Labour und Corbyn: Von der Einheit weit entfernt
Geschlossenheit hat Labour auf dem Parteitag in Liverpool nicht demonstrieren können. Vom Aufbruch kann man vorerst nur träumen.
Viele aus dem Labour-Schattenkabinett stimmen nicht mit ihm überein. Angela Rayner, Sprecherin für Bildung, sagte, das derzeitige System habe ein Chaos angerichtet. „Wir müssen die Immigration kontrollieren, das ist ziemlich klar“, sagte sie. „Man muss schließlich wissen, wer ins Land kommt und wer es verlässt.“
Andy Burnham, Innenminister im Schattenkabinett, der auf dem Parteitag am Mittwoch seinen Rücktritt erklärte, sagte, Millionen Labour-Wähler haben dafür gestimmt, die EU zu verlassen, und sie haben für Veränderungen bei der Einwanderung gestimmt. Das müsse man berücksichtigen. Und Rachel Reeves, die Abgeordnete aus dem nordenglischen Leeds, sagte, ihr Wahlkreis sein ein Pulverfass. Falls man das Thema Einwanderung nicht angehe, könnte die Sache auf den Straßen von Leeds explodieren.
Corbyn hat offenbar aus den Fehlern der Tory-Regierung gelernt, die ein ums andere Mal eine Senkung der Einwandererzahlen gelobt hat, aber das Versprechen nicht halten konnte. Das war einer der Gründe, warum Ende Juni eine Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt hat. Laut einer neuen Analyse des Guardian waren aber ausgerechnet jene Gegenden am stärksten für den Brexit, die am wenigsten Einwanderer haben.
Nebenparteitag der Linken
Von der Einheit der Partei, die von allen Seiten beschworen wurde, nachdem Corbyn am Samstag mit 62 Prozent der Stimmen als Labour-Chef bestätigt wurde, ist man weit entfernt. Im Grunde fanden in Liverpool mehrere Parteitage statt. Neben der offiziellen Tagung im ACC-Konferenzzentrum in den Docklands tagte die Lobbygruppe Momentum, die vorwiegend aus jungen Linken besteht, in der Innenstadt neben der Kathedrale.
Ihr Festival „Die verwandelte Welt“ bot neben politischen Diskussionen und Workshops auch Kunst, Kultur und Kinderveranstaltungen. Sämtliche Labour-Größen vom linken Parteiflügel ließen sich dort sehen. Außer Corbyn, der das Programm ausdrücklich befürwortet hatte, traten die Altlinke Diane Abbott, der verteidigungspolitische Sprecher Clive Lewis, Corbyns engster Verbündeter John McDonnell und der Regisseur Ken Loach auf.
Momentum ist es zu verdanken, dass sich die Zahl der Labour-Mitglieder seit Corbyns Amtsantritt auf mehr als eine halbe Million verdoppelt hat. Ohne Momentum wäre Corbyn nicht zum Labour-Chef gewählt worden. Am Tag nach seiner Bestätigung im Amt am Samstag traten weitere 15.000 Menschen in die Partei ein.
Nebenparteitag der Rechten
Den gemäßigten Labour-Leuten sind Corbyn und Momentum zutiefst suspekt. Mit der Verstaatlichung von Post und Eisenbahn, mit neuen Körperschaftssteuern und größeren Gewerkschaftsrechten sowie einem Investitionsprogramm seien keine Wahlen zu gewinnen, befürchten sie. Laut Umfragen liegen die Tories derzeit bei 41, Labour kommt nur auf 26 Prozent.
Die Corbyn-Gegner trafen sich während des Parteitags abends im PanAm-Restaurant im Britannia-Pavillon am Albert Dock. Angela Eagle, die Corbyn im Sommer herausgefordert, dann aber ihre Kandidatur zurückgezogen hatte, behauptete, Corbyns Anhänger arbeiten mit Einschüchterung. Sie sei nach Ankündigung ihrer Kandidatur auf ihrer Facebook-Seite von 47.000 Menschen beschimpft und beleidigt worden. Man müsse gemeinsam für die „Rückkehr zum Anstand in unserer Partei“ kämpfen, meinte sie.
Einen Erfolg konnte die Gruppe am Dienstag verbuchen. Corbyn verlor seine Mehrheit im Nationalen Parteipräsidium, weil die Delegierten für eine Regeländerung stimmten: Fortan dürfen die Ortsverbände in Schottland und Wales, die gegen Corbyn sind, jeweils eine Person für das Präsidium nominieren. Sprecher von Momentum bezeichneten das als abgekartetes Spiel. Das Präsidium ist das wichtigste Parteigremium, das über die politische Richtung und über die Modalitäten der Wahl entscheidet. Womöglich ist der Boden für einen erneuten Putschversuch gegen Corbyn bereitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei