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Kann nicht klagen

Recht Die Koalition ignoriert die Vorgaben des Verfassungsgerichts, sagen Flüchtlingsexperten. Doch eine Klage in Karlsruhe ist gar nicht so einfach

Ein politisch denkender Schwuler aus Marokko, der sich gut artikulieren kann, wird seine Rechte kennen – und sie vor den Beamten in Deutschland vertreten. Er bekäme sehr wahrscheinlich Asyl, fiele damit aber als Kläger aus

BERLIN taz | Die Koalition hat im Bundestag vor einer Woche beschlossen, die Maghrebstaaten Algerien, Tunesien und Marokko für „sicher“ zu erklären; die Zustimmung des Bundesrats soll am 17. Juni erfolgen. Experten von Grünen und Linkspartei, Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Fachanwälte behaupten, dass dieses Gesetz der Karlsruher Rechtsprechung nicht genügt.

Ihre Vorwürfe machen die Kritiker an einem Urteil aus Karlsruhe aus dem Jahr 1996 fest. In einem Fall aus Ghana wiesen die Richter darauf hin, dass das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten nicht angewandt werden darf, „wenn ein Staat bei genereller Betrachtung überhaupt zu politischer Verfolgung greift, sei diese auch (zur Zeit) auf eine oder einige Personen- oder Bevölkerungsgruppen begrenzt“.

Ebendies sei in Algerien, Tunesien und Marokko der Fall, kritisieren nun Pro Asyl und andere Menschenrechtsorganisationen. So ist zum Beispiel in allen drei Staaten Homosexualität laut Gesetz strafbar. Schwule oder Lesben, die als solche erkannt werden, können ins Gefängnis wandern – auch Fälle von Folter sind dokumentiert. In Algerien würden etwa religiöse Minderheiten und Konvertiten verfolgt, sagt Rechtsanwalt Reinhard Marx. Heißt: Der Staat verfolgt sehr wohl bestimmte Personengruppen.

Eigentlich hat die Opposition im Bundestag das Recht, eine Normenkontrollklage anzustrengen. Dabei prüft das Verfassungsgericht, ob ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Allerdings ist die Mini­opposition im Bundestag zu schwach. Nötig ist ein Votum von 25 Prozent der Abgeordneten, Grüne und Linke stellen zusammen aber nur 20 Prozent. Das Verfassungsgericht hat Anfang Mai nochmals ausdrücklich festgestellt, dass eine kleine Opposition ohne dieses Recht auskommen muss.

Ein Bundesland könnte ebenfalls gegen die Einstufung von Algerien, Tunesien und ­Marokko als sichere Herkunftsländer klagen. Das Land, das am ehesten ein Interesse an einer Klage hätte, ist Thüringen. Dort stellt die kritische Linkspartei den Ministerpräsidenten in einer rot-rot-grünen Koalition. Allerdings wird die mitregierende Landes-SPD eine Klage nicht wollen. Sie ist für die Idee, außerdem will ihre Bundespartei nicht brüskieren. „Mit einer Klage würden wir uns eine Koalitionskrise einhandeln“, heißt es in Thüringer Regierungskreisen.

Auch ein Betroffener könnte seine Rechte geltend machen und durch alle Instanzen bis Karlsruhe gehen. Doch auch dies ist erst mal unwahrscheinlich, räumen Menschenrechtsexperten hinter vorgehaltener Hand ein. Aus den sechs Westbalkanstaaten, die bereits zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt wurden, fand sich bislang kein Kläger.

Üblicherweise würde ein Betroffener von einer Organisation wie Pro Asyl beraten und begleitet. Doch für Menschenrechtsaktivisten ist es äußerst schwierig, einen erfolgversprechenden Einzelfall zu finden, der zu Unrecht von deutschen Behörden abgelehnt wurde. Ein politisch denkender Schwuler aus Marokko, der sich gut artikulieren kann, wird seine Rechte kennen – und sie vor den Beamten in Deutschland vertreten. Er bekäme sehr wahrscheinlich Asyl, fiele damit aber als Kläger aus. Die Einstufung von Herkunftsstaaten als „sicher“ beschleunigt ja lediglich die Verfahren, schafft aber nicht die Einzelfallprüfung ab.

Durch das Raster fielen eher bildungsferne Menschen, die ihre Rechte vor den deutschen Behörden nicht gut vertreten. Sie würden vielleicht zu Unrecht abgelehnt, wären aber aus Deutschland verschwunden, bevor Hilfsorganisationen sie unterstützen könnten. Sicher ist: Homosexuelle, die sich in ihrer Heimat jahrelang verleugnen mussten, outen sich nicht mal eben in einem deutschen Behördenzimmer.

Vielleicht ist es inzwischen einfacher, einen Kläger zu finden, weil im März mit dem Label „sicherer Herkunftsstaat“ neue Rechtsfolgen verbunden wurden. Nun könnte ein Algerier auch dagegen klagen, dass er nur deshalb noch in der Erstaufnahmeeinrichtung wohnen muss, weil er aus einem angeblich sicheren Herkunftsstaat kommt. Das angerufene Verwaltungsgericht könnte dann den Fall in einer „konkreten Normenkontrolle“ in Karlsruhe vorlegen – wenn es die Einstufung Algeriens für verfassungswidrig hält. Oder der Kläger geht selbst den Weg durch die Instanzen.

Allerdings bringt ein Verfahren in Karlsruhe nicht automatisch Erfolg. In ihrem Urteil von 1996 hat die Mehrheit der Richter der Politik einen „Entscheidungsspielraum“ eingeräumt und die eigene Kontrolle stark zurückgenommen. Karlsruhe werde ein Gesetz über sichere Herkunftsstaaten nur beanstanden, „wenn eine Gesamtwürdigung ergibt, dass der Gesetzgeber sich bei seiner Entscheidung nicht von guten Gründen hat leiten lassen“. Auch Ghana wurde damals als sicherer Herkunftsstaat akzeptiert, obwohl Amnes­ty ­dringend davor gewarnt hatte. Uli Schulte

Mitarbeit: Christian Rath

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