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Debatte Tierethik und Fleisch essenErbarmungsloses Philosophieren

Kommentar von Hilal Sezgin

Der Ethiker Hoerster findet Fleischkonsum legitim, wenn Tiere gut behandelt und schonend getötet werden. In der Praxis sieht die Tierhaltung aber anders aus.

Das ist keine Mastanlage Foto: dpa

T iere gut behandeln, schmerzlos töten – so heißt die ethisch verträgliche Maxime aufgeklärter Fleischesser in unseren Breiten, zu denen anscheinend auch der Philosoph Norbert Hoerster zählt. Allerdings ist es nur ein zäher Mythos der deutschen Fleischesser, dass die von unserem Tierschutzgesetz vorgeschriebene Betäubung schmerzlos sei. Denn im Schlachthof gibt es keine schnelle Spritze wie beim Zahnarzt. Dort herrschen so brachiale Praktiken wie das Kopfzerschmettern (beim Bolzenschuss am Rind, der oft mehrmals wiederholt werden muss, bis der Schädel richtig „durch“ ist), das Elektrobad beim Geflügel (kopfüber in ein Fließband eingehängt), oder die Elektrozange respektive CO2-Betäubung (beginnende Erstickung) beim Schwein. Niemand von uns will gerne sterben, aber auf diese Weise sterben will man erst recht nicht.

Die erste Hälfte obiger Maxime, man müsse die zu essenden Tiere halt nur „gut behandeln“, trägt auch nicht weit. „Unser Tierschutzrecht ist ziemlich gut“, meint Hoerster in einem Interview mit der taz. Doch hat er das Kleingedruckte gelesen? § 5 Abs. 1 S. 1 verbietet zum Beispiel, dass an einem Wirbeltier ein schmerzlicher Eingriff ohne Betäubung vorgenommen wird. Unter Absatz 3 werden die Ausnahmen aufgezählt: Erlaubt sind betäubungsloses Kastrieren junger Ferkel und Kälber, Kürzen ihrer Schwänze, Abschleifen von Zähnen, – also all das, was in der Landwirtschaft regulär praktiziert wird.

Nun kann man sagen: Ein Philosoph muss so etwas nicht wissen. Schuster, bleib bei deinen Leisten! Doch sind es gerade Norbert Hoersters Leisten, bei denen die die größten Bedenken hege. Ähnlich wie bei dem Tierethiker Peter Singer steht bei ihm der Begriff des individuellen Interesses im Vordergrund, von dem aus sich dann erst Normen begründen lassen. Für Hoerster lässt sich daher nicht nur das Tötungsverbot von Tieren, sondern auch die von Menschen nicht direkt begründen, sondern erst auf dem gewissermaßen sozialen Umweg: Jeder will leben und sich und seine Lieben vor dem willkürlichen Tod geschützt wissen. Darum einigen wir uns unter Menschen auf ein starkes Tötungsverbot. Begriffe wie „Eigenwert“ und „Unverfügbarkeit“ menschlichen Lebens lehnt Hoerster ab.

Nachlesen lässt sich diese Meta-Ethik unter anderem in seinem Buch „Abtreibung im säkularen Staat“ (Suhrkamp 1991). Hoerster befürwortet darin das Recht auf Abtreibung, allerdings gerade nicht mit feministischen Argumenten, die er eins nach dem anderen ausschaltet. Nicht einmal eine Schwangerschaft durch Vergewaltigung unterliegt für ihn speziellen Kriterien.

Auch in anderen Fragen ist es fraglich, ob Norbert Hoerster der Philosoph der Wahl ist, wenn man Rat in moralisch-politischen Dingen sucht. Noch 1991 war für ihn zumutbar, von homosexuellen Paaren ein zurückhaltendes Verhalten in der Öffentlichkeit zu erwarten (siehe oben erwähntes Buch). Im Jahr 2004 lehnte er ab, dass „wir als Weiße die eigene Rasse privilegieren“ dürfen, nachzulesen in: „Haben Tiere eine Würde?“, Becksche Reihe. Denn auch „Angehörigen einer fremden Rasse“, kurz, „Andersrassigen“ gebühre Gleichbehandlung.

