichts angeht, weil jeder über sein Leben selbst entscheidet.

    • @Chaosarah:

      "In den USA glauben etwa 90 Prozent der Menschen an Gott (und rund drei Viertel gar noch an Teufel und Hölle)."

       

      Info.-Freidenker

  • „Das Recht, anders zu sein, braucht immer mehr Schutz, als das Recht, so wie die anderen zu sein“ sagt die Vertreterin der Konservativen.

    Mhm, korrekt. Liegt einfach daran, dass jmd. in einer Minderheitsposition es schwerer hat, ihr/sein Recht auf individuelle Freiheit durchzusetzen, welches für alle gleichermaßen gilt, als jmd. in einer Mehrheitsposition.

    Entscheidend ist aber die Perspektive der betroffenen Person und gerade nicht die der Vertreterin des Kollektivs. Wurscht ob es dabei um das Recht auf Entscheidungsfreiheit geht oder um das Recht, sich knechten zu lassen.

    Die Konservative hier stellt die Argumentation auf den Kopf, indem sie versucht, den Herrschaftsanspruch einer Mehrheit als Minderheitenschutz zu verkaufen.

    • @Ruhig Blut:

      Neulich in Hmbg setzte sich ein Pärchen (~40) ins Cafe: Beide in sexistisch aufgeladener, großflächig sexappealmäßig gelöcherter Ledermontur. Sie von ihm an einer Lederleine geführt. Beide eloquent gut gelaunt.

      Ihre Freiheit zur Lust an der Unterwerfung. Sehr modern?

      • @H.G.S.:

        Na wer das braucht soll‘s haben. Gut, dass sowas hier mittlerweile in der Öffentlichkeit klargeht. Modern? Tja. Die mühsam errungene Freiheit und Gleichberechtigung demonstrativ aber spielerisch abzulegen, da fällt mir eher „postmodern“ als Allerweltsdiagnose ein. Was wäre, wenn er an der Leine gehen würde?

  • Zwangsbefreiung unerwünscht, ganz richtig. Wenn westliche Zivilisatoren wieder mal ihre Weltbeglückungsmaßnahmen anpreisen, ist stets Voricht geboten: Fragen Sie die amerikanischen, afrikanischen und australischen Ureinwohner. Fragen Sie die Vietnamesen. Fragen Sie die Afghanen, Palästinenser und Iraker. Fragen Sie die Inuit.

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Es geht hier nicht um Außenpolitik. Es geht um Minderheiten die im Westen leben aber westliche Werte nicht akzeptieren wollen und damit davon kommen, weil jede Kritik an ihnen mit Rassismus gleichgesetzt wird.

      • @33523 (Profil gelöscht):

        Zu den viel zitierten westlichen Werten gehört auch die Religionsfreiheit. Diese umfasst grundsätzlich auch das Recht, ein streng religiöses Leben zu führen - egal, wie seltsam das auf andere Menschen wirken mag.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Wer spricht für diese Kollektive und bestimmt deren Regeln? Wenn gesellschaftlicher Liberalismus Nonkonformismus schützen will, dann sollte das auch für NonkonformistInnen in Gemeinschaften mit vom Mainstream abweichender Lebensweise gelten. Eine Frau, die aus der von ihrem Kollektiv vorgeschriebenen Lebensweise loskommen will, verdient Unterstützung, auch wenn das den Männern und womöglich einer Mehrheit der Frauen innerhalb der Gemeinschaft, die Einschränkungen gerne akzeptieren, nicht passt. Wer aus einer nach ihrem Selbstverständnis unauflöslichen Gemeinschaft heraus will, verdient Schutz, sollte er/sie gar mit dem Tode bedroht werden. Das ist m.E. kein überheblicher Kolonialismus.

  • "Unsere Gesellschaft ist weiterhin auf erhabene, großzügige Weise nachsichtig mit Gemeinschaften, die Kinder und Frauen unterdrücken, denn dann kann man sich auf die Schulter klopfen für die eigene Großzügigkeit und weitermachen wie bisher. -----

     

    Das ist viel einfacher, als für die Rechte jener zu kämpfen, die gefangen sind zwischen der Herrschaft der Religion und der Nachsicht des Staates."

  • Gewiß - …hören wir mal rein -

     

    Bitte Herr Franz K. - Vor dem Gesetz -

    "… Er vergißt die andern Türhüter, und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den unglücklichen Zufall, in den ersten Jahren rücksichtslos und laut, später, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Schließlich wird sein Augenlicht schwach, und er weiß nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird, oder ob ihn nur seine Augen täuschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlöschlich aus der Türe des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Körper nicht mehr aufrichten kann. Der Türhüter muß sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zuungunsten des Mannes verändert. »Was willst du denn jetzt noch wissen?« fragt der Türhüter, »du bist unersättlich. « »Alle streben doch nach dem Gesetz«, sagt der Mann, »wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?« Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: »Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.« http://gutenberg.spiegel.de/buch/franz-kafka-erz-161/5

    Frage also - Wer - wenn nicht Sie?

