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Ausgerechnet Ostfriesland

MEDIZIN An der Küste sterben deutlich mehr Männer an Krebs als anderswo in Niedersachsen. Über die Gründe streiten Fachleute: Manche glauben, Auslöser sei der früher von der Werftindustrie benutzte Asbest

Einstiger Auslöser für Krebserkrankungen? Die Werftindustrie Foto: Ingo Wagner/dpa

VON ANDREAS WYPUTTA

In den Kreisen Aurich, Wittmund, der Wesermarsch sowie in den Städten Wilhelmshaven und Emden sterben deutlich mehr Männer an Krebs als in anderen Regionen Niedersachsens. Das geht aus dem aktuellen Jahresbericht des niedersächsischen Krebsregisters hervor: Um bis zu 15 Prozent über dem Landesschnitt lag die Krebssterblichkeit an der Küste danach im Jahr 2013 – aktuellere Zahlen konnten die Statistiker noch nicht auswerten.

Allerdings streiten sich Fachleute, warum Krebserkrankungen gerade hier, in einer der beliebtesten Tourismusregionen Norddeutschlands mit ihrem Reizklima, besonders oft tödlich enden. Wie überall in Deutschland seien auch an der Küste Tumorerkrankungen der Lunge die häufigste Krebsform, sagt Joachim Kieschke vom Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsen (EKN): „25 Prozent der Krebssterbefälle gehen auf Tumore der Lunge zurück.“ Wichtigster Risikofaktor dafür bleibe das Rauchen.

Ein weiterer Auslöser gerade bei Männern könnte aber auch die Werftindustrie gewesen sein, vermuten die Forscher des Krebsregisters: Als feuerfestes Dämmmaterial hat die lange Asbest eingesetzt – das feinfaserige Material kann in die Lungen eindringen und dort Tumore verursachen. Die Verwendung der Silikat-Minerale ist deshalb seit 1993 in Deutschland verboten. Bis durch Asbest ausgelöste Tumore, sogenannte maligne Mesotheliome, beim Menschen nachweisbar sind, können Jahrzehnte vergehen: „Die durchschnittliche Latenzzeit von Mesotheliomen nach Exposition gegenüber Asbest beträgt 30 bis 40 Jahre“, heißt es im Jahresbericht des Registers.

Im Klartext: Wer Mitte der Achtziger als Werftarbeiter Fasern des Dämmmaterials eingeatmet hat, dem droht noch heute, an dieser Krebsart zu erkranken. „Asbest war in der Werftindustrie früher ein Risikofaktor“, so der Registerstellenleiter Kieschke zur taz. Aktuell sei der Stoff dagegen „weitestgehend aus der Arbeitswelt verbannt“.

Ziel: Krebsbekämpfung

Seit 2003 erfasst das niedersächsische Krebsregister systematisch und landesweit alle Krebsneuerkrankungen und -sterbefälle. Ziel ist die Bekämpfung der Krankheit – und die Erforschung ihrer Ursachen.

Aus 2013 stammen die letzten vollständig erfassten Zahlen.

49.234 Menschen erkrankten in dem Jahr in Niedersachsen neu an einem bösartigen Tumor, davon 26.079 Männer und 23.155 Frauen.

Gestorben sind 2013 landesweit 12.078 Männer und 9.886 Frauen an ihrer Krebserkrankung.

An durch Asbest ausgelösten malignen Mesotheliomen starben zwischen 2003 und 2012 dagegen 1.265 Männer – und nur 277 Frauen. Forscher erklären dass durch die deutlich erhöhte Asbestbelastung in männlich dominierten Berufen wie der Werftindustrie.

Bedingt durch die lange Latenzzeit der Mesotheliome scheinen die Folgen des Asbest-Einsatzes in der Werftindustrie aber erst jetzt voll auf das Krebsregister durchzuschlagen. Im Emden etwa, wo die Nordseewerke einst zu den größten Marinewerften Deutschlands zählten, erkranken rund drei Mal mehr Männer an dieser Art Tumor als durchschnittlich in Niedersachsen. Auch in den Kreisen Wittmund, Aurich und dem an Hamburg grenzenden Landkreis Harburg sind die Zahlen deutlich erhöht, ebenso in Wilhelmshaven. Vermutet werden könne ein „Zusammenhang mit beruflicher Asbestexposition im Schiffbau oder in der Stahlindustrie“, heißt es im EKN-Jahresbericht.

Allerdings: Die insgesamt deutlich erhöhte Krebssterblichkeit an der Küste könne so nicht erklärt werden, warnt Jan Janssen, Facharzt vom ostfriesischen Praxisverbund Onkologie mit Sitz in Westerstede, Aurich und Rhauderfehn. „Mesotheliome machen weniger als ein Prozent aller Krebserkrankungen aus“, sagt der Mediziner. Wegen der erhöhten Mobilität der Bevölkerung seien lokale Auslöser wie die Werftindustrie kaum zu identifizieren, meint Janssen: „Viele meiner Patienten stammen nicht von der Küste, sondern sind zugezogene Pensionäre aus Nordrhein-Westfalen.“

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