Was hat das mit dem Fleischessen zu tun? Bei einem Philosophen viel, denn der gedankliche Hintergrund und die Meta-Ethik sind zur Beurteilung seiner einzelnen ethischen Expertisen unerlässlich. Seit zwanzig Jahren wird der Tierrechts-Seite das Exempel des australischen Philosophen Peter Singer vorgehalten, der WEG: ebenfalls als Interessens-Utilitarist einige höchst bedenkliche Aussagen über das Töten von Neugeborenen und den vermeintlich geringeren „Wert“ des Lebens stark behinderter Menschen gemacht hat. Peter Singer ist für die heutige tierethische Theoriebildung und den zeitgenössischen Veganismus nicht mehr einflussreich, und das ist gut so.

Fleischesser sollten aber nun nicht mit doppeltem Maß messen und ihre geschmacklichen Gewohnheiten mit einem Philosophen derselben Ausrichtung „begründen“, der auf anderen Gebieten Äußerungen tätigt, die sie als ethisch inakzeptabel erkennen.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.
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5 Kommentare

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  • Wie es in den Ställen tatsächlich aussieht - und zwar bei repräsentativen Lobbyvertretern - sehen Sie hier: http://lobby-gegen-tiere.net/

  • Ich verstehe nicht, warum sich die Autorin über den Utilitarismus empört. Erstens hat sich Hoerster meines Wissens nie als Utilitarist bezeichnet. Zweitens liefert gerade der Utilitarismus die besten Argumente für eine vegane Ernährung. Denn die Forderung ist ja gerade, die Interessen aller bewussten Lebewesen gleichermaßen zu berücksichtigen. Und es ist klar, dass die kurze Befriedigung eines Fleischessers das jahrelange Leid eines Tiers in der Massentierhaltung nicht aufwiegen kann.

     

    "Begriffe wie „Eigenwert“ und „Unverfügbarkeit“ menschlichen Lebens lehnt Hoerster ab."

     

    Niemand, der kein radikaler Abtreibungsgegner ist, hält menschliches Leben für unverfügbar.

     

    "Seit zwanzig Jahren wird der Tierrechts-Seite das Exempel des australischen Philosophen Peter Singer vorgehalten, der ebenfalls als Interessens-Utilitarist einige höchst bedenkliche Aussagen über das Töten von Neugeborenen und den vermeintlich geringeren „Wert“ des Lebens stark behinderter Menschen gemacht hat."

     

    Singer geht es um den Wert eines Lebens für den Menschen, der das Leben führen muss. Die Frage ist, ob ein Leben, das nur aus Leid und Siechtum besteht, besser ist als Nichtexistenz, und ob wir das Recht haben, einem Menschen, der nie darum gebeten hat, ein solches Leben aufzudrängen.

     

    "Peter Singer ist für die heutige tierethische Theoriebildung und den zeitgenössischen Veganismus nicht mehr einflussreich, und das ist gut so."

     

    Singer gehört zu den einflussreichsten Ethikern unserer Zeit und der Utilitarismus zu den einflussreichsten Positionen in der modernen Ethik. Viele moralische Projekte wie der effektive Altruismus und Sentience Politics sind von Singer direkt beeinflusst.

    • @Thomas Friedrich:

      Kein Leben, nicht einmal das ungemütlichste, hat jemals "nur aus Leid und Siechtum" bestanden. Schon gar nicht das eines behinderten Menschen, der von seinen Angehörigen trotz seiner Behinderung und den damit für alle Beteiligten verbundenen Belastungen geliebt wird.

       

      Nein, bitten würde vermutlich nie jemand darum, von einer Behinderung betroffen zu sein. Auch dann nicht, wenn wir Menschen eine Wahl hätten. Ob ein behindertes Leben allerdings schlechter ist als die "Nichtexistenz", hängt sehr stark von den Umständen ab. Auch von den menschengemachten.