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Es gibt viele solcher Geschichten aber leider schaffen es die wenigsten in die deutsche Presse. Schön das es nun doch nochmal geklappt hat!

    Auch hier findet man die beschriebenen Mechanismen wieder. Minderheiten sind für viele unantastbar, auch wenn sie die Rechte die einem sonst so wichtig sind mit Füßen treten. Im Namen der Toleranz kann man hier jedes Schindluder rechtfertigen und einige sind sich noch nicht einmal zu schade blanke Lügen aufzutischen um ihr Weltbild zu verteidigen.

     

    Besonders brenzlich wird es wenn zwei Minderheiten sich gegenüberstehen. Dann ist die Antwort fast immer “Wir können doch keine Minderheiten gegeneinander ausspielen!” und über die Sache wird kein Wort mehr verloren.

    • @33523 (Profil gelöscht):

      "Minderheiten sind für viele unantastbar, auch wenn sie die Rechte die einem sonst so wichtig sind mit Füßen treten. Im Namen der Toleranz kann man hier jedes Schindluder rechtfertigen..."

       

      ...als da wären etwa die Nazional Befreiten Zonen?

    • @33523 (Profil gelöscht):

      Bitter, aber wahr - auch hier in Deutschland und auch bis zum heutigen Tag.

       

      Wer unterstützt hierzulande die Kämpfer(-innen), die die Einhaltung von Menschenrechten für alle fordern; auch, wenn z. B. religiöse „Gesetze“ tangiert werden?

  • Was ist mit den Mädchen und Frauen, die Kopftuch tragen wollen? Sind die freier, wenn man es ihnen verbietet?

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Was im Übrigen gar nicht nur muslimische Frauen tun: Es gibt auch sehr viele jüdische Frauen, die aus religiösen Gründen Kopftücher tragen - wieder etwas, das in Deutschland offenbar nicht bekannt ist.

      https://en.wikipedia.org/wiki/Tichel

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Das sind die die richtig gefährlich sind. Sie sind eine Bedrohung für die Frauen, die kein Kopftuch tragen wollen aber unter dem Druck ihrer Gemeinschaft stehen.

      Schon Marx hat eine Antwort auf die Problematik gegeben: "Die gesellschaftlich produzierte Not des Einzelnen und die ideologischen Rechtfertigungen dieses Zustandes werden von den Kommunisten immer und überall bekämpft – und zwar auch dann, wenn sich Menschen bewusst für die Affirmation von Herrschaft und Ausbeutung entscheiden. "

      Ihre Frage stellt sich einfach so nicht.

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Die können ja Kopftuch tragen. Es geht eher darum das diskussionen in denen auch die negativen Aspekte kultureller Minderheiten beleuchtet werden nicht automatisch als rassistisch oder *phob gelten. Sonst wird man nie in der Lage sein Probleme in diesen gesellschaftlichen Gruppen anzusprechen.

       

      Zum Beispiel ist jedem klar das Frauen, nach westlichen Maßstäben, im Nahen Osten nicht viel zu Lachen haben. Dennoch weigert man sich konsequent anzuerkennen das diese Haltung dazu führt das Menschen aus dieser Region häufiger dazu neigen sexuelle Gewalt auszuüben. Grade wieder beim Oktoberfest. (https://goo.gl/8h7gEd)

       

      Der Grund für dieses Verhalten liegt auf der Hand: Ausländer stehen in der Opfer-Hierarchie einfach weiter oben als Frauen.

      • @33523 (Profil gelöscht):

        "Zum Beispiel ist jedem klar das Frauen, nach westlichen Maßstäben, im Nahen Osten nicht viel zu Lachen haben."

         

        Welche Frauen? Die in Gaza und Hebron?

        • 3G
          33523 (Profil gelöscht)
          @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          Denen im Nahen Osten. Der Nahe Osten besteht nicht nur aus den Konfliktgbieten in denen Israel involviert ist.

  • "Das komplexe Erbe liberaler Toleranz ist in Deutschland reduziert worden auf eine grob vereinfachende Obsession mit dem Kopftuch. "

     

    Sehr gute Beobachtung. Und ein guter Artikel, der den Weg weist, dass und in welche Richtung wir dringend weiterdenken müssen.