: Ein Tänzchen vor dem Ende
Charme Berlin zieht an, wächst – und verändert sich. Das ist toll, aber auch schade, weil wenig so bleibt, wie es einmal war. Wie soll man damit umgehen? Und wie darüber sprechen, ohne sauertöpfisch zu wirken?
Von Uwe Rada
Ich habe ein Problem: Ich freue mich, dass Berlin immer mehr Menschen anzieht. Letztens hat mir ein Puertoricaner, der in Breslau lebt, erzählt, wie toll er Berlin findet. Wie weltoffen, tolerant, schräg auch. Ich finde das ebenfalls und freue mich, wenn Berlin von dieser Weltoffenheit etwas abstrahlt. Europa kann das gerade gut gebrauchen.
Mein Problem wird damit aber nicht kleiner. Ich sorge mich um die Schrägheit in meiner Stadt, in der ich seit fast 35 Jahren lebe. Gerade hat mich eine Bekannte an den Bauwagen erinnert, vor dem man sein Feierabendbier trinken konnte: Am Senefelderplatz, mitten in Prenzlauer Berg. Heute ist das ein Biosupermarkt. Ich war erschrocken, weil ich schon lange nicht mehr an diesen Bauwagen gedacht habe. Ich hatte ihn verdrängt. Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass ich da selbst nach der Arbeit einen Boxenstopp eingelegt habe.
Weißt du noch …?
Mein Problem ist, dass ich hin und her gerissen bin. Manchmal fange ich selbst Gespräche an, die mit den Worten „Weißt du noch …“ beginnen – und im nächsten Augenblick nerven sie mich. Manchmal reagiere ich auch allergisch, etwa wenn die Bewahrer von Freiräumen und Brachen über die „wachsende Stadt“ und die Neuberliner herziehen. Das ist manchmal nah an der Obergrenze der CSU. Bloß: Wie soll man von Veränderung reden, sie annehmen, sie kritisieren, ohne sauertöpfisch zu wirken?
Der Senat macht es sich da ziemlich einfach. Der Regierende Bürgermeister und sein Bausenator freuen sich übers Wachstum und zählen eifrig die Zahl der fertiggestellten Wohnungen. Wer wie die Kreuzberger Grünen dann die Touristenfrage stellt, hat schnell den Stempel weg, sich gegen Veränderungen zu sperren. So werden mal eben die Attribute „fortschrittlich“ und „konservativ“ umdefiniert.
Dabei weiß auch die Politik, dass sie den Zug nicht aufhalten kann. So viele Wohnungen, wie neue Berliner kommen, kann sie gar nicht bauen. Die meisten ahnen also, dass wir erst am Anfang einer Entwicklung stehen, an deren Ende nicht nur der Bauwagen am Senefelderplatz fehlen wird, sondern auch die Muße, sich einen Nachmittag in einem Café um die Ohren zu schlagen. Wer es sich leisten will, weiter in der Innenstadt zu leben, wird dafür einen hohen Preis zahlen müssen. Das sagt natürlich kein Politiker laut. Vertrauen gewinnt man damit nicht zurück.
Ich weiß, ich bin nicht alleine mit meinem Problem. Aber hilft mir das? Soll ich schon mal vorsorglich nach Oberschöneweide ziehen, um das Stadtrandleben zu proben? Oder ganz weg aus Berlin, weil mir meine Wahlheimat von Jahr zu Jahr fremder wird? Oder soll ich mit der Stadt mitwachsen, nicht mehr darüber grübeln, welche tollen Orte es mal gab, sondern den Bedenkenträgern cool zurufen: Leute, wollte ihr nun im Dorf leben oder in einer Metropole?
Vorerst haben sich beide Seelen in mir darauf geeinigt, die Stadt als wachsenden Organismus zu betrachten. Lange Zeit war Berlin am Wachsen gehindert gewesen, deshalb hatte die Stadt sich ihre Kindlichkeit bewahrt: In den Achtzigern lebte sie ihre wilde Phase aus, in den Neunzigern ging sie gerne aus und begann zugleich, Geld zu verdienen. Nun ist sie eben erwachsen geworden: Abends mal zu Hause bleiben ist auch ganz okay. Und wenn sie in Würde ergraut und keine Touristen mehr kommen, ist das halt so. Sterben muss jeder, auch die tollste Stadt der Welt.
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