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Wittes Ruinen

FAHRGESCHÄFTE In Berlin-Treptow vergammelt seit Jahren ein Vergnügungspark. Fast ebenso lang saß der Sohn der früheren Betreiberfamilie wegen Drogenschmuggels in Peru in Haft. Nun ist er zurück in Berlin

von Marina Mai

Noch hat Norbert Witte, Berlins einstiger Rummelplatzkönig, seinen Sohn Marcel nicht in die Arme geschlossen. Marcel Witte kam Anfang September zurück nach Berlin – nach 13 Jahren Haft in Peru. Nun sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Moabit. Wegen Drogenhandels im großen Stil. Es geht um 167 Kilo Kokain, die die Wittes 2003 im Hohlraum eines Karussells versteckt von Peru nach Berlin schmuggeln wollten. Die Sache flog auf. Vater und Sohn wanderten in den Knast. Vater Norbert Witte in Berlin, wo er festgenommen wurde. Viereinhalb Jahre saß er hier ab, teilweise als Freigänger. Sohn Marcel musste in Peru in einen der härtesten Knäste der Welt. Allerdings konnte er sich in dem völlig überfüllten Männergefängnis eine Einzelzelle kaufen und darin sogar mit einer Besucherin einen Sohn zeugen. Nun, nach jahrelangen juristischen und politischen Verhandlungen, wurde er nach Berlin überstellt, wo er die restlichen sieben Jahre absitzen soll.

„Ich habe keine Einladung von Marcel nach Moabit bekommen“, sagt Norbert Witte der taz. Und meint damit die Justizvollzugsanstalt in dem Berliner Stadtteil. Witte ist alt geworden. Der 61-Jährige trägt einen Dreitagebart, auf dem Kopf finden sich nur noch wenige graue Haare, sein Gesicht ist eingefallen. Kaum etwas an ihm erinnert an das verwegene Schlitzohr, als das er auf seinem Rummel, dem Berliner Spreepark, agierte. „Marcel will zuerst seine Mutter sehen und seine Schwestern“, sagt Witte. „Denen hat er eine Einladung nach Moabit geschickt.“ Darüber sei er nicht enttäuscht, schließlich sei es die Mutter gewesen, die alles getan hätte, um den Sohn aus dem Knast in Peru wieder rauszubekommen. Pia Witte hatte die Bundeskanzlerin und den Bundespräsidenten angeschrieben. 2014 hatte sie sogar Perus Präsidenten Ollanta Humala Tasso im Berliner Hotel Adlon abgefangen und ihn auf das Schicksal ihres Sohnes aufmerksam gemacht. Was Norbert Witte nicht sagt: Seit dem Abenteuer in Peru herrscht Funkstille zwischen ihm, seiner Ex-Frau und den Töchtern. Sie werfen ihm vor, Marcel ins Gefängnis gebracht zu haben.

Der Rummel zur Wende

1990 war die Welt der Wittes noch in Ordnung. Zumindest taten sie alles, um es so wirken zu lassen. Die Mauer war gefallen und die Hamburger Schaustellerfamilie kaufte sich im Ostberliner Kulturpark ein, der der einzige feste Rummelplatz der DDR gewesen war. Ein Jahr später erhielt die von Pia Witte geführte Spreepark GmbH den Zuschlag für den Betrieb des einst volkseigenen Rummels. Was die Berliner Behörden damals nicht wussten: Ihr Mann Norbert Witte, der eigentliche Macher des Parks, war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr geschäftsfähig. 1984 hatte er auf dem Hamburger Rummel Dom das größte Kirmesunglück in der deutschen Nachkriegsgeschichte verursacht: Als der Teleskopkran, den er zur Reparatur seiner nicht versicherten Loopingbahn „Katapult“ ausgefahren hatte, mit einem benachbarten Fahrgeschäft zusammenprallte, starben 7 Menschen, 15 wurden verletzt. Das ­Hamburger Landgericht sprach Witte wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung für schuldig. Weil er die Opfer nicht entschädigen konnte, verlor Witte die Geschäftsfähigkeit. Auf deutschen Rummelplätzen wurden ihm danach immer wieder Standgenehmigungen verwehrt, er musste nach Jugoslawien und Italien ausweichen. Die Wende war seine Chance. Und die nutzte er.

Der Ostberliner Spreepark mit Riesenrad, Achterbahn, Westerndorf und Wildwasserbahn verlor zwar von Jahr zu Jahr mehr Besucher – obwohl die Wittes ihn mit einigen westdeutschen Fahrgeschäften aufgemotzt hatten. Doch Norbert Witte war CDU-Mitglied und hatte gute Kontakte zur Politik. Der Spreepark war zwar klamm, aber Großspender für die CDU. Das Land Berlin erlaubte Witte, ein landeseigenes Grundstück als Sicherheit für seinen Bankkredit zu nutzen. Und immer wieder saß der Schausteller mit seinem Cowboyhut in der Bezirksverordnetenversammlung auf den Besuchertribünen. Dort spielte er die Rolle des von der Politik gebeutelten Kleinunternehmers. Und er spielte sie gut. Er beklagte sich bei der Presse über fehlende Parkplätze, über Umweltauflagen für den Park. Die wären schuld, dass sein Lebenswerk nicht wirtschaftlich laufen könne. Seine Klagen wurden erhört: Einen Sommer lang durften die Autos der Parkbesucher sogar auf dem Sportplatz einer benachbarten Schule parken. Schulsport gab es dann nicht.