       

      Sie haben völlig recht: Niemand hat das Recht, einem Menschen seine Existenz aufzuzwingen. Sie übersehen allerdings, dass Zwang das Gegenteil des freien Willen ist. Mit einem freien Willen wird man leider nicht geboren. Auch nicht als Mensch. Man erwirbt ihn erst im Laufe seines Lebens – wenn denn das Umfeld dafür günstig ist.

       

      Das aber ist es nur, wenn jedem Leben zunächst erst einmal eine Chance gegeben wird. Aufs sich entwickeln und aufs geliebt werden beispielsweise. Genau dafür braucht es den Begriff Eigenwert.

       

      Ohne ein verständnis davon, dass Leben per se wertvoller ist als Nichtleben, ihn muss niemand, der sich selbst zum Maß der Dinge gemacht hat, auch nur den kleinen Finger rühren für ein anderes Lebenwesen. Schon zweimal nicht, so lange dieses Lebewesen (noch) keinen erkennbaren Nutzen hat.

       

      Wir alle sind, wenn wir geboren werden, erst einmal völlig nutzlos. Das Gehirn von Müttern muss ja nicht umsonst nach der Geburt erst einmal geflutet werden von Hormonen. Wir kosten unsere Eltern Energie, die sie nicht in "die Wirtschaft" oder ihr Ego stecken können. Utilitaristen müssten also dafür plädieren, alle kleinen Kinder umzubringen. Sie tun es nicht. Nun raten Sie doch bitte mal, wieso.

      • @mowgli:

        "Kein Leben, nicht einmal das ungemütlichste, hat jemals "nur aus Leid und Siechtum" bestanden. Schon gar nicht das eines behinderten Menschen, der von seinen Angehörigen trotz seiner Behinderung und den damit für alle Beteiligten verbundenen Belastungen geliebt wird."

         

        So wie es erwachsene Menschen gibt, die wegen einer Krankheit andauernd Schmerzen haben und ihr Leben als Zumutung empfinden, gibt es auch Kinder, die ununterbrochen leiden.

         

        Das heißt nicht, dass man Singers Haltung übernehmen muss. Aber die grundsätzliche Aussage, dass ein Leben schlechter sein kann als Nichtexistenz, halte ich für unbestreitbar.

         

        "Ohne ein verständnis davon, dass Leben per se wertvoller ist als Nichtleben, ihn muss niemand, der sich selbst zum Maß der Dinge gemacht hat, auch nur den kleinen Finger rühren für ein anderes Lebenwesen."

         

        Das ist nicht einleuchtend. Der Wunsch nach Leidvermeidung kann sowohl dazu führen, anderen zu helfen, als auch dazu, ein Leben, das vermutlich eine negative Lebensqualität hätte, frühzeitig durch Abtreibung zu beenden.

         

        "Wir alle sind, wenn wir geboren werden, erst einmal völlig nutzlos. Das Gehirn von Müttern muss ja nicht umsonst nach der Geburt erst einmal geflutet werden von Hormonen. Wir kosten unsere Eltern Energie, die sie nicht in "die Wirtschaft" oder ihr Ego stecken können. Utilitaristen müssten also dafür plädieren, alle kleinen Kinder umzubringen. Sie tun es nicht. Nun raten Sie doch bitte mal, wieso."

         

        Weil sie den Bergiff "Utilitarismus" besser als Sie verstehen ;) Der Nutzen im Utilitarismus ist ja gerade nicht der wirtschaftliche Nutzen, sondern das Lebensglück jedes Menschen. Wenn jemand also wegen Arbeitslosigkeit oder Behinderung, oder weil er noch ein Kind ist, keinen wirtschaftlichen Nutzen hat, dannn ist er nicht nutzlos im Sinne des Utilitarismus.

    • @Thomas Friedrich:

      Sehr richtg! Peter Singer liefert stichhaltige Argumente für einen gerechteren Umgang mit Tieren.