Marieluise Beck über ihren Rückzug: „Bremen macht sich klein“

Die Bremer Grüne Marieluise Beck sitzt seit 30 Jahren im Bundestag. Obwohl sie es gern getan hätte, wird sie 2017 nicht erneut kandidieren.

Will „nicht erneut in eine Kampfkandidatur gegen maßgebliche Kräfte des Bremer grünen Establishments“ gehen: Marieluise Beck Foto: Maurizio Gambarini/ dpa

taz: Frau Beck, Sie hätten gern noch einmal für den Bundestag kandidiert, wollen jetzt aber nicht mehr und haben in einer Erklärung an den Bremer Landesverband der Grünen geschrieben, „nicht erneut in eine Kampfkandidatur gegen maßgebliche Kräfte des Bremer grünen Establishments“ zu gehen. Wer ist Ihnen in den Rücken gefallen?

Marieluise Beck: Es geht hier nicht um eine Dolchstoßlegende. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass führende Leute aus der Partei entschiedenen Widerspruch gegen eine erneute Kandidatur angemeldet haben. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Trifft Sie die Kritik, Bundestagsabgeordnete sollten sich mehr um Wahlkreis-Interessen kümmern?

64, ist Lehrerin, seit 1980 Grünen-Mitglied und seit 1983 mit Unterbrechungen Mitglied des Bundestages. Beck zog 1983 über die Landesliste Baden-Württemberg und danach stets über die Landesliste Bremen in den Bundestag ein.

Selbstverständlich müssen Abgeordnete auch Interessen ihres Wahlkreises vertreten. Niemand kann mir im Ernst vorwerfen, ich wäre für Bremen nicht aktiv gewesen. Gleichzeitig haben Abgeordnete ein bundespolitisches Mandat. Wir vertreten die gesamte Bevölkerung, nicht nur den Wahlkreis, und wir sind für das ganze Spektrum der Politik zuständig. In der Tat es so, dass Außenpolitiker in ihren Wahlkreisen oft einen schweren Stand haben, weil sie sich weniger für lokale Belange einsetzen können. Aber die Grünen sind als Menschenrechts- und Europa-Partei angetreten. Unser Spruch war: Die Erde hat keinen Notausgang. Bremen macht sich selbst klein, wenn es nicht mehr international denkt.

Ihr Bundestagsmandat geht bis Sommer 2017 – was haben Sie danach vor?

Ich habe über die letzten zehn Jahre ein großes Netzwerk zu Bürgerrechtlern und der demokratischen Opposition in Osteuropa aufgebaut, insbesondere nach Russland und in die Ukraine. Diese Arbeit werde ich fortsetzen, so gut das ohne Mandat möglich ist. Alles andere wird sich zeigen.

Ärgert es Sie manchmal, wenn osteuropäische Staaten die EU nur als Beutegemeinschaft betrachten?

Auch die deutsche Haltung zur EU ist nicht selbstlos. Die britische Bevölkerung hat sogar für den Austritt aus der EU votiert. Man sollte nicht immer mit dem Finger nach Osten zeigen. Aber es stimmt, in Polen und Ungarn verstärken sich die autoritären Tendenzen. Offensichtlich läuft die demokratische Transformation dieser Gesellschaften nicht gradlinig. Aber auch Nigel Farage kämpft in Großbritannien seit Jahren gegen die innereuropäische Freizügigkeit. Wir dürfen den Populismus, die Infragestellung des Rechtsstaates, die Stimmungsmache gegen Einwanderung in Polen und Ungarn nicht anders bewerten als in Großbritannien und oder bei uns.

Winkt die EU zuviel mit Förderung? Macht die Europäische Union in Osteuropa ihre politische Werteordnung hinreichend deutlich?

Im Kern zielen die Förderprogramme der EU auf den Aufbau demokratischer Institutionen und einer modernen Infrastruktur. Das ist vernünftig. Darüber hinaus gibt es Förderung für zivilgesellschaftliche Initiativen und kulturelle Zusammenarbeit. Dabei muss man ganz Europa im Blick haben. Es ist töricht, wenn die EU den Wettbewerb um die Kulturhauptstadt Europas aufruft, die russischen Freunde aus der Uralstadt Perm sich aber nicht bewerben können. Die Spaltung Europas, die durch Stalin, Roosevelt und Churchill auf Jalta besiegelt wurde, ist immer noch nicht überwunden. Wie das Meer von EU-Fahnen auf dem Maidan gezeigt hat, empfinden das die Menschen in der Ukraine stärker als wir. Die Bürgerbewegungen in den autoritären Staaten kämpfen darum, dass ihre Länder demokratischen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Werten entsprechen.

Sie unterstützen diese Bürgerbewegungen – gibt das auch manchmal Konflikte mit EU-Institutionen?

Ich sehe die Zögerlichkeit eher in Teilen der deutschen Politik. Sie hat den Hang, autoritäre Strukturen im Namen der Stabilität zu stützen und Bewegungen von unten, also die Unruhe, die aber Freiheit bedeutet, wie eine Gefahr zu behandeln. Das war schon in der Spätphase der Ostpolitik so.

Vor 25 Jahren haben Sie dafür gestritten, den Bosniern auch militärisch zu Hilfe zu kommen, um dort einen Völkermord zu verhindern. Heute scheint das ehemalige Jugoslawien nicht nur wirtschaftlich ein hoffnungsloser Fall, sondern auch unter den Gesichtspunkten von Demokratie und Menschenrechten. Stellt das nicht den Sinn von Militärinterventionen infrage?

Immerhin wird dort nicht mehr geschossen und gestorben. Und mehr noch, in allen ex-jugoslawischen Republiken hat sich eine demokratische Zivilgesellschaft entwickelt. Ja, die Transformationen sind sehr viel zögerlicher, als wir gehofft haben und brauchen mehr Zeit. Aber dennoch: War es nicht richtig, dass die NATO mit einem Mandat der UN den Massakern und Vertreibungen in Bosnien ein Ende bereitet hat? Die Frage der Intervention ist immer konkret. Nicht zu intervenieren bedeutet ja nicht, dass der Krieg nicht stattfindet. Das sehen wir derzeit in Syrien.

Marieluise Becks ausführliche Erklärung an den Landesverband der Grünen zu ihrem Verzicht auf eine weitere Kandidatur für den Bundestag findet sich im Internet unter www.marieluisebeck.de.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.