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Weg vom Notstandsurbanismus

Beteiligung Die Planbude St. Pauli richtet im Hamburger Gängeviertel vom 23. September bis zum 2. Oktober das Urbani7e! aus, die siebte Ausgabe des in Wien erfundenen Internationalen Festivals für urbane Erkundungen

von Darijana Hahn

Es dauert nicht lange und Christoph Schäfer kommt ins Schwärmen. Wenn der Hamburger Künstler in der Planbude auf St. Pauli steht und deren Konzept erklärt, beschreibt er zunächst die Bestandteile des vor über zwei Jahren begonnenen Bottom-up-Planungsprozesses für die Bebauung des Esso-Geländes an der Reeperbahn. Zum Beispiel die Fotoreihe, mit welcher der „St. Pauli-Code“ identifiziert werden konnte. Oder die von Bürgern gezeichneten und gekneteten Entwürfe, die die „Pflöcke eingerammt haben, wie da gebaut werden soll“. Um dann bei dieser Beschreibung die Frage zu stellen, warum man diese positive Erfahrung nicht hochskalieren und damit die Stadtplanungspraxis verbessern könnte.

Dass es an vielen Orten bereits zahlreiche Projekte und Initiativen urbaner Selbstorganisation gibt, wollen Schäfer und seine Kolleginnen von der Planbude, Margit Czenki und Renee Tribble, nun auf dem Urbani7e!-Festival unter dem Motto „Housing the Many – Stadt der Vielen“ zeigen – und dabei vor allem der Frage nachgehen, wie deren Potenzial die oft festgefahrene und bevormundende Stadtentwicklung voranbringen kann, eben hin zu einer „Stadt der Vielen“.

„Wir wollten schon seit Längerem das Urbanize-Festival hier in Hamburg ausrichten“, sagt Schäfer, der wie viele aus der Recht-auf-Stadt-Bewegung ein Fan von Dérive ist, der in Wien herausgebrachten Zeitschrift für Stadtforschung. Diese hat das Festival für urbane Erkundungen vor sechs Jahren ins Leben gerufen, um die Vielfalt an Disziplinen und Protagonistinnen in ihrer Auseinandersetzung mit der Stadt als Kunst-, Forschungs- und Lebensraum zu verbinden.

Einen entscheidenden Handlungsimpuls, das Festival zum ersten Mal in Deutschland zu organisieren, wie der Name Urbani7e! anzeigt, zum insgesamt siebten Mal seit Bestehen, bekam das Planbude-Team aber im Winter, als sich die Wohnungskrise durch die Ankunft von Flüchtlingen verschärfte. Damals begann das, was Schäfer als „Notstandsurbanismus“ bezeichnet. „Da soll schnell viel gebaut werden, meist an den Stadträndern, weit weg von der Infrastruktur“, sagt er. Die bislang realisierten Wohnunterkünfte für Geflüchtete bezeichnet Schäfer als „diskriminierende Architektur vom Start weg“.

Schäfer benennt sogleich Beispiele, wie es ganz anders laufen kann. Da ist das „Grandhotel Cosmopolis“ in Augsburg, wo KünstlerInnen ein aufgegebenes Seniorenheim mitten im Altstadtkern in ein Hotel verwandeln, für Menschen mit und ohne Asyl. „Welcome to your Lobby“, steht im kunstgeprägten Eingangsbereich, der die verschiedenen Menschen zusammenbringt, und in den mittlerweile auch die zunächst skeptischen Nachbarn kommen, um Einrichtungsgegenstände abzugeben – aber nicht zuletzt auch, um die Leute dort kennenzulernen.

Oder die Initiative „Haus der Statistik“ am Alexanderplatz in Berlin, wo auf 90.000 Quadratmetern in einem Hochhaus-Ensemble aus den 60er-Jahren ein „gemeinnütziges Modellprojekt für integratives Leben und Arbeiten von BerlinerInnen, Geflüchteten, Kulturschaffenden, Bildungs-, Produktions- und bürgerschaftlichen Initiativen“ entstehen soll.

Beide Projekte werden auf dem Festival vertreten sein und für „Wumm sorgen in den Fragen, die uns bewegen“, wie es die Mitorganisatorin Renee Triblee umschreibt.

Insgesamt sind es mehr als zwei Dutzend Projekte, das Gängeviertel als Austragungsort mit eingeschlossen, die das Festival zu einem Panoptikum der Möglichkeiten machen, wie Stadtplanung selbstorganisiert und mit ungewöhnlichen Mitteln vonstatten gehen kann.

„Das Festival stellen wir uns als Ping-Pong aus Außen- und Innenerfahrung, lokalem und internationalem Wissen vor“, sagt Schäfer und verweist darauf, dass es bislang nur wenig Überblick über die Projekte gibt, die bestehen.

Nicht umsonst geht es in einem der vorgestellten Projekte genau darum, die vielen Beispiele zu sammeln. So hat sich Frauke Burgdorff von der Montagstiftung Urbane Räume in ihrem „Immovielien“-Projekt zum Ziel gesetzt, aus den Informationen der unabhängigen und gemeinnützigen Projekte eine „politische und fördertechnische Agenda“ aufzustellen, die zeigt, wie sich Hürden beseitigen lassen und wie die Rahmenbedingungen verbessert werden können.

Neben diesen präsentierten Best-Practice-Studies gibt es während des Festivals aber auch die Möglichkeit, an eigenen Fallstudien zu arbeiten, um dabei vielleicht schon die eine oder andere Inspiration einzubauen, wenn es um die große Frage geht, wie Stadtentwicklung von unten nicht mehr die Ausnahme von der Regel bleibt.

Für Inspiration dürfte auch die Musik sorgen, die das Festival begleitet und die jeden Vortrag entsprechend kommentiert. „Die Musikszene in Hamburg war schon immer politisch“, sagt Czenki und verweist darauf, dass umgekehrt soziale Bewegungen in Hamburg ohne musikalische Beteiligung gar nicht denkbar seien.

So nimmt es nicht Wunder, dass das Festival am Freitag musikalisch eröffnet wurde: Und zwar von dem in Hamburg ansässigen Schwabinggrad Ballett, das generell Formate für den urbanen Raum entwickelt. Die Truppe ist im vergangenen Sommer zusammen mit der migrantisch geprägten Performance-Gruppe Arrivati durch die Hamburger Erstaufnahmelager getourt – unter dem Motto „Beyond Welcome“.

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