: „Es ist ein politisches Kampflied
Hymne I Wie ein ursprünglich mal unpolitisches Lied zum Agitationssong im deutsch-dänischen Sprachenstreit wurde und wieso Friedrich Engels das ganze Lied bescheuert fand
Interview Petra Schellen
taz: Herr Riecken, wann entstand die bis heute inoffizielle Schleswig-Holstein-Hymne?
Claas Riecken: In einer politisch aufgeheizten Zeit. Schleswig und Holstein waren ja seit 1773 Teil des dänischen Gesamtstaats und wurden mitverwaltet vom dänischen König. Wobei Schleswig durch eine Lehensverbindung auch staatsrechtlich mit Dänemark verbunden war, Holstein aber nicht. In Holstein waren Bevölkerung und Sprache deutsch, in Schleswig waren Deutsch und Dänisch offizielle Sprachen. Beide existierten nebeneinander, und das war jahrhundertelang kein Problem.
Wann änderte sich das?
Im 19. Jahrhundert, als in Europa der nationale Gedanke aufkam und dänische Politiker sowie das Kopenhagener Bürgertum zu König Christian VIII. sagten: „Wenn Schleswig zu uns gehört, muss da auch Dänisch gesprochen werden! Das gehört doch bis zur Eider seit dem Mittelalter zu Dänemark.“ Dass dort seit dem Mittelalter auch Tausende Deutsche eingewandert und weitere Tausende zur deutschen Sprache übergewechselt waren, spielte keine Rolle mehr.
Was de facto ein Plädoyer für die Trennung Schleswigs von Holstein war.
So hat es das Bürgertum in Schleswig und Holstein auch verstanden und seinerseits gesagt: Schleswig und Holstein gehören zusammen. Die Dinge polarisierten sich dann schnell: Dänische Nationalliberale fordern die engere Bindung Schleswigs an Dänemark, ihre deutschen Antagonisten die Eigenständigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund.
Was sich im Schleswig-Holstein-Lied spiegelt?
Ja. Dessen Melodie stammt vom Schleswiger Kantor Carl Gottlieb Bellmann. Den Urtext verfasste der Berliner Rechtsanwalt Karl Friedrich Straß, der den inneren Zusammenhalt der Menschen beschwört und – politisch korrekt – „Schleswig, Holstein“ titelt.
Dabei blieb es dann aber nicht, oder?
Nein. Die zweite, bis heute bekannte Fassung, die der Schleswiger Anwalt Matthäus Friedrich Chemnitz für die Erstaufführung beim Schleswiger Sängerfest 1844 schrieb, ist agitatorischer. Er beschwört die Bedrohung durch Dänemark herauf und fügt die Herzogtümer auch sprachlich zusammen, schreibt erstmals „Schleswig-Holstein“. Damit hat Chemnitz die Hymne zum politischen Kampflied für die Einheit Schleswigs und Holsteins sowie die Unabhängigkeit beider von Dänemark gemacht.
Ein Kampflied beim Sängerfest?
Ja, solche Feste, auf denen Männergesangsvereine auftraten, waren damals hochpolitische Veranstaltungen, denn reguläre politische Versammlungen waren verboten. Das unter großem Jubel des Publikums aufgeführte Lied war also eine echte Provokation für den dänischen König. Es verbreitete sich dann schnell durch Sängerfeste und Zeitungen, die den brisanten Text abdruckten.
Welche Passagen sind besonders brisant?
Die Zeile „deutscher Sitte hohe Wacht“ etwa betont sehr bewusst das Deutsche und erteilt der Koexistenz eine Absage.
Und wie deuten Sie dann die Zeilen „drohend sich der Nord erhebt, schütze Gott die holden Blüten, die ein milder Süd belebt“?
Der „Nord“ steht für Dänemark, der „Süden“ für Deutschland. Wobei die Bewohner des Grenzlandes diese Strophe heute nicht mehr gern singen, um den alten Konflikt nicht zu beschwören.
Inzwischen wirbt Schleswig-Holstein sogar mit dem Slogan „der echte Norden“.
Die ersten Zwei Strophen der Schleswig-Holstein-HYMNE
Ja, das wirkt eigenartig, besonders, wenn man aus Dänemark nach Schleswig-Holstein fährt.
Überhaupt enthält das Lied viele nationalsozialistisch wirkende Worte: Die „Doppel-Eiche“ klingt nach der germanischen Weltesche Yggdrasil, „stammverwandt“ nach „Blut und Boden“, dazu der „Holstengau“.
Sie zäumen das Pferd verkehrt herum auf. Das ist das Vokabular der Nationalromantik: Die Doppel-Eiche, die getrennt wächst, aber zusammensteht, steht für Schleswig und Holstein, „stammverwandt“ für Verbindungen der beiden Herzogtümer. Und „Gau“ hieß damals schlicht „Gebiet“. Die Nazis kamen 100 Jahre später und deuteten dann Dinge, die schon da waren, in ihrem Sinne um.
Dabei hatte das Lied schon Friedrich Engels überhaupt nicht gefallen.
Ja, er schrieb 1846 an Karl Marx so etwas wie: „Hast du schon gehört, in Schleswig-Holstein haben sie ein bescheuertes Lied erfunden.“ Das sei so schlecht, dass es nur wert sei, von blöden Dithmarschern gesungen zu werden.
Wie wichtig ist das Lied denn heute?
Irgendwie ist es immer da. Radio Schleswig-Holstein spielt es jeden Abend um Mitternacht, und viele Leute kennen zumindest die erste Strophe. Das Kämpferische daran wird aber den wenigsten bewusst sein.
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