Schlitzohr Witte

2001 war Wittes Bankkredit aufgebraucht. Doch Witte war und ist ein Stehaufmännchen. Um nicht pleitezugehen, wollte er mit dem Park auf ein größeres Grundstück umziehen, das Land Berlin sollte ihm den Umzug bezahlen. Das Schlitzohr erläuterte Politikern und Medien, dass alle Vorteile davon hätten. Schließlich könne Berlin auf dem bisherigen Grundstück dann Stadtvillen bauen. Und für die Sanierung des neuen Grundstücks könne man EU-Gelder verwenden. Doch im Sommer 2001 wurde die CDU-Regierung in Berlin abgewählt. Und Wittes Einfluss war dahin.

Doch auch dafür fand Norbert Witte eine Lösung. Eine, die alle überraschte. Anfang 2002 setzte er sich mit seiner Familie und sechs Fahrgeschäften nach Peru ab.

In Berlin blieben 11 Millionen Euro Schulden zurück. Und ein verrotteter Vergnügungspark. Die verbliebenen Fahrgeschäfte gammeln noch heute vor sich hin. Pappdinosaurier sind umgestürzt, die Gespensterbahn ist mit Entengrütze gefüllt, in der Frösche quaken. Der Spreepark ist eine morbide Filmkulisse geworden. Hollywood drehte hier, es entstanden Szenen für den „Tatort“ und die Kinderserie „Löwenzahn“.

In Perus Hauptstadt Lima eröffneten die Wittes Anfang der nuller Jahre einen neuen Vergnügungspark – offiziell gemanagt von Sohn Marcel. Auch dieser Park lief schlecht. Diesmal gab Norbert Witte der feuchtwarmen tropischen Luft die Schuld, die die Fahrgeschäfte rosten ließen. Und ein bisschen auch seiner Frau, die sich in Peru von ihm getrennt hatte – wegen seiner Affäre mit einer Peruanerin.

Doch wie kommt man von Peru wieder nach Berlin, wenn man pleite ist? Norbert Wittes Idee: Der Kokainschmuggel im Hohlraum eines seiner Fahrgeschäfte sollte ihn finanziell sanieren.

Reue klingt nicht aus der Stimme von Witte senior, wenn er davon erzählt. Er fingert an seinem Handy herum und steckt sich eine Zigarette an. Es schwingt eher Enttäuschung darin mit. Enttäuschung darüber, dass die Ermittler ihm, dem Schlitzohr, auf die Schliche kamen und ihn im November 2003 in Deutschland verhafteten.

Und welche Rolle spielte Wittes Sohn bei dem Kokainhandel? Nach Darstellung der peruanischen Justiz traf ihn die Schuld – war Marcel Witte, damals 21 Jahre jung, doch Geschäftsführer des dortigen Vergnügungsparks und das einzige Familienmitglied, das zum Tatzeitpunkt in Lima war. Einer Reporterin der Sächsischen Zeitung, die ihn 2013 im seiner Einzelzelle in Peru besuchte, erzählte Marcel Witte hingegen, der Vater sei die treibende Kraft hinter dem Deal gewesen. Was glaubhaft klingt: Hat man Norbert Witte kennengelernt, kann man sich kaum vorstellen, dass er als Handlanger seines damals 21-jährigen Sohnes agierte.

Auch nach ­Darstellung von Norbert Witte war sein Sohn Marcel völlig unschuldig

Auch nach der Darstellung von Witte senior war der Sohn völlig unschuldig. Das Geständnis hätten die peruanischen Ermittler unter Androhung von Gewalt erpresst, ihn selbst treffe die ganze Schuld. Will er allein 174 Kilo Kokain in Fahrgeschäften verbaut haben? Norbert Witte kann sich diese Ritterlichkeit leisten. Er hat seine Strafe abgesessen. Der Sohn die seine noch nicht.

Andere ­Familienmitglieder wollen mit der Presse nicht sprechen. Marcel Witte nicht, seine Mutter Pia Witte und ihr neuer Lebenspartner ebenso wenig.

Wohl keine kürzere Haft

Dass Marcel Witte Ende September, nach 13 Jahren, endlich nach Berlin überstellt wurde, verdankt er einer Verkettung günstiger Umstände. 2015 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das die Auslieferung von Deutschen erleichtert, die im Ausland eine Haftstrafe verbüßen. Peru hat seit Juni eine neue Regierung. Der Menschenrechtsausschuss des Bundestages setzte sich dort für Witte ein.

Lisa Jani vom Berliner Landgericht sagt, dass eine vorzeitige Haftentlassung für den heute 36-Jährigen unwahrscheinlich sei. „Peru behält die Zuständigkeit für das Urteil. Eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung wäre nur mit Zustimmung der Republik Peru möglich.“ Und so etwas ist in Peru nicht üblich. Zudem hat das Berliner Landgericht die Vollstreckung der insgesamt 20-jährigen Haftstrafe für Marcel Witte für zulässig erklärt. Anders wäre eine Überführung nach Berlin nicht realistisch gewesen.

Aber vielleicht hat Marcel Witte ja bald Gelegenheit, im Freigang einen Blick auf den Spreepark zu werfen. Dort arbeitet derzeit eine landeseigene Firma für Parkbewirtschaftung daran, aus dem verwilderten Gelände mit einsturzgefährdeten Bauten wieder einen Park zu machen.

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