: Zum Abscheid leise ein Schalom
Nachruf In Polen geboren, baute er das Land Israel mit auf und bekleidete zahlreiche politische Ämter. Doch der Sozialdemokrat Schimon Peres war gerade unter den Linken eine umstrittene Figur. Erst zuletzt gewann er als Staatspräsident Sympathien
Aus Jerusalem Susanne Knaul
Er kam aus der Diaspora und sprach sein Leben lang Hebräisch mit Akzent. Er gehörte zu den Zionisten, die den Traum vom eigenen Staat für die Juden von der ersten Stunde an mitgestalteten.
Es gibt kein wichtiges Regierungsamt, das Schimon Peres nicht irgendwann besetzt hätte. Er war Außenminister, Regierungschef und Staatspräsident. Auch den Friedensnobelpreis bekam er verliehen. Seinen Traum vom Frieden mit den Palästinensern konnte er sich aber nicht erfüllen.
Am 2. August 1923 wurde Schimon Peres als Sohn der Eheleute Perski im damals polnischen und heute weißrussischen Wiszniew, einem jüdisches Schtetl mit nur 1.500 Einwohnern, geboren. In seinen 1995 auf Deutsch erschienenen Memoiren mit dem Titel „Shalom“ („Frieden“) erinnert sich Peres an das Talmudstudium bei seinem Großvater und die frühe Erkenntnis, „dass nichts auf der Welt nur eine Seite hat“. Das Kind war gottesfürchtig und stritt heftig mit seinen Eltern, als sie ausgerechnet an einem Sabbat ihren eben erstandenen Radioapparat anschalteten. Den erwachsenen Peres sah man allenfalls auf Beerdigungen mit einer Kippa (Kopfbedeckung frommer Juden) oder bei Besuchen in der Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem.
Mit dem Zug bis nach Istanbul und weiter auf einem polnischen Dampfer reiste Peres als Elfjähriger in Begleitung seines Vaters nach Palästina. Zurück blieb der geliebte Großvater, der später bei einem von Deutschen verursachten Synagogenbrand ums Leben kam. In Tel Aviv besuchte Schimon Peres das Gymnasium und ging anschließend auf ein landwirtschaftliches Internat in Ben Schemen. Kühe melken, Weizen aussäen und ernten stand auf dem Lernprogramm – und wie man mit einer Pistole umgeht. In Ben Schemen lernte er, Verantwortung zu übernehmen, für das Kollektiv zu denken, er las das „Kapital“ von Karl Marx und traf seine spätere Frau Sonja, mit der er eine Tochter und zwei Söhne haben sollte. Der fromme Jude entwickelte sich zu einem zionistischen Sozialdemokraten.
David Ben-Gurion, Israels erster Regierungschef, wurde auf den jungen Genossen von der Mapai (Vorläufer der Arbeitspartei) aufmerksam, der inzwischen aus dem polnischen Perski ein hebräisches Peres gemacht hat, und nahm ihn unter seine Fittiche. Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb und ein Leben lang, was nicht unbedingt die Regel war bei Peres. Mit Golda Meir, die Jahre später Regierungschefin wurde, und auch mit Jitzhak Rabin war sein Verhältnis schwieriger. Einen „ewigen Intriganten“ schimpfte Rabin einst seinen Parteifreund, mit dem er jahrzehntelang Machtkämpfe ausfocht.
Eine der ersten Aufgaben des jungen Peres war die Waffenbeschaffung. Paradoxerweise hinterließ der Politiker, dem wie keinem anderen der Ruf anhängt, um Versöhnung mit den arabischen Nachbarn zu ringen, seine tiefsten Spuren in der Verteidigungspolitik: Peres gilt als Vater des israelischen Atomwaffenprogramms. „Die Araber sind nicht unsere Feinde, aber die Politik des Mordes ist es“, rechtfertigte er später seine Haltung zur israelischen Sicherheitspolitik.
Lange konnte er sich bei Wahlen bis auf ein einziges Mal nicht durchsetzen. Erst 2007 ernannte ihn das Parlament zum Staatspräsidenten. Schon sieben Jahre zuvor hatte Peres für das höchste Amt im Staat kandidiert und den Kürzeren ziehen müssen. Die Abgeordneten entschieden sich damals überraschend für den wenig charismatischen Mosche Katzav vom Likud.
