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Die Unbeugsame

TURNEN Věra Čáslavská hat vorgemacht, wie man Hochleistungssportlerin und ein heller politischer Kopf sein kann. Die mehrmalige Olympiasiegerin aus Tschechien hat sich gegen Betonköpfe aufgelehnt und dafür teuer bezahlen müssen

Ein Leben als Balanceakt: Vĕra Čáslavská 1966 bei der Turn-WM in Dortmund Foto: ap

aus Prag Thomas Purschke

Solch dramatische Lebensgeschichten lassen wohl nur wenige kalt. Die siebenfache Turn-Olympiasiegerin von 1964 und 1968, Věra Čáslavská, hatte oft zu kämpfen in ihrem Leben und schwerste Bewährungsproben zu überstehen. Čáslavská, die zunächst mit dem Eiskunstlaufsport begonnen hatte und dann zum Kunstturnen wechselte, hat in ihrer aktiven Zeit über 140 Medaillen gewonnen. Bei der ersten Turn-WM in Deutschland 1966 in Dortmund, holte sie drei Titel. Ihren letzten Kampf gegen den heimtückischen Bauchspeicheldrüsenkrebs jedoch konnte die 74-Jährige nicht gewinnen. Am Nationaldenkmal am Wenzelsplatz in Prag zündeten Menschen ihr zu Ehren Kerzen an, legten Blumen nieder und Fotos, auf denen „Danke für alles, Vera!“ stand. Die zentrale Trauerfeier fand in der vergangenen Woche im vollbesetzten Nationaltheater in Prag statt, sie wurde live im Fernsehen übertragen.

Die Speerwurf-Olympiasiegerin Barbora Špotáková sagte: „Ihre Vorbildwirkung und Herzlichkeit, ihr Optimismus und ihr Sinn für Humor waren überwältigend.“ Am 30. August ist Čáslavská gestorben. Ein Staatsbegräbnis hatte ihre Familie abgelehnt und sie im kleinen Kreise zu Grabe getragen. Die in Prag 1942 zu Kriegszeiten geborene Věra Čáslavská war weltweit beliebt, in Tschechien wurde sie zur Sportlerin des Jahrtausends gewählt. Es gibt bis heute nur wenige Spitzenathleten, die sich so couragiert um der Freiheit willen in die Politik eingemischt haben, wie es Čáslavská nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch den Einmarsch sowjetischer Truppen getan hat. Sie hatte damals auch das „Manifest der 2.000 Worte“ für eine Fortsetzung der Reformen mit unterschrieben.

Im tschechischen Rundfunk wurden die Unterzeichner damals vor möglichen Verhaftungen gewarnt. Sie sollten sich doch besser fern von ihren Wohnungen verstecken. Čáslavská wurde von der Bergwacht in einen Wald gebracht, wo sie vor den im Oktober 1968 in Mexiko City abgehaltenen Sommerspielen zwei Wochen ohne Turnhalle und Kameradinnen alleine trainierte. Ein älteres Ehepaar, das ein Forsthaus bewohnte, nahm sie damals auf. Gefällte Baumstämme dienten ihr als provisorische Schwebebalken, starke Äste ersetzten die Stufenbarrenholme und eine Wiese diente als Turnfeld. Um die für die Stufenbarrenübungen wichtigen Schwielen an ihren Händen zu erhalten, schaufelte sie fleißig Kohlen. „Wenn ich das nicht getan hätte und die Schwielen sich zurückgebildet hätten, wäre es schwer geworden, am Stufenbarren gut zu turnen“, reflektierte sie später. Zum Glück durfte die damals 26-Jährige mit ihren Teamkameradinnen zu den Spielen nach Mittelamerika fliegen.

In Mexiko besiegte die tschechoslowakische Ausnahmeturnerin die Konkurrentinnen aus der Sowjetunion mehrfach. Čáslavská gewann allein viermal Gold, darunter auch am Stufenbarren, übrigens vor der 16-jährigen DDR-Turnerin Karin Janz von Dynamo Berlin. Im Pferdsprung-Wettbewerb holte Erika Zuchold (Leipzig) hinter Čáslavská Silber. „Wir haben dort Blut und Wasser geschwitzt, um die sportlichen Vertreter der Okkupanten zu schlagen. Das war das, was wir für unsere Nation tun konnten und was bedeutsam war, alle verfolgten damals Olympia“, hatte Čáslavská vor einigen Jahren erklärt. Die blonde Turnerin mit der Bienenkorbfrisur wurde auch in Mexiko verehrt wie eine Göttin. Sie war der absolute Star der Spiele.

Als bei einer Medaillenzeremonie in Mexiko die Sowjethymne für die Turnerin Larissa Petrik gespielt wurde, da beide Athletinnen sich das Gold im Bodenturnen teilen mussten, senkte Čáslavská demonstrativ ihren Kopf zur Seite zum stillen Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen. Die Weltöffentlichkeit hatte ihre Geste verstanden. Die zensurgesteuerte DDR-Presse ignorierte daraufhin die Turnerin aus dem sozialistischen Bruderland weitgehend.

Die Silbermedaillen-Gewinnerin am Stufenbarren bei Olympia 1988 für die DDR im Turnen, Dagmar Kersten vom einstigen SC Dynamo Berlin, sagt heute dazu: „In meiner Turnzeit in der DDR habe ich leider über das Schicksal der Ausnahmeturnerin Čáslavská nichts erfahren. Es ging damals nur um ermüdende, politische Schulungen, zum Beispiel mit dem Chefideologen Karl-Eduard Schnitzler auf dem Schiff Arkona, aber nicht um mutige, selbstbestimmte Menschen.“

Nachdem Čáslavská aus Mexiko zurückgekehrt war, wo sie ihren Landsmann, den Leichtathleten Josef Odložil geheiratet hatte, widmete sie ihre Goldmedaillen den Reformpolitikern um Alexander Dubček. Doch ihre aufrechte Haltung wurde ihr zum Verhängnis. Die Reformer wurden durch moskaugetreue Kommunisten ersetzt, und auch Čáslavská musste schwer für ihre Zivilcourage büßen und öffentliche Erniedrigungen erdulden.

Ihre Landsleute jedoch honorierten ihr mutiges Auftreten und wählten sie zur „Tschechoslowakischen Sportlerpersönlichkeit des Jahres“. Zudem wurde sie nach dem Goldregen in Mexiko zur „Weltsportlerin des Jahres“ gekürt. Doch das heimische Regime schloss Čáslavská aus dem Sportverband aus, sie durfte nicht mehr an Wettbewerben teilnehmen und wurde regelrecht in den Ruhestand gezwungen. Anstatt als Trainerin zu arbeiten, musste sie zusehen, wie sie überhaupt etwas Geld für den Lebensunterhalt der Familie verdienen konnte. „Das war eine schwere Zeit. Ich habe begonnen, Ölgemälde zu malen und zu verkaufen, und ich habe mich in Wohnhäusern in Prag als Putzfrau verdingt. Allerdings unter falschem Namen, eine Frau der örtlichen Wohnverwaltung ließ mich unter ihrem Namen arbeiten.“

Zu Kreuze kriechen, wie es andere linientreue Sportler zuhauf getan hatten, das war ihr zuwider. Deshalb durfte sie auch erst 1979 nach Mexiko ausreisen, wo sie als Turn-Trainerin arbeitete. Die Sowjetunion wollte damals unbedingt, dass Mexiko Kohle an Kuba liefert. Daraufhin forderten die Mexikaner als Gegenleistung, dass Čáslavská als Trainerin im Land der Azteken wirken kann. Sie kehrte von dort allerdings nach zwei Jahren zurück, als ihr Bruder mit 33 Jahren in Haft starb.

Nach der samtenen Revolution im Herbst 1989 und der Wahl des Schriftstellers und Dissidenten Václav Havel zum Präsidenten in Prag, machte dieser Čáslavská zu seiner Sportberaterin. Sie wurde rehabilitiert und auch zur Präsidentin des Nationalen Olympischen Komitees gewählt. Doch 1993 ereilte sie ein weiterer schwerer Schicksalsschlag. Es kam zu einem Streit zwischen ihrem Sohn Martin und ihrem damals schon von ihr geschiedenem Ehemann Odložil. Dabei stürzte dieser und verstarb einige Tage später an seinen Verletzungen. Der Sohn wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, nach drei Jahren aber begnadigt. Dies stürzte die Turnlegende in eine jahrelange schwere Depression. Sie musste sich in psychiatrische Behandlung begeben. Erst 2009 trat sie wieder in die Öffentlichkeit. „Aufgrund dieser Tragödie habe ich erneut auf sehr harte Weise 16 Jahre meines Lebens verloren.“

Die einst als ungemein trainingsfleißig bekannte Perfektionistin Čáslavská hatte wieder ins Leben zurückgefunden, unterstützt auch von ihrer Tochter Radka. Als Ehrenvorsitzende der tschechisch-japanischen Gesellschaft hatte sie auch wieder eine Aufgabe gefunden. Spagat konnte sie übrigens auch mit über 70 Jahren noch perfekt.

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