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Die Türkei schickt Panzer

SYRIEN Erstmals seit Beginn des Bürgerkriegs leitet die Regierung in Ankara eine Bodenoffensive im Nachbarland ein. Das Ziel ist eine Pufferzone jenseits der Grenze

Ein türkischer Panzer in der Nähe der Grenze zu Syrien Foto: Sedat Suna/dpa

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

„Willkommen im kurdischen Sumpf. Ihr werdet genauso besiegt wie der IS.“ Mit diesem Tweet reagierte noch in der Nacht zu Mittwoch der Vorsitzende der syrisch-kurdischen DYP, Salih Muslim, auf den Beginn der türkischen Militäroperation um 4 Uhr früh. Den Anfang machten Kampfflugzeuge, die die vom „Islamischen Staat“ besetzte syrische Grenzstadt Dscha­rabulus heftig bombardierten, bevor türkische Panzer die Grenze überquerten.

In der „Schild Euphrat“ genannten Operation marschieren auch mehrere hundert Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“, die zuvor auf der türkischen Seite der Grenze zusammengezogen worden waren, in Begleitung von türkischen Panzern in Richtung Dscharabulus. Die türkische Armee will mit ihren syrischen Verbündeten die grenznahe Stadt vom IS erobern, bevor sie womöglich Kämpfern der syrisch-kurdischen YPG in die Hände fällt. Die Kurden hatten vor zehn Tagen die südlich von Dscharabulus liegende Stadt Manbidsch vom IS zurückerobert und verfolgen seitdem IS-Kämpfer, die nach Dscharabulus geflohen sind.

In einer Rede am Mittwochmorgen begründete Präsident Recep Tayyip Erdoğan den erstmaligen Einsatz türkischer Bodentruppen in Syrien damit, dass die Angriffe des IS auf türkische Grenzstädte nicht länger hingenommen werden können. Das Grenzgebiet müsse vom IS gesäubert werden.

Sowohl Erdoğan als auch sein Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu machten klar, dass das Ziel des Einmarsches nicht auf Dscharabulus begrenzt ist. Die Türkei, so Erdoğan, kämpfe auch für die territoriale Integrität Syriens. Damit ist gemeint, dass die Türkei auf jeden Fall verhindern will, dass nach dem Nordirak auch in Nordsyrien ein kurdisches Autonomiegebiet entsteht.

US-Vizepräsident Biden zu Besuch in Ankara

Streitpunkt Kurden:Bei den Gesprächen zwischen der türkischen Regierung und US-Vizepräsident Joe Biden deutete sich in Ankara gestern eine Verständigung zwischen den zerstrittenen Partnern an. Nachdem die Türkei mit ihrem Einmarsch in Syrien Fakten geschaffen hat, soll die USA den mit ihnen verbündeten Kurden befohlen haben, ihren Vormarsch auf Dscharabulus einzustellen. Angeblich hatten die USA der Türkei auch zugesagt, dass die Milizen der YPG sich nach der Eroberung von Manbidsch wieder auf die östliche Seite des Euphrat zurückziehen. Das will die Türkei jetzt notfalls militärisch durchsetzen.

Streitpunkt Gülen: Auch im Fall Fethullah Gülen gibt es offenbar Entspannung. Biden soll gesagt haben, dass er den Prediger lieber außerhalb der USA sähe, als ihn weiter im Land zu haben. Über eine Auslieferung Gülens wird auf Expertenebene zwischen den USA und der türkischen Regierung verhandelt.

Da die syrischen Kurden bislang mit den USA kooperieren und im Kampf gegen den IS quasi als amerikanische Bodentruppe funktioniert haben, will die Türkei mit ihrem Einmarsch auch die USA zwingen, die Ambitionen der Kurden zu bremsen. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Militäroperation just an dem Tag begann, als US-Vizepräsident Jo Biden wenig später in Ankara eintraf.

In den ersten Stunden der Operation rückten die türkischen Truppen mit ihren syrischen Verbündeten nach offiziellen Angaben planmäßig vor und erreichten den Stadtrand von Dscharabulus. Nach Angaben einiger türkischer Fernsehsender hatten die Milizen der „Freien Syrischen Armee“ am Nachmittag bereits das Zentrum der Stadt erreicht. Unabhängige Informationen über die Operation gibt es nicht. Die Grenzregion, auf der Dscharabulus gegenüberliegenden türkischen Seite, wurde zum Sperrgebiet erklärt, auch Journalisten haben keinen Zutritt. Die Grenzstadt Karkemis auf der türkischen Seite wurde bereits am Dienstag evakuiert, sodass keine Zivilisten mehr im Grenzgebiet sind.

US-Vizepräsident Joe Biden traf am Vormittag aus Lettland kommend in der Türkei ein. Er besichtigte zunächst das während des Putsches vom 15. Juli teilweise zerstörte Parlament und sprach dort mit Abgeordneten. Anschließend traf er sich mit Ministerpräsident Binali Yıldırım. Außer um Syrien ging es bei den Gesprächen Bidens mit Yıldırım wie auch mit Erdoğan um die Auslieferung des türkischen Sektenführers Fethullah Gülen, der seit 1998 in den USA im Exil lebt.

Laut Erdoğankämpft die Türkeifür die territoriale Integrität Syriens

Die türkische Regierung geht davon aus, dass die USA ihren Einmarsch in Syrien unterstützen werden. US-Kampfflugzeuge vom Stützpunkt Incirlik sollen die türkische Luftwaffe unterstützen. Sowohl Erdoğan als auch Außenminister Çavuşoğlu gingen in ihren Ankündigungen auf den Tweet von Salih Muslim ein. Erdoğan sagte, die syrischen Kurden sollten sich nicht um die Türkei sorgen, sondern sich lieber darum kümmern, wie sie selbst den Krieg überstehen wollen. Çavuşoğlu meinte, die Reaktion des syrischen Kurdenführers zeige, indem sie das Vorgehen der Türkei gegen den IS ablehne, dass es den Kurden gar nicht um die Dschihadisten gehe, sondern um die Errichtung ihres eigenen Staates in Syrien. Das aber werde die Türkei verhindern.

Experten in der Türkei erwarten, dass die Armee nach der Eroberung von Dscharabulus weiter vorrücken wird, um mit Unterstützung ihrer verbündeten syrischen Milizen dann die seit Jahren diskutierte Pufferzone entlang der Grenze zu besetzen. Dabei soll es um das Gebiet von Dscharabulus bis nach Kilis gehen, dass jetzt noch vom IS kontrolliert wird.

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