Als Nummer zwei funktionierte Peres besser, vor allem unter Jitzhak Rabin, der seinem Außenminister freie Hand ließ bei den geheimen Verhandlungen mit der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation). Im September 1993 reichten PLO-Chef Jassir Arafat und Israels Regierungschef Rabin einander zum ersten Mal die Hand. Sie vereinbarten die Osloer Prinzipienerklärung über das gemeinsame Streben nach zwei Staaten für die zwei Völker. Arafat, Rabin und Peres wurden kurz darauf mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Rabin zahlte mit seinem Leben.
Nur wenige Monate nach dem Mordanschlag blieb die Arbeitspartei unter Peres, der die Nachfolge Rabins antrat, bei den Parlamentswahlen knapp hinter dem Likud unter Benjamin Netanjahu. Peres hat sich die schwindende Popularität im Volk und in der Partei selbst zuzuschreiben. Kaum ein halbes Jahr lag zwischen dem Tod Rabins und Neuwahlen. Zeit genug für ihn, um zwei fatale Fehler zu begehen.
Er gab dem Drängen der Geheimdienste nach, die eine Gelegenheit erkannten, um den damals meistgesuchten Terroristen Jachije Ajasch zu exekutieren. Peres signalisierte Grünes Licht. Eine im Telefonhörer versteckte Sprengstoffladung riss dem berüchtigten Ajasch kurz darauf den Kopf von den Schultern.
Die Hamas rächte sich mit einer Serie von Terrorattentaten. Dutzende Zivilisten, darunter viele Kinder, starben bei Sprengstoffexplosionen in Tel Aviv und Jerusalem. Jede Bombe trieb Israels Wähler weiter nach rechts in die Arme des konservativen Likud-Spitzenkandidaten Benjamin Netanjahu, der mit dem Versprechen von mehr Sicherheit lockte. Die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern lagen auf Eis.
Beinah noch schlimmer war die Fehlentscheidung über die Operation „Früchte des Zorns“ und die Angriffe auch auf zivile Ziele im Libanon. Bei einem fehlgeleiteten israelischen Luftangriff auf das Dorf Kana im Südlibanon starben über hundert Zivilisten. „Uns treibt weder Blut noch Abenteuer“, kommentierte er damals sichtlich erschüttert. Die Stimmen der arabisch-israelischen Staatsbürger hatte Peres verspielt. Die Araber boykottierten den Urnengang. Manch einer hat es ihm sein Handeln bis heute nicht verziehen.
Einen „Tyrannen“ schimpfte ihn der arabisch-israelische Abgeordnete Basel Ghattas von der antizionistischen Vereinten Liste und ließ seinem Zorn freien Lauf, als der frühere Präsident schon im Koma lag. Peres sei „für Kriegsverbrechen verantwortlich“, habe den Palästinensern großen Schaden zugefügt und es all dem zum Trotz geschafft, „sich selbst als Friedenstaube zu porträtieren“.
Im Ausland mehr als unter den eigenen Landsleuten genoss Peres, der Bücherwurm, der stets ein passendes Zitat oder eine Volksweisheit parat hielt, als Visionär des neuen Nahen Ostens großes Ansehen. Wenn Peres von der Notwendigkeit sprach, Israel als jüdischen Staat zu definieren, klang es überzeugender als aus dem Munde eines Netanjahu – vor allem in den Ohren seiner bei der Sozialistischen Internationale gewonnenen zahllosen Freunde.
In den sieben Jahren als Staatspräsident gewann Peres auch unter seinen Landsleuten an Sympathie. Eine seiner letzten wichtigen Amtshandlungen war die Unterschrift als Präsident unter die Begnadigung von über eintausend Palästinensern, die Israel im Geiselaustausch für den entführten Soldaten Gilad Schalit aus der Haft entließ.
Peres warnte stets davor, die arabische Initiative zu ignorieren. Am Ende müsse Israel Seite an Seite mit dem „arabischen Staat Palästina“ existieren. Das von ihm gegründete Schimon-Peres-Friedenszentrum in Tel Aviv soll seine Arbeit solange fortsetzen, bis dieses Ziel erreicht ist.
Am Freitag soll Schimon Peres auf dem Herzl-Berg in Jerusalem beigesetzt werden.
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