Stefan Alberti erlebt beim Merkel-Wahlauftritt rechte Hasstiraden gegen die Kanzlerin: Nicht nur Nazis rufen Buh
Ob man nicht zwei Schritte nach rechts gehen könnte? Der Moderator auf der CDU-Bühne fragt das die Ministerin offenbar wegen der prallen Sonne. Aber es hört sich komisch an bei einer Partei, die gerade alles versucht, um sich von der AfD abzugrenzen. Die Worte fallen auf einem Platz vor dem Bahnhof Lichterfelde-Ost. Zum dritten Mal in Folge schließen die Christdemokraten hier ihren Abgeordnetenhauswahlkampf ab, und wieder ist ihre Bundesvorsitzende Angela Merkel angekündigt.
Was im Vorprogramm etwas banal vor sich hin plätschert, kippt in dem Moment, da die Kanzlerin vorfährt. Plötzlich ertönen Pfiffe, kommen Anti-Merkel-Sprechchöre auf. Zusammengedrängt direkt vor der Bühne können die vielen Dutzend Journalisten nicht sehen, wer da stört. Linke Henkel-Gegner? Rechte Flüchtlingshasser? Einiges Gewühle durch die Menge später – geschätzt stehen 1.500 Menschen zusammen – ist die Lage klarer. Einige Dutzend meist muskulöser Männer, teils mit T-Shirt-Aufschriften in Fraktur, schreien „Merkel muss weg“ und „Hau ab“.
Aber das tun nicht nur sie. Das macht auch nicht nur der ohnehin vergrätzt wirkende Rentner daneben. Schreien, buhen oder rote Karten hochhalten, das macht auch der gerade noch nett von seinem Fahrrad lächelnde Mittfünfziger. Das macht auch die Blonde in der lässigen Pluderhose. „Wir sind das Volk“ ist zu hören und später kurz: „AfD, AfD!“.
Aus dem vorderen Bereich, den die CDU vor allem für ihre Funktionsträger reserviert und abgeschirmt hat, ragen Schilder mit „Zeichen setzen. Mutti ist die Beste“. Mutti, das ist CDU-Sprech für Merkel. Die trotzt dem Krawall und dankt den vielen Polizisten auf dem Platz dafür, „dass wir uns hier versammeln können.“ Und findet das mit dem Geschrei egal, man habe ja gute Technik.
Henkel ist weniger relaxt. „Das, was wir da hinten erleben, Schreihälse und Krakeeler, das wäre ein Vorgeschmack, was uns erwarten würde, wenn wir Berlin dem linken und rechten Pöbel überlassen“, ruft er heiser. Und dass die AfD alles verrate, was Deutschland stark gemacht habe. „Pfui Deibel, kann ich nur sagen.“ Am nächsten Tag liegt die CDU in einer Umfrage bei 17 Prozent